Roger Schmidt bei Beijing Guoan: Rehabilitation oder Auszeit?

Von Christian Schmidt
Roger Schmidt sitzt Anfang Juli bei Beijing Guoan auf der Trainerbank
© getty

Seit Anfang Juli sitzt Roger Schmidt auf der Trainerbank von Beijing Guoan. Nach einem vielversprechenden Start verbuchte der Hauptstadtklub am Saisonende einen enttäuschenden neunten Platz und verpasste die anvisierte Qualifikation zur asiatischen Champions League deutlich. Nach einem halben Jahr steht der extreme Pressing-Stil, den der Coach präferiert, bereits auf dem Prüfstand.

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Im Presseraum von Beijin Guoan sah man an diesem 3. Juli ausschließlich strahlende Gesichter. Roger Schmidt freute sich sichtlich über den warmen Empfang, den ihm die Pressevertreter und die Anhänger des Hauptstadtklubs bei seiner Ankunft bereiteten. Die Vereinsverantwortlichen waren sich sicher, dass ihnen mit der Verpflichtung des ehemaligen Leverkusen-Trainers ein großer Coup gelungen war.

"Roger Schmidt ist ein hervorstechendes Beispiel für aufstrebende deutsche Trainer. Für seinen Pressing-Stil, den er bei RB Salzburg und Bayer Leverkusen hat spielen lassen, bekam er weltweite Anerkennung", ließ der Verein nach der Bekanntgabe der Verpflichtung in einer Pressemitteilung wissen. Bei seinem Ex-Arbeitgeber sorgte die Anstellung derweil für Verwunderung, Rudi Völler sprach in der Sportbild süffisant von einer Auszeit, die sich Schmidt im Reich der Mitte gönne.

Für den Trainer war der Job aber nach seinem von Misstönen begleiteten Aus in Leverkusen die große Chance zur Rehabilitation und zur Aufpolierung seines mit Kratzern versehenen Images.

Schmidt startet mit Siegesserie bei Beijin Guoan

Tatsächlich ließ sich der Start unter Schmidt äußerst verheißungsvoll an. Gegen Tabellenführer Guangzhou Evergrande mit Felipe Scolari an der Seitenlinie setzte sich Guoan zur Premiere unter dem neuen Trainer direkt mit 2:0 durch, auch die folgenden drei Partien wurden siegreich gestaltet.

Medien wie Verantwortliche waren voll des Lobes für den neu implementierten Pressing-Spielstil, der bislang in dieser Intensität in China noch nicht gesehen war. Als Anerkennung für den Erfolgslauf wurde Schmidt im Juli zum Trainer des Monats gewählt.

Auch Manager Li Ming zeigte sich in dieser Phase mehr als angetan von dem deutschen Trainer und dessen akribischem Arbeitsstil. "Er und sein Trainerstab haben täglich von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr gearbeitet. Er kannte alle Spieler unglaublich schnell - all ihre Stärken und wo ihnen noch etwas fehlt", erzählte Li voll Anerkennung im Gespräch mit transfermarkt.de.

Soriano treffsicher nach Wiedervereinigung mit Schmidt

Erfolgsgarant für die Siegesserie zum Auftakt war dabei mit Jonathan Soriano ein Spieler, der Schmidt aus gemeinsamen Salzburger Tagen bereits bestens vertraut war.

"Es ist natürlich ein Vorteil, weil beim spanischen Trainer habe ich nicht so viel gespielt und jetzt unter Roger kann ich wieder spielen und Tore machen", zeigte sich Soriano gegenüber Skysport erfreut über die Zusammenführung mit seinem ehemaligen Coach.

In den ersten vier Partien nach der Amtsübernahme durch Schmidt untermauerte der Spanier seine Worte mit sieben Treffern, die seinem Team neun Zähler einbrachten.

Mit Winterneuzugängen zurück in die Erfolgsspur?

Ausgerechnet das von Felix Magath trainierte Shadong Luneng fügte Schmidt in der fünften Partie beim 2:2-Remis den ersten Punktverlust zu. Soriano zeigte sich in den Folgemonaten deutlich weniger treffsicher als in der Anfangszeit unter Schmidt, mit Burak Yilmaz wurde der einzige weitere verlässliche Torjäger im August an Trabzonspor abgegeben.

Im Verbund mit immer wieder auftretenden Schwächen in der Rückwärtsbewegung führte dies nach nur zwei weiteren Siegen aus den restlichen neun Saisonpartien zu einem enttäuschenden neunten Tabellenplatz und der schlechtesten Klub-Platzierung seit dem Ligabestehen.

Beim Weg zurück in die Erfolgsspur hoffen die Anhänger vor allem auf Verstärkungen in der winterlichen Transferperiode, aus unterklassigen Ligen wurden bislang fünf einheimische Spieler verpflichtet. Als möglicher Königstransfer in der winterlichen Transferperiode ist nach Goal-Informationen Lucas Moura im Gespräch, der bei PSG zum dauerhaften Bankdrücker degradiert wurde und den Kaderplatz des abgewanderten Yilmaz einnehmen könnte.

Schmidt in der neuen Saison schon auf dem Prüfstand

Angesichts der erhofften Neuzugänge in der anstehenden Transferperiode spart das aufgeregte Umfeld des Traditionsklubs noch mit überbordender Kritik an dem Fußball-Lehrer, der in der neuen Spielzeit aber auf dem Prüfstand steht. Durch die ausbleibenden Erfolge zum Saisonausklang wurden bereits erste leise Zweifel an Schmidts Spielsystem laut, die ihm bereits in Leverkusen zum Verhängnis geworden waren.

War er bei der Werkself lange Zeit noch von den Vereinsverantwortlichen in Schutz genommen und für seinen Spielstil gelobt worden, hatten sich im vierten Amtsjahr kaum noch zu kaschierende Abnutzungserscheinungen eingeschlichen.

Es entstand ein gefährlicher Teufelskreis aus ausbleibenden Erfolgserlebnissen und schwindender Überzeugung der Spieler in das schmidtsche System, der immer mehr an Eigendynamik gewann und in eklatanten Lücken in der Defensive und ideenlosen Angriffs-Vorträgen mündete.

China als Sprungbrett zurück nach Europa?

Neben der Nachhaltigkeit seines Spielsystems geht es für Schmidt in der im März beginnenden Spielzeit darüber hinaus auch um seine persönliche Perspektive. Langfristig werden sich die Klubverantwortlichen nicht mit einem Mittelfeldplatz zufrieden geben.

Als siebter Trainer in fünf Jahren wurde Schmidt mit einem Vertrag bis 2019 ausgestattet, um den Hauptstadtklub aus dem grauen Mittelfeld der Tabelle wieder in die nationale Spitzengruppe zu führen und einen ernsthaften Konkurrenten für Abonnement-Meister Guangzhou Evergrande zu formen.

Schmidt selbst sieht das Engagement derweil mittelfristig als Sprungbrett zurück in den europäischen Vereinsfussball, wie er im Gespräch mit dem Westfalenblatt verriet. Ein vorzeitiges Ende der Zusammenarbeit wäre bei der anvisierten Rückkehr in europäische Gefilde aber gewiss nicht förderlich. Statt als Rehabilitation in einem unvoreingenommenen Umfeld wäre das China-Engagement dann wohl tatsächlich nur als Auszeit abzuheften.

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