Italiens Nationalmannschaft mit neuer Offensivpower: So krempelte Roberto Mancini die Squadra Azzurra um

Von Gianluca Fraccalvieri
Italien hat in der EM-Quali keinen Punkt abgegeben.
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Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es nun her, dass die italienische Fußballnation durch die wohl größte Krise ihrer Geschichte erschüttert wurde. Heute steht Italien mit neuem Trainer und neuem System da und scheint den Umbruch in kürzester Zeit geschafft zu haben.

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Nach einem planlosen Auftritt gegen Schweden (0:0) im Playoff-Rückspiel im November 2017 war klar, dass 2018 eine Weltmeisterschaft erstmals seit 60 Jahren ohne die Squadra Azzurra stattfinden würde.

In trauriger Erinnerung bleibt der Anblick von Torwart-Legende Gianluigi Buffon, der nach der Partie unter Tränen seinen Abschied aus der Nationalmannschaft verkündete - ein Abschied, den er sich ganz sicher anders vorgestellt hatte: "Es tut mir nicht für mich persönlich leid, sondern für die ganze Mannschaft und das ganze Land."

Von einer "Apokalypse, Tragödie, Katastrophe", schrieb der Corriere dello Sport. "Italien erlebt sein Jahr Null", titelte die Gazzetta dello Sport und Tuttosport mahnte: "Der 13. November 2017 wird in der italienischen Fußballgeschichte als Datum des Debakels in Erinnerung bleiben. Italien muss jetzt das Blatt wenden."

Und tatsächlich kam kurze Zeit später einer, der das Blatt wenden sollte.

Gianluigi Buffon beendete nach der Niederlage gegen Schweden seine Karriere.
© getty
Gianluigi Buffon beendete nach der Niederlage gegen Schweden seine Karriere.

Roberto Mancini bei Italien: Offensivfußball statt Catenaccio

Als einer der Hauptschuldigen an der italienischen Tragödie wurde schnell Trainer Gian Piero Ventura ausgemacht, der mit seiner konservativen Art und defensiven Spielweise im krassen Gegensatz zum Umbruchsgedanken beim Weltmeister von 2006 stand. Dementsprechend schnell wurde er vom Hofe gejagt und durch den ehemaligen Inter-Mailand- und Manchester-City-Trainer Roberto Mancini ersetzt, der seine Berufung als "Auftrag" empfand - und auch wirklich einen konkreten Plan im Gepäck hatte.

Mancini brach Strukturen auf, installierte junge Talente fest in seiner Startelf und verlieh dem italienischen Fußball endlich ein neues Gesicht. In einem 4-3-3-System mit pfeilschnellen Außenstürmern lässt der 54-Jährige spielen und zeigt dabei seine Vorliebe für technisch versierte und dribbelstarke Spieler.

Dazu scheint Mancini genau den richtigen Mix aus junger Unerschrockenheit und geballter Erfahrung gefunden zu haben. Zwölf Spieler aus dem derzeitigen Kader sind 25 Jahre oder jünger. Barella, Zanilo, Zaniolo, Chiesa und Tonali heißen die Pirlos, Gattusos und Del Pieros von morgen.

Barella, Chiesa, Zaniolo, und Tonali sind die Zukunft Italiens

22 (Barella), 22 (Chiesa), 20 (Zaniolo) und 19 (Tonali) Jahre alt sind die neuen Hoffnungsträger der Squadra Azzurra, allesamt spielen sie in der italienischen Liga - noch. Längst haben die Top-Vereine Europas ihre Fühler nach den größten Talenten Italiens ausgestreckt.

Nicolo Barella, der älteste der jungen Wilden, läuft derzeit leihweise für Inter auf und ist einer der Hauptgründe für die starke Saison der Mailänder. Der 1,72 Meter kleine Rechtsfuß ist im zentralen Mittelfeld zu Hause und dürfte der modernen Bezeichnung eines Box-to-Box-Spielers gerechte werden. Mit seiner Spielweise erinnert er an Steven Gerrard.

