Bruno Guimarães: Vom Rattenflüsterer zum Premier-League-Star

Von Falko Blöding
Bruno Guimarães
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Hinter Newcastles Bruno Guimarães liegt ein steiler Aufstieg. Verbunden ist dieser mit einer besonderen Zahl - und schlechten Erinnerungen an haarige Nager.

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Bruno Guimarães trägt seinen Talisman auf dem Trikot. Es ist die Nummer 39. Eine Rückennummer, die für den Mittelfeldstar von Newcastle United eine besondere Bedeutung hat. Sie ist für ihn das Symbol seiner Herkunft und erinnert ihn an den steinigen Weg, den er gegangen ist, um einer der besten Spieler in der besten Liga der Welt zu werden.

Obwohl er als Kind in Rio in der Nähe des Maracana aufwuchs und jede freie Minute mit seinen Freunden dem Leder nachjagte, war eine Laufbahn als Fußballer nicht vorgezeichnet. Im Gegenteil: Während sein Vater ihn beim Futsal anmelden wollte, hatte seine Mutter für das Kicken nicht viel übrig. Sie wollte viel lieber, dass der junge Bruno ein guter Schwimmer wird, wie Guimarães in einem Beitrag für The Players' Tribune schilderte.

Ronaldinho war das Idol von Bruno Guimarães

Seine Mutter habe zu seinem Vater gesagt: "Nein, nein, nein. Ich will nicht noch so einem im Haus haben, das bringt mich um." Also meldete sie Bruno im Schwimmverein an. Sechs Monate lang ging Bruno zum Schwimmtraining, ehe er weinend nach Hause kam: "Mama, dieses Schwimmen! Ernsthaft? Das macht mir überhaupt keinen Spaß. Es tut mir leid, aber ich muss mit dem Ball spielen."

Also jagte er doch seinem Traum nach, irgendwann wie sein großes Idol Ronaldinho ein erfolgreicher Fußballprofi zu werden. Während seine Mutter in einem Motorradgeschäft arbeitete, hielt der Vater die Familie als Taxifahrer über Wasser. "In Brasilien, und vor allem in Rio, ist das ein Knochenjob", so Bruno. "Man arbeitet den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich sah meinen Vater praktisch nur, wenn er am Samstag kam, um mir beim Fußballspielen zuzuschauen." Damals prägte sich die Nummer 039 bereits bei Bruno ein - es war die Nummer des Taxis seines Vaters.

Im Alter von elf und zwölf Jahren hatte Bruno Probetrainings bei den Traditionsvereinen Botafogo und Fluminense, wurde aber jeweils abgelehnt. Zu jener Zeit hatte Bruno große Probleme mit dem Lampenfieber und war am Boden zerstört, dass er nicht zu einem der großen Klubs wechseln durfte. "Aber meine Mutter hat mir dann die Geschichte von Cafú erzählt und wie dieser zunächst von praktisch jedem großen Verein abgelehnt wurde", so der Mittelfeldspieler.

Mit 15 Jahren bekam Bruno die Chance, in die Jugendakademie von Audax Sao Paulo zu wechseln. Eine große Möglichkeit, aber auch ein schwerer Schritt für die Familie: "Ich werde nie vergessen, wie meine Eltern mich fünf Stunden im gelben Taxi meines Vaters nach Sao Paulo fuhren. Sie ließen ihr einziges Kind in dieser großen Stadt bei anderen Jugendlichen, die sie nicht kannten, in einem überfüllten Schlafraum mit 18 Doppelstockbetten."

Bruno Guimarães
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Bruno Guimarães: Schwere Zeit bei Audax Sao Paulo

Er habe zunächst jede Nacht geweint, so der heute 25-Jährige. Auch, weil es in dem Schlafraum ungebetene Gäste gab. Er habe ein altes Handy unter seinem Kopfkissen aufbewahrt. Eines Nachts griff er danach. "Aber statt des alten Plastik-Telefons fühlte ich plötzlich etwas Haariges. Es war nicht flauschig, sondern ekelhaft. Ich griff an einen Schwanz. Ich habe so laut geschrien. Da saß diese fette Ratte und starrte mich an, als wollte sie sagen: 'Ey, was machst Du in meinem Bett?'"

Als er aus dem Bett aufsprang, stieß sich Bruno den Kopf am Bett, zwei weitere Ratten seien zum Vorschein gekommen. "Ich dachte, ich sei in der Hölle gelandet", erinnerte sich Bruno. Mehr als einmal habe er seine Taschen gepackt, um Audax zu verlassen. Kraft gaben ihm allein die Besuche seiner Eltern an freien Tagen und Wochenenden. Stets fuhren sie mit dem gelben Taxi mit der Nummer 039 nach Sao Paulo, um ihren Sohn zu sehen.

Maßgeblich für den weiteren Verlauf von Brunos Karriere war ein Gespräch mit Fernando Diniz. Der Ex-Profi und heutige Flu-Coach war damals Trainer bei Audax. Bruno erinnerte sich noch gut an jene Unterhaltung während der Saisonvorbereitung der ersten Mannschaft. Diniz habe ihm gesagt: "Bruninho, was auch immer Du in Deinem Leben machen willst, Du wirst einer der Besten sein. Denn Du hast Hingabe, und Du bist fokussiert. (...) Du hast die Seele eines großen Spielers." Trotzdem dauerte es noch ein Jahr, ehe Diniz Bruno im Alter von 19 Jahren bei den Senioren einsetzte.

Von da an nahm die große Karriere ihren Lauf. Bruno wechselte 2017 zu Athletico Paranaense, Anfang 2020 holte Olympique Lyon den robusten und technisch beschlagenen Mittelfeldorganisator dann für 20 Millionen Euro Ablöse nach Europa. Zwei Jahre später wurde er für mehr als das Doppelte der erste teure Einkauf Newcastle Uniteds nach der Saudi-Übernahme. Längst hat sich Diniz' Prognose bestätigt: Bruno Guimarães gehört zu den besten sowie begehrtesten Spielern der Welt und war Teil der Selecão bei der WM-Endrunde in Katar.

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Bruno Guimarães hat die 39 auf die Wade tätowiert

Immer mit dabei während seines Aufstiegs: Die 39, die auf dem Taxi seines Vaters geprangt hatte. Guimarães trägt sie nicht nur als Tattoo auf der Wade, sondern eben auch als Rückennummer: "Als ich nach Paranaense kam, telefonierte ich mit meinem Vater und es ging darum, welche Nummer ich wählen sollte. Ich dachte an die 97, weil ich 1997 geboren wurde. Er aber schlug vor: 'Wie wäre es mit der 39? Das ist mehr als eine Zahl. 039 hat uns alles ermöglicht. Unser Haus, unser Essen, unsere Möbel und Deine Fußballschuhe.'"

Bruno fand die Idee gut und wollte den Zeugwart nach der Nummer fragen. Dieser hatte ihm aber bereits ein Trikot reserviert. "Ich öffnete die Tasche und ich schwöre: Es war die 39", erzählte Bruno. Er habe sogar weinen müssen. Kein Wunder, mehr Schicksal geht wohl nicht.

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