Erschossen wegen Ukraine-Band am Rucksack: Das tragische Schicksal von Torwart Stepan Chubenko

Stepan Chubenko starb 2014 im Alter von nur 16 Jahren.

Stepan Chubenko war Torwart in der Jugend des ukrainischen Vereins FK Kramatorsk. 2014 wurde der 16-Jährige von russischen Militanten verhaftet, gefoltert und erschossen - weil er ein Ukraine-Band an seinem Rucksack trug.

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Wenn ein geliebter Mensch stirbt, gerade auch wenn er es für seine Überzeugungen tat, können die Hinterbliebenen vor allem eines tun, um ihm zu gedenken: Die Erinnerung permanent hochhalten. So ist es auch bei Stepan Chubenko geschehen. Heute ist er überall in seiner Stadt präsent. Weil seine Geschichte nicht vergessen werden darf - nicht nur im ukrainischen Kramatorsk.

In der rund 160.000 Einwohner zählenden Stadt in der Nähe von Donezk haben sie zu Chubenkos Ehren eine Gedenktafel an seiner Schule angebracht, auch am Eingang des Avangard-Stadions wird an ihn erinnert. Die größte Ehrerbietung dürfte die lebensgroße Skulptur von Chubenko sein, die im Stadtpark neben dem Fußballplatz aufgestellt wurde, wo er einst mit dem Kicken begann.

Chubenko, geboren 1997, war Torwart in der Jugend von FK Kramatorsk. Er galt als talentiert und träumte von einer Karriere als Profifußballer. Doch Chubenko war noch so viel mehr: Mit Freunden spielte er Laientheater, interessierte sich für Geschichte, schrieb Gedichte und kümmerte sich um ein Waisenhaus in seiner Heimatstadt. Er möchte gerne ein Kind haben und zwei weitere adoptieren, soll Chubenko zu seiner Freundin gesagt haben.

Zehn Tage, nachdem Chubenko im November 2013 seinen 16. Geburtstag feierte, begann in der Ukraine der sogenannte Euromaidan: Eine pro-europäische Massenbewegung, die einsetzte, weil der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch auf Druck Russlands das Assoziierungsabkommen mit der EU platzen ließ.

Stepan Chubenko: "Er war für die Ukraine und ihre Integrität"

Im Februar 2014 bekam das Volk seinen Willen, der Präsident floh und wurde gestürzt. Doch just in dieser Phase begann die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, dazu entwickelten sich bewaffnete Konflikte in zwei östlichen Verwaltungsgebieten der Ukraine. Kramatorsk wurde im April 2014 eine der ersten Städte, die von schwer bewaffneten Kämpfern eingenommen wurden.

Diese Geschehnisse ließen Chubenko nicht kalt, erstmals in seinem Leben interessierte er sich stark für Politik. Er begann sich zu informieren, um der klassischen Propaganda im Fernsehen zu entkommen. Seine Mutter Stalina erzählte später, es sei ihr Sohn gewesen, der der Familie erklärte, was in ihrem Land eigentlich vor sich geht.

Nachdem in der Donbass-Region, zu der auch Kramatorsk gehört, der sogenannte "Russische Frühling" begonnen hatte, konnte Chubenko nicht mehr nur zuschauen: "Er war unmissverständlich für die Ukraine und ihre Integrität. Hier sollte es keine Flaggen anderer Länder geben. Deshalb hat er sich in den Kampf gestürzt, in die Partisanenbewegung, in Kundgebungen. Er war ein aktiver Teilnehmer", sagte seine Mutter.

Chubenko: "Ich kann mich hier nicht wie eine Ratte verstecken"

Chubenko begann zusammen mit Freunden, die ukrainischen Kämpfer mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen, sie entfernten die Fahnen der Separatisten in den Straßen und verteilten in der Stadt patriotische Flugblätter, die die Bürger daran erinnern sollten, dass "Kramatorsk zur Ukraine gehört".

Da seine Mutter gebürtige Russin ist, fuhr Chubenko Ende April 2014 mit seiner Familie in deren Heimat in der Region Rostow. Kurz nach Ostern werden dort Gedenktage gefeiert, um an verstorbene Verwandte zu erinnern. Stepan ließen sie bei einem Freund zurück, weil die Eltern um seine Sicherheit in Kramatorsk fürchteten.