Ähnliches gilt für Italiens "neuen Andrea Pirlo", Sandro Tonali. Nicht nur die Frisur erinnert an den legendären Mittelfeldregisseur. Tonali hat für seine 19 Jahre bereits eine enorme Übersicht, weiß per Freistoß zu glänzen, erobert sich Bälle vor der Abwehr, spielt Steilpässe aus dem Fußgelenk. Profitieren von diesen Vorlagen sollen vor allem Nicolo Zaniolo und Federico Chiesa.

Zaniolo bietet Italien mit seiner Physis (1,90 Meter) eine neue Variable in der Offensive und ist zudem flexibel einsetzbar, kann seine Qualitäten als offensiver Mittelfeldspieler aber am besten ausspielen. Die Roma verkündete erst kürzlich, den 22-Jährigen nicht einmal für 100 Millionen Euro gehen lassen zu wollen. Für weniger Geld dürfte auch Federico Chiesa die ACF Florenz nicht verlassen. Der Rechtsaußen ist pfeilschnell, allerdings fehlt es ihm teilweise noch am Abschluss.

Diese Youngster gepaart mit der Klasse eines Chiellini, Bonucci oder Quagliarella sind eine vielversprechende Mischung. Auch in der Praxis.

Italien stellt einen Rekord nach dem anderen ein

Nach einigen holprigen Auftritten in der Nations League kamen die Azzurri pünktlich zu Beginn der EM-Qualifikation so richtig ins Rollen. Finnland (2:0), Liechtenstein (6:0) und Griechenland (3:0) wurden ohne Probleme weggefegt, gegen Bosnien-Herzegowina drehten sie nach einer couragierten zweiten Halbzeit einen 0:1-Rückstand. Die alte Liebe zwischen Mannschaft und Nation schien wiederhergestellt.

Dadurch beflügelt pflügte die italienische Offensivmaschine gnadenlos durch die weiteren EM-Quali-Spiele und fand ihren Höhepunkt schließlich im historischen 9:1-Kantersieg am letzten Spieltag gegen Armenien. Neun Tore durfte Italien zuletzt bei den Olympischen Spielen 1928 gegen Ägypten bejubeln. Mancini ist der erste Italien-Trainer, der in der EM-Quali die maximale Punktausbeute holte. Auch elf Siege in Serie gab es noch nie.

Vor allem in der Offensive ist dabei Mancinis Handschrift deutlich zu erkennen. 37 Buden erzielte Italien in den zehn Quali-Spielen insgesamt, nur Belgien (40) und England (ebenfalls 37) halten da mit. Vergleicht man dies mit dem Auftreten den Squadra Azzurra in den vergangenen Jahren, wird die Entwicklung noch deutlicher.

2016 erzielte Italien in zehn Spielen nur 16 Tore, 2012 waren es 20 und 2008 in zwölf Spielen 22. Besonders beeindruckend ist dabei, dass die Defensive nicht unter dem forschen Spielstil zu leiden scheint: nur Belgien und die Türkei (jeweils 3) kassierten in der Quali weniger Gegentore als die Italiener (4).

Aber kann man die Squadra Azzurra nun auch in den Favoritenkreis für die anstehende Europameisterschaft zählen? "Frankreich war im EM-Finale und gewann die WM. Sie sind sehr jung und eines der stärksten Teams. Genauso Spanien. Belgien hat in den letzten fünf, sechs Jahren viele herausragende Talente hervorgebracht. Auch England. All diese Teams sind uns voraus", sagte Mancini. Aber auch: "Vielleicht hat keiner Angst, aber wenn sie wählen dürften, würden alle lieber nicht gegen Italien spielen."

Italiens Abschneiden in der EM-Qualifikation

Pl.MannschaftSp.SUNTorePkt.
1Italien10100037:530
2Finnland1060416:1018
3Griechenland1042412:1414
4Bosnien-Herzegowina1041520:1713
5Armenien1031614:2510
6Liechtenstein100282:312
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