Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Dank gefrorener Hähnchenschenkel - Das Sheriff-Märchen, das keines ist

Von Fatih Demireli
Der FC Sheriff Tiraspol hat mit Siegen gegen Schachtjor Donezk und Real Madrid für großes Aufsehen gesorgt.
© getty

Der FC Sheriff Tiraspol hat in der Champions League mit Siegen gegen Schachtjor Donezk und Real Madrid für großes Aufsehen gesorgt. Doch für eine Märchengeschichte, die nur der Fußball schreiben kann, taugt der Klub nicht. Eine Reise in ein Land, das es gar nicht gibt.

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So viel Humor hätte man Ilya und Viktor eigentlich nicht zugetraut. Die beiden ehemaligen KGB-Agenten saßen wohl irgendwann zusammen und überlegten, wie sie denn ihre neue Supermarkt-Kette nennen sollen. Ab hier ist es eine Mutmaßung: Der eine nahm einen Schluck aus der Pulle und sagte: "Heey Ilya, wir waren doch beide Polizisten." "Ja Viktor, waren wir." "Warum nennen wir den Laden nicht einfach Sheriff, hahaha" "Du spinnst hahaha, aber hey! Super Idee, Viktor. Sheriff!" Mutmaßung Ende.

Es war Ende der 1990er-Jahre, als Ilya Kazmaly und Viktor Gushan dem Staatsgebilde Transnistrien eine Supermarktkette abkauften und auf der Suche nach einem Namen gerade keine Marketing-Experten in Griffweite hatten, um mal nachzufragen, wie man so eine Supermarktkette nennen kann. Aus dem Spaß wurde Ernst und Ernst ist heute 28 Jahre alt.

Aus der Supermarktkette wurde ein Imperium mit Immobilien, Medien, ja sogar einem Handynetz und sogar einem politischen Arm, der Abgeordnete ins transnistrische Parlament entsendet. Jede Menschenseele in Transnistrien hat etwas mit Sheriff zutun. Der Supermarkt gehört ihnen, die Bäckerei, die Tankstelle, die Zeitung am Kiosk, der Sender in der Fernsehkiste, das Benzin an der Zapfsäule, der Kleidungsmarkt auf der Hauptstraße. Sheriff ist der De-facto-Inhaber eines De-facto-Regimes am Rande von Europa.

Wenn man nun am Dienstag dem FC Sheriff Tiraspol zugejubelt hat, weil er dem großen Real Madrid im Bernabeu eine der größten Blamagen der Klub-Geschichte beigebracht hat, durfte man sich darüber aus sportlicher Sicht natürlich mitfreuen. Eine Mannschaft, die nominell ungefähr so viel Wert ist, wie das halbe Gehalt von David Alaba hoch ist, besiegt Real.

Man darf sich mit Sebastien Thill freuen, dem 27 Jahre alten Luxemburger. Man darf sich mit Edmund Addo, dem 21 Jahre alten Mittelfeldspieler aus Ghana, freuen. Mit Jasur Yakhshiboev, dem 24 Jahre alten Rechtsaußen aus Usbekistan. Für sie ist es ein Märchen, das nur der Fußball schreiben kann und das sie gebührend feiern dürfen. Beim Klub hört die Romantik allerdings auf.

Sheriff Tiraspol - keine Geschichte zum Verlieben

Der FC Sheriff Tiraspol ist keine Geschichte zum Verlieben. Auch nicht in der Heimat, weil es diese nicht gibt. Auf den Straßen Moldawiens gab es keine spontanen Feierlichkeiten, weil der Klub zwar in der moldawischen Liga spielt, aber kein moldawischer Klub ist. Tiraspol liegt in Transnistrien, das sich von der Republik Moldau losgesagt hat.

