"Wir sind ins Nationalmuseum geflüchtet"

Stefan Zieglmayer
23. Januar 201808:46
Hendrik Helmke stand beim ägyptischen Top-Klub Al Ahly Kairo unter Vertraginstagram/@dico__7
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Hendrik Helmke ist 30 Jahre alt und hat schon im mehreren Ländern Profifußball gespielt. Der Deutsch-Brasilianer spricht im Interview über seine vielschichtigen Erfahrungen, eine WhatsApp-Gruppe mit Max Kruse und Martin Harnik, die Flucht vor ägyptischen Fans und sein Scouting-Projekt "All about Football".

SPOX: Herr Helmke, Sie haben schon in sechs verschiedenen Ländern Fußball gespielt. Wie oft wurden Sie schon gefragt, ob Sie den Namen Lutz Pfannenstiel kennen?

Hendrik Helmke: Schon öfter, ich habe mich auch informiert. Ganz so extrem war es bei mir dann doch nicht. Er hat ja auf jedem Kontinent gespielt. Das ist und war nie mein Ziel. Die vielen Wechsel haben sich einfach so ergeben.

SPOX: Bereuen Sie irgendeinen Schritt?

Helmke: Nein. Aus fußballerischer Sicht hätten manche Dinge natürlich besser laufen können, aber das weiß man im Nachhinein immer besser. Viele Erlebnisse haben mich aber vor allem menschlich weitergebracht.

SPOX: Inwiefern?

Helmke: Ich habe viele Erfahrungen sammeln können, vor allem auch negative, wie es im Fußball eben oft abläuft, wenn man nicht gerade in der Premier League oder der Bundesliga spielt. Auch da laufen im Hintergrund viele schmutzige Dinge ab, aber nicht so wie in vielen Ländern, in denen ich gespielt habe. Trotzdem bin ich glücklich, so viele verschiedene Orte und Menschen kennengelernt zu haben.

SPOX: Denken Sie nicht manchmal darüber nach, was hätte sein können?

Helmke: Ich denke schon, dass ich mit mehr Glück oder ein paar anderen Entscheidungen eine ganz andere Karriere hätte hinlegen können. Vielleicht hätte ich auch das erreicht, was viele meiner Ex-Mitspieler erreicht haben. Aber so ist eben der Fußball. Es ist nicht immer alles fair. Der Markt ist eben so überfüllt, dass man Glück haben muss.

SPOX: Sie haben unter anderem mit Max Kruse und Martin Harnik zusammengespielt.

Helmke: Ja. Wir haben damals beim SC Vier- und Marschlande alles abgeschossen, was in der Liga war. Wir hatten eine gute Mannschaft und sind in die Bundesliga aufgestiegen. Die beiden sind dann zu Werder Bremen gegangen. Aber es besteht noch Kontakt. Im vergangenen Jahr hatten wir ein Treffen mit allen Spielern der damaligen Mannschaft. Wir haben auch eine WhatsApp-Gruppe zusammen. Gerade erst hat Martin wieder irgendeinen Schwachsinn geschickt, irgendwelche Videos. Er ist der Spaßvogel in der Gruppe.

SPOX: Vor Ihrer Zeit bei Marschlande haben Sie die Jugendakademie des Hamburger SV durchlaufen. Wieso haben Sie den HSV verlassen?

Helmke: Ich habe in der B-Jugend gespielt. Zu der Zeit hat der HSV nicht viel Wert auf die Jugend gelegt. Ich glaube, Rouven Hennings war nach langer Zeit der erste, der es in den Profi-Bereich geschafft hat. Daher hat mir der Abgang aus Hamburg eher gutgetan.

SPOX: Über mehrere Stationen in Deutschland sind Sie 2012 beim IFK Mariehamn gelandet. Aktuell sind Sie zum dritten Mal in Finnland unter Vertrag. Wieso Finnland?

Helmke: Ich hatte dort meine erste Erstliga-Saison. Ich genieße in Finnland einen guten Ruf.

SPOX: Lange blieben Sie aber auch dort nie.

Helmke: Ich wurde bei meiner zweiten Station in Finnland zum besten Spieler der Liga gewählt. Plötzlich konnte ich mich vor Angeboten kaum retten.

SPOX: Sie haben sich 2014 für Tromsö in Norwegen entschieden, den nördlichsten Erstligisten der Welt. Wie kann man sich das vorstellen?

Helmke: 22 Stunden Dunkelheit im Winter. Es ist sehr kalt, dort herrschen extreme Witterungsbedingungen.