Einen Monat später, die Bombardierung diverser Städte wie auch von Kramatorsk hatte kurz zuvor begonnen, hielt es Chubenko nicht mehr aus. Er machte sich auf den Weg nach Hause. "Er sagte: Ich kann mich hier nicht wie eine Ratte verstecken, wenn meine Eltern und mein Land in Gefahr sind," erzählte seine Mutter. Es wurde leider Chubenkos letzte Reise.

Stepan Chubenko als Torwart von FK Kramatorsk.
Stepan Chubenko als Torwart von FK Kramatorsk.

Stepan Chubenko: Festnahme wegen Ukraine-Band

Als er Kiew erreichte und dort für kurze Zeit bei einem Freund unterkam, wollte er mit dem Zug weiter Richtung Heimat. Die Fahrt über das noch unter ukrainischer Kontrolle befindliche Charkiw wäre die sichere gewesen, doch Chubenko bekam am Schalter nur Fahrkarten für die Strecke über das von pro-russischen Militanten besetzte Donezk.

Dort entschied sich sein Schicksal. Der 16-Jährige wurde am 23. Juli von Kämpfern des sogenannten Kertsch-Bataillon aufgegriffen, weil er ein Band in den Farben der ukrainischen Flagge an seinem Rucksack trug und sich darin auch ein Schal des westukrainischen Fußballvereins Karpaty Lwiw befand. Chubenko wurde auf der Stelle verprügelt und in ein Dorf namens Horbatschewo-Mychajliwka außerhalb der Stadt gebracht.

Nach der Festnahme ist er dort barbarisch gefoltert und angeblich zum Ausheben von Gräbern für Terroristen geschickt worden. Einiges deutet darauf hin, dass Chubenko dort sein eigenes Grab grub. Auf den Knien liegend, mit einem T-Shirt über den Kopf und die Hände mit Klebeband hinter dem Rücken gefesselt, wurde er mit fünf Kopfschüssen umgebracht. Es heißt, Chubenko soll nicht geweint und nicht um Gnade gebeten haben. Dies geht aus späteren Ermittlungen der von Russland kontrollierten "Volksrepublik Donezk" hervor.

Gesühnt ist der Mord an Stepan Chubenko bis heute nicht

Chubenkos Eltern erhielten tags darauf einen Anruf: Ihr Sohn sei verhaftet worden. Sie begaben sich unmittelbar nach Horbatschewo-Mychajliwka, um Stepan ausfindig zu machen. Einen Tag später erfuhren sie, dass ihr Sohn getötet worden war.

Erst über zwei Monate später fand man den Ort, an dem man ihn verscharrt hatte - bei der Exhumierung erkannten die Eltern seinen Leichnam. Es dauerte bis zum 8. November 2014, drei Tage später wäre Stepan 17 Jahre alt geworden, ehe er in seiner Heimatstadt die letzte Ruhe fand.

Die Behörden der "Volksrepublik Donezk" nahmen unmittelbar nach der Tat die Suche nach den Tätern auf. Daraufhin wurden drei Männer gefasst, denen der Mord nachgewiesen werden konnte. Doch ihnen gelang die Flucht nach Russland und auf die besetzte Krim. Seitdem weigert sich Russland, die Mörder auszuliefern und gewährt ihnen Schutz. Im November 2017 verurteilte sie ein ukrainisches Gericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.

Gesühnt ist der Mord an Chubenko bis heute nicht, die Ukraine sieht sich mit dem andauernden russischen Angriffskrieg vielmehr weiterer ungerechter Grausamkeiten ausgesetzt. Damit das Schicksal von Chubenko nicht über die Jahre verblasst und in Vergessenheit gerät, findet seit 2015 ein jährliches Fußballturnier zu seinem Gedenken statt. Ein Verlag hat Chubenkos Essays und Gedichte in einer Sammlung veröffentlicht und veranstaltet zudem einen nach ihm benannten Kinderliteraturwettbewerb. Bei FK Kramatorsk wurde entschieden, das Trikot mit der Nummer eins nie mehr zu vergeben.

"Ich rufe dich später an, ich liebe dich", lautet die letzte Nachricht, die Chubenko am Tag vor seiner Festnahme an seine Mutter schickte. Mehrfach soll er gesagt haben, dass alles gut werde. Im Mai 2016 wurde ihm posthum der Titel "Held der Ukraine" verliehen.

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