Johan Vonlanthen im Interview: "Matthäus hat sich für mich eingesetzt und ständig angerufen"

Von Dennis Melzer
Johan Vonlanthen.
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Johan Vonlanthen wurde einst als Schweizer Jahrhunderttalent gehandelt. Bereits mit 17 Jahren wechselte er zur PSV Eindhoven und avancierte bei der Europameisterschaft 2004 zum jüngsten EM-Torschützen aller Zeiten. Im Anschluss begannen jedoch "die Probleme", wie er selbst sagt. Im exklusiven Interview mit SPOX und Goal blickt der mittlerweile 34-Jährige ausführlich auf seine bewegte Karriere zurück.

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Vonlanthen spricht über seine Kindheit in Kolumbien, Ängste vor dem Umzug in die Schweiz, ein skurriles Probetraining bei Real Madrid und seinen frühen Transfer in die Niederlande. Außerdem schwärmt er von seinen ehemaligen Trainern Guus Hiddink und Lothar Matthäus sowie von Arjen Robbens PlayStation- und Fußball-Künsten. Außerdem erklärt er, warum er in der Schweiz medial als Problemprofi abgestempelt wurde und welche Rolle seine Religion dabei spielte.

Johan, ist die Information, dass Sie Ihre Karriere 2018 beendet haben, noch aktuell?

Johan Vonlanthen: Ja, das ist richtig (lacht). 2018 habe ich meine Karriere offiziell beendet.

Im Alter von 32 Jahren. Warum zogen Sie diesen verhältnismäßig frühen Schlussstrich?

Vonlanthen: Ich habe mir bei Servette Genf im Jahr 2015 einen Achillessehnenriss zugezogen und habe mich enorm schwergetan, zurückzukommen. Als ich wieder einigermaßen fit war, hat Kevin Cooper mich zum FC Wil geholt. Nach einer gewissen Zeit ging es mit dem Klub allerdings bergab, die Investoren zogen sich zurück, aus sportlicher Sicht war schnell klar, dass wir den Aufstieg in die erste Liga verpassen würden. Es war nicht mein Wunsch, noch ein weiteres Jahr in der Challenge League (zweite Schweizer Liga, Anm. d. Red.) zu spielen. Allerdings muss ich auch sagen, dass meine Leistungen nicht mehr gereicht haben, um auf höchstem Niveau zu spielen. Ich war also nicht unbedingt in der Position, großartige Ansprüche zu stellen. Ich war nicht mehr so schnell wie früher, die Motivation nahm zudem immer mehr ab. Also habe ich mich entschlossen, aufzuhören.

Während Ihrer Laufbahn gab es immer wieder Gerüchte um ein vorzeitiges Karriereende. Zum ersten Mal wurde medial im Jahr 2009 mit dem Ende Ihrer Laufbahn kokettiert, 2012 und 2015 tauchten erneut derartige Meldungen auf. Wie kam es zu diesem Wirbel in regelmäßigen Abständen?

Vonlanthen: Es gab immer wieder private Angelegenheiten, die mich zu zwischenzeitlichen Pausen gezwungen haben. Das haben vor allem die Schweizer Medien aufgegriffen und teilweise einfach mal spekuliert, dass ich meine Karriere beenden könnte. Ich habe diesen Wunsch allerdings nie geäußert.

Haben Sie die entsprechenden Berichte nicht dementiert?

Vonlanthen: Ich wollte in den Medien nicht über meine Beweggründe sprechen, weil sie eben privater Natur waren. Ich habe damals eine Pause gebraucht und mir eine Auszeit genommen, die mich besonders als Mensch weitergebracht hat. Auf der anderen Seite hat meine Karriere als Fußballer darunter gelitten.

Johan Vonlanthen beendete bereits mit 32 Jahren seine aktive Karriere.
© imago images / Geisser
Johan Vonlanthen beendete bereits mit 32 Jahren seine aktive Karriere.

Johan Vonlanthen über seine Ängste beim Umzug in die Schweiz

Lassen Sie uns zum Beginn Ihrer Karriere kommen. Sie sind in Kolumbien geboren und aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit in Südamerika?

Vonlanthen: Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Ich habe eine gute Schule besucht und viel Zeit auf dem Fußballplatz in einem Dorf namens El Parque, in der Nähe von Santa Marta, verbracht. Ich habe schon sehr früh den Wunsch gehegt, eines Tages Fußballprofi zu werden. 1991 hat meine Mutter Roger Vonlanthen, einen Mann aus der Schweiz, kennengelernt und ist mit ihm nach Europa gezogen. Meine Geschwister und ich sind ihr sieben Jahre später gefolgt.

Und in der Zwischenzeit?

Vonlanthen: Wir haben bei meinen Großeltern gewohnt. Unsere Mutter kam aber regelmäßig nach Kolumbien, um uns zu besuchen. Sie blieb zumeist einen Monat, ehe sie wieder in die Schweiz zurückkehrte. Der längste Zeitraum, in dem ich meine Mutter nicht gesehen habe, belief sich auf zwei Jahre.