Das Alfheim-Stadion in Tromsö vor dem Europa-League-Spiel gegen Tottenham Hotspurgetty

SPOX: Aus sportlicher Sicht war der Wechsel ein Upgrade, auch wenn der Erfolg letztlich ausblieb.

Helmke: Das stimmt. Wir haben in der Europa League gespielt. Wir waren die erste Mannschaft in der Geschichte, die in der Europa-League-Gruppenphase gespielt hat und gleichzeitig in der heimischen Liga abgestiegen ist. Das war sehr unglücklich. Ich hatte einen längeren Vertrag unterschrieben und wollte eigentlich bleiben. Europa League gegen Tottenham, Besiktas und Anzhi zu spielen, war eine tolle Erfahrung, abzusteigen eher nicht.

SPOX: Die Erfahrung kann Ihnen dennoch niemand nehmen. Das Rückspiel in Istanbul zum Beispiel werden Sie vermutlich nicht so schnell vergessen.

Helmke: Allerdings. Wir hatten zuhause gegen Besiktas mit 2:1 gewonnen und wurden schon am Tag vor dem Spiel von den Besiktas-Fans belagert. Sie haben versucht, unseren Schlaf zu stören. Die haben die ganze Nacht Stimmung gemacht, es sind Steine gegen das Fenster geflogen. Es gibt schon verrückte Fans.

SPOX: Für seine Fans ist auch Ihr Ex-Klub Al Ahly aus Ägypten bekannt, für den Sie zwischen 2015 und 2016 aufliefen. Gab es dort ähnliche Grenzerfahrungen?

Helmke: Die Al-Ahly-Fans stehen denen von Besiktas in nichts nach. Das war schon etwas Besonderes. Überall in Ägypten wurde man erkannt und auf der Straße bedrängt. Man konnte sich nicht wirklich frei bewegen. Aber einen solchen Support für die Mannschaft habe ich noch nie erlebt. Gerade vor wichtigen Spielen.

SPOX: Was passiert vor solchen Partien?

Helmke: Es wird das Trainingsstadion gestürmt. Da musste man bis zu vier Stunden vor Trainingsbeginn schon anreisen, weil der Weg dorthin dicht war. Wenn man aus der Kabine kam, hat man nur diese rote Wand aus Fans gesehen. Die Security-Leute waren überfordert, Fans wollten den Platz stürmen.

SPOX: Kann man so überhaupt trainieren?

Helmke: Das war schon ein wenig beängstigend. Unser Trainer ließ uns ein paar Runden laufen, ehe wir das Training abbrechen mussten. Dann musste man noch drei Stunden warten, bis man das Trainingsgelände durch den Hintereingang verlassen konnte. Ich wollte zum Parkplatz gehen, es haben mich sechs, sieben Securities mit Schlagstöcken begleitet. Sobald wir aus der Tür rausgingen, hat man nichts mehr gesehen. Das waren hunderte Fans. Sie haben die Securities umgeschmissen und wir sind einfach alle gerannt. Ich hatte Flip-Flops an. Wir liefen zur Straße und wollten in Taxis springen, aber selbst dafür war keine Zeit.

SPOX: Klingt nicht unbedingt nach Spaß.

Helmke: Das war wirklich zu viel. Man hätte totgetrampelt werden können. Wir sind dann ins Nationalmuseum geflüchtet. Dort waren wir eine halbe Stunde gefangen. Das ist eine andere Welt.

SPOX: Ist Ägypten in vielerlei Hinsicht extrem?

Helmke: Ich habe anfangs ein paar Sachen hinterfragt, aber die Leute haben für alles eine Erklärung, egal, wie lächerlich das in unseren Augen ist. Dort ist man sehr rückständig, was Gesetze oder das Denken über Frauen betrifft. Man hat viel Armut gesehen, die Schere zwischen Arm und Superreich ist schon sehr extrem. Es ist dort selbstverständlich, dass die Spieler Menschen auf der Straße Geld geben.

SPOX: Fühlten Sie sich sicher?

Helmke: Ich habe oft Nachrichten aus Deutschland bekommen, weil in den Medien von irgendwelchen Autobomben im Zentrum berichtet wurde. Komischerweise habe ich kaum etwas mitbekommen. Die Stadt hat mir dennoch nicht wirklich gefallen.

SPOX: In Malaysia fanden Sie es paradiesisch. Im Februar 2013 sind Sie zu Sabah FA gewechselt.

Helmke: Das stimmt. Natürlich war das nicht mein Wunschwechsel, aber es hatten sich einige Angebote zerschlagen, sodass mir fast nichts anderes übrig blieb. Ich wusste auch gar nichts über das Land. Ein ehemaliger Teamkollege ist dahin gewechselt, der hat mir von Malaysia erzählt. Es hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen. Nach nur sechs Wochen wurde ich sogar direkt zum Kapitän ernannt.