Die politische Nähe zu Russland ist größer als nach Moldawien. Nach dem Zusammenfall der Sowjetunion hatten die Menschen in der Region Angst, dass sich Moldawien Rumänien anschließen wollte. Dazu kam es nie, aber die Transnistrier hatten sich losgesagt.

Auf einer Fläche von 3.567 Quadratkilometern gibt es eine eigene Regierung, eine eigene Armee, eine eigene Währung. Anerkannt wird das Regime nicht. Selbst von Russland nicht, auch wenn die Beziehungen nach Moskau mehr als warm sind und Russland die Unabhängigkeit sichert.

Wer nach Transnistrien reisen will, muss erst nach Moldawien, um dann dort die De-facto-Grenze zu passieren. Es gibt keinen Stempel in den Pass, weil es keinen Stempel gibt. Wer zurück nach Moldawien will, darf das, weil die Republik Moldau Transnistrien nicht anerkennt. Wie soll man also eine Einreise kontrollieren, wenn es keine Einreise gibt?

Sheriff Tiraspol: Freie Hand im Land, das es nicht gibt

Die EU sieht das Regime besonders kritisch. Berichte über Geldwäsche, Waffenschmuggel und dergleichen kursieren immer wieder. Die New York Times zitiert aus einem EU-Bericht aus dem Jahre 2006, dass jede einzelne Person in Transnistrien jedes Jahr mehr als 90 Kilogramm gefrorene Hähnchenschenkel essen müsste, wenn die Importstatistiken des Territoriums korrekt wären. Doch mehr als nicht Anerkennen kann man das Land nicht.

Die freie Hand hilft auch dem FC Sheriff Tiraspol. Hier werden Gelder investiert, die im übrigen Fußball-Land nicht mal ansatzweise bezahlt werden können. Der Klub hat gleich drei Stadien auf einem Komplex, der 200 Millionen Dollar gekostet hat. Und welch Überraschung, dass der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter höchstpersönlich zur Einweihung kam! Natürlich ganz offiziell, um einen moldauischen Fußball-Klub zu beglückwünschen.

Seit 21 Jahren spielt der FC Sheriff in der 1. Liga Moldawiens. 19-mal wurde man Meister. Bis zu 15.000 Dollar zahlt der Klub an Gehältern monatlich - natürlich pünktlich. Bei den anderen Klubs sind es ein paar Hundert Dollar und die müssen auch erst einmal ankommen. Der einstige Vorzeigeklub des Landes, Zimbru Chişinău, lebt von der Stadionmiete, die der moldauische Fußball-Verband FMF für die Länderspiele zahlt.

Sheriff Tiraspol: Jugendförderung findet nicht statt

Ansonsten hat sich der Verband den Sheriffs längst ergeben. Muss ein Spiel ausfallen, weil man sich auf die Champions League vorbereiten will? Kein Problem, der Verband sagt ab. Findet der FC Sheriff keine moldauischen Spieler, die helfen können, um international konkurrenzfähig zu werden? Kein Problem, der Verband hebt die Ausländerregelung auf. Der Kader besteht inzwischen aus 23 Ausländern.

Wie soll man sich da als moldawischer Fußballfan freuen? Der Nationalmannschaft, die ein trostloses Dasein fristet, ist mit dem Erfolg des FC Sheriff nicht geholfen. Eine Jugendförderung findet trotz vorhandener Infrastruktur im Klub nicht statt. Auch der Verband, der nun von der UEFA prämiert wurde, weil ihr Vertreter die Gruppenphase der Champions League erreicht, investiert nicht in die Entwicklung der eigenen Liga.

Die Klubs werden ihrem Schicksal überlassen, während Tiraspol weiter an der eigenen Marke schrauben darf. Dem Klub dürften auch die knapp 23 Millionen Euro Antrittsgage für die Champions League recht egal sein. Sheriff hat Geld genug. Vielmehr geht es um PR eines Regimes und die darf was kosten. Und wieder einmal darf der Fußball dafür den Kopf hinhalten.

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