Warum sind Sie Ihrer Mutter erst sieben Jahre später gefolgt?

Vonlanthen: Es war von vornherein klar, dass meine Geschwister und ich eines Tages ebenfalls in die Schweiz ziehen würden. Meine Mutter wollte uns aber nicht sofort mitnehmen, weil sie erst einmal ausloten wollte, wie das Leben dort ist. Als Kind habe ich das nicht verstanden, aber rückblickend muss ich sagen, dass sie und mein Stiefvater genau richtig vorgegangen sind.

Als Elfjähriger aus seiner gewohnten Umgebung herausgezogen zu werden und in ein völlig fremdes Land zu ziehen, ist vermutlich nicht einfach. Was waren Ihre größten Ängste, als Sie in die Schweiz kamen?

Vonlanthen: Es war wirklich nicht einfach, das stimmt. Meine größte Angst war, dass ich nie wieder Fußball spielen kann. Natürlich habe ich mir auch Gedanken gemacht, ob ich neue Freunde finde und ob ich die Schule schaffe. Ich konnte kein Deutsch und wusste überhaupt nicht, wie ich mit der Schweizer Mentalität zurechtkommen würde. Als ich im Flieger saß, habe ich mir vor allem eine Frage gestellt: "Was kommt auf mich zu?"

Wie war Ihr erster Eindruck von der neuen Heimat?

Vonlanthen: Ich habe mir die Schweiz ganz anders vorgestellt. Meine Mutter hat uns zwar Fotos gezeigt, weshalb ich das Land immer mit Schnee in Verbindung gebracht habe (lacht). Aber ich wusste zum Beispiel nicht, ob dort überhaupt Fußball gespielt wird. Der einzige Schweizer Spieler, den ich kannte, war Stephane Chapuisat. Er war damals das Aushängeschild und dementsprechend auch in Kolumbien populär.

Johan Vonlanthen: "Fußball bringt die Menschen zusammen"

Sie haben die Sprachbarriere und die Mentalitätsunterschiede bereits angesprochen. Wie verlief Ihre Integration?

Vonlanthen: Die ersten Tage waren wirklich schwierig. Ich war erst eine Woche im Land, bevor ich eingeschult wurde. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich an meinem ersten Schultag sehr nervös war. Ich wurde aufgrund der Sprachbarriere zwei Jahrgänge zurückgestuft und kam in die vierte Klasse. Neben der Schule besuchten meine Geschwister und ich jeden Tag einen zweistündigen Deutsch-Intensivkurs bei einer tollen Lehrerin, die lustigerweise ebenfalls Vonlanthen hieß. Die Angst, vielleicht keine neuen Freunde zu finden, stellte sich recht schnell als unbegründet heraus. Auf dem Pausenhof haben mich die anderen Kindern dazu animiert, mit ihnen Fußball zu spielen. Einige sprachen sogar Spanisch, was die Integration noch einmal erleichtert hat.

Also hat der Fußball einen großen Teil zu Ihrer Integration beigetragen?

Vonlanthen: Definitiv! Der Fußball bringt die Menschen zusammen.

Wann haben Sie erkannt, dass Sie besser mit dem Ball umgehen können als Ihre neuen Freunde?

Vonlanthen: In unserem Wohnort Flamatt habe ich beim ansässigen Fußballverein gekickt und immer sehr viele Tore geschossen. Da habe ich gemerkt, dass ich offenbar ziemlich gut bin (lacht) und plötzlich wurden die Young Boys auf mich aufmerksam. Ich bin nach Bern gewechselt und kurz darauf in die Schweizer U-Nationalmannschaft berufen worden. Es ging wirklich sehr, sehr schnell. Ich habe mich stets selbst unter Druck gesetzt, mir gesagt, dass ich es unbedingt packen muss. Auch mit Blick auf meine Familie in Kolumbien, die ich als Fußballprofi finanziell unterstützen wollte. Ich bin für meine Karriere ein wirklich hohes Risiko eingegangen und habe quasi alles auf eine Karte gesetzt.

Wie schwierig gestaltete sich der Spagat zwischen Schule und Fußball, als sie in Bern spielten?

Vonlanthen: Das war überhaupt kein Problem. Flamatt liegt im Kanton Freiburg und ist nicht weit von Bern entfernt. Die Fahrtdauer mit dem Zug beträgt ungefähr 20 Minuten, also war ich in der Lage den Spagat zu schaffen. Ich denke sehr gerne an diese Zeit zurück.

Woran erinnern Sie sich besonders gerne, wenn Sie an Ihre Zeit in Bern zurückdenken?

Vonlanthen: Ich durfte im Alter von 14 Jahren das erste Mal bei der ersten Mannschaft mittrainieren, das war eine großartige Erfahrung. Mit 15 spielte ich bereits in der U17 und war regelmäßig Teil des Profi-Trainingskaders. Ein Jahr später hieß es plötzlich: Johan, Du gehörst jetzt dazu.