SPOX: Wieso sind Sie nicht dortgeblieben?

Helmke: Leider sind wir abgestiegen. Damals gab es diese blöde Regelung, dass ausländische Spieler nicht innerhalb der Liga wechseln dürfen, es sei denn, man spielt zwei, drei Jahre in irgendeinem anderen Land. Dann durfte man auch zu einem anderen malaysischen Verein wechseln. Eine richtig lächerliche Regelung, die etwa ein halbes Jahr nach meinem Weggang aufgehoben wurde. Sonst wäre ich vielleicht dort geblieben.

SPOX: Trotzdem scheinen Sie nicht damit zu hadern.

Helmke: Nein. Ich habe gemerkt, dass viele ausländische Spieler dort ihre Karriere ausklingen lassen und nochmal ordentlich Geld einstreichen. Ich war gerade mal 23 Jahre alt, habe mich gut gefühlt und war ein wenig zu jung für diese Liga.

SPOX: Wie bewerten Sie solch horrende Gehaltszahlungen?

Helmke: Das hat Dimensionen angenommen, die man nicht mehr gutheißen kann. Wenn man sieht, wieviel Armut es auf der Welt gibt, finde ich das verantwortungslos, wie mit dem Geld im Fußball herumgeschmissen wird. Andererseits kann man die Fußballer natürlich nicht kritisieren, wenn sie ein solches Gehalt annehmen. Warum sollte ein Spieler sagen: Ich will nicht so viel verdienen? Wie man das verdiente Geld dann einsetzt, ist deren Sache.

SPOX: Zerstört Geld den Fußball?

Helmke: Das wird man sehen. Ich habe schon von vielen Leuten gehört, dass sie sich nicht mehr so für Fußball interessieren, weil es ein riesiges, schmutziges Geschäft geworden ist.

SPOX: Welche Rolle spielt Loyalität Ihrer Meinung nach noch?

Helmke: Fußball ist einfach ein Geschäft geworden. Jeder versucht irgendwie Geld zu machen - egal, ob Berater, Vereine oder die Spieler selbst. Man denkt eher egoistischer und versucht so erfolgreich zu sein, wie es eben geht. Da spielt Loyalität heute keine große Rolle mehr.

SPOX: Was hat sich verändert?

Helmke: Die Interessen haben sich verschoben. Heute kann es passieren, dass ein Spieler nach einem schwachen halben Jahr direkt wieder abgeschoben und der nächste Spieler gekauft wird. Es kann aber auch sein, dass ein Spieler sehr gute Leistungen zeigt und eigentlich bleiben will, bei einem guten Angebot aber verkauft wird, damit der Verein Profit schlagen kann.

SPOX: Am Ende bleiben viele Spieler auf der Strecke.

Helmke: Genau. Es läuft nicht immer alles glatt, wenn man nicht gerade einen Zehn-Jahresvertrag bei Barcelona unterschreibt.

SPOX: Ihre Erfahrungen wollen Sie nun weitergeben. Was hat es mit dem Projekt "All about Football" auf sich?

Helmke: Ich habe die Firma zusammen mit meinem Bruder aufgebaut. Wir haben die Absicht, talentierten Spielern eine ehrliche Plattform zu bieten - ohne falsche Berater und Leute, die nur Geld verdienen wollen.

SPOX: Wie genau funktioniert das in der Praxis?

Helmke: Wir veranstalten Scouting-Events - bisher nur in Brasilien - und lassen Profi-Scouts aus verschiedenen Ländern und Ligen einfliegen, die wirklich auf der Suche nach Spielern sind. Der Andrang ist sehr groß. Hier in Brasilien gibt es wirklich sehr viele talentierte Spieler, die dann aber einfach aufhören, weil sie keinen Profivertrag bekommen haben. Es gibt hier unglaubliches Potenzial, das aufgrund des schlechten Ligasystems aber nicht entdeckt wird.

SPOX: Welche Scouts kommen zu solchen Events?

Helmke: Es kommen Scouts aus Finnland und vor allem einheimische. Aber uns wurde auch schon Interesse aus Amerika, Kanada und Mexiko bekundet. Es gibt in Bahia auch eine Jugendakademie von Inter Mailand. Daher arbeiten wir auch mit den Italienern zusammen. Sie sind natürlich vor allem an U18-Spielern interessiert. Alle sind auf einen Goldjungen aus, mit dem man später viel Geld verdienen kann. Je jünger, desto besser.