Willy Sagnol: Der Gärtner

Von Für SPOX in Paris: Stefan Rommel
Willy Sagnol spielte von 2000 bis 2009 für den FC Bayern München
© Imago

Am Mittwochabend trifft Deutschland in Paris auf Frankreich. Willy Sagnol ist beim französischen Verband unterwegs in heikler Mission. Der ehemalige Bayern-Star soll die Verfehlungen der Vergangenheit aufarbeiten und der Jugendausbildung starke Werte und ein neues Konzept verpassen. Der Weg dahin ist bisher aber gezeichnet von Stolperfallen.

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Ein Taxi fährt durch die Nacht, es soll von Paris zurück nach Le Havre gehen. An Bord sitzen fünf junge Männer, mittelschwer betrunken. Yann M'Vila, Wissam Ben Yeder, Chris Mavinga, Antoine Griezmann und Nesthäkchen M'Baye Niang waren feiern. So, wie es junge Twens manchmal machen.

Partynacht in Paris

Vier von ihnen haben 24 Stunden davor beim Playoff-Hinspiel der U 21 Frankreichs gegen Norwegen auf dem Platz gestanden. Es geht um die Qualifikation zur Europameisterschaft im kommenden Jahr, die Equipe Tricolore gewinnt 1:0. Vier Tage später wird das Rückspiel stattfinden.

Trainer Eric Mombaerts liegt in Le Havre in einem Hotel und hat keine Ahnung, dass ein paar seiner Spieler die Vorbereitung auf die entscheidende Partie in den Party-Distrikt der Hauptstadt verlegt haben. In Drammen fliegt seine haushoch favorisierte Auswahl am Dienstag darauf aus der Qualifikation. Zwischenzeitlich liegt Frankreich mit vier Toren hinten, am Ende heißt es 3:5.

Es ist nicht nur unbedingt das Ausscheiden an sich, das dritte in Folge einer französischen U 21 in der Qualifikation für eine Europameisterschaft. Es sind die abermaligen Undiszipliniertheiten, der Leichtsinn, das asoziale Verhalten den Mannschaftskollegen und damit letztlich auch den französischen Fans gegenüber, der den Vorfall von Le Havre beinahe zu einer großen Krise im FFF auswachsen lässt.

Sagnol soll Ordnung schaffen

Der französische Verband ist in dieser Beziehung schwer gebrandmarkt und sensibel. Die letzten beiden großen Turniere der A-Nationalmannschaft verkamen teilweise zu einer einzigen Schmierenkomödie. Die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika mit ihrer offen zur Schau gestellten Spielerrevolte bleibt als dunkelstes Kapitel der 120-jährigen Geschichte des Verbands in Erinnerung. Bei der EURO im letzten Sommer sollte alles anders werden und blieb am Ende doch so gleich.

Die Eskapade der U-21-Nationalspieler entfachte deshalb eine große Debatte über die Sinnhaftigkeit der Jugendausbildung in Frankreich. Die war vor zehn, 15 Jahren absolute Weltspitze, und vielleicht ist sie das rein sportlich gesehen auch heute noch. Der FFF hat die Probleme außerhalb des Trainingsplatzes vor geraumer Zeit bemerkt. Die Mängel im Sozialverhalten, in der Persönlichkeitsbildung.

Von den Säulen der Spielerausbildung - Athletik, Technik, Taktik und Persönlichkeit - konnte Letztere mit der rasanten Entwicklung in anderen Bereichen nicht mehr mithalten. Deshalb wurde innerhalb der Direction Technique National (DTN) eine neue Stelle geschaffen und mit ihm besetzt: Willy Sagnol, ehemaliger Nationalspieler und Profi bei Bayern München, AS Monaco und Saint-Etienne.

Frankreich wieder gefährlich

Seit Oktober 2011 ist er Sportdirektor der DTN, eine Art Robin Dutt Frankreichs. "Willy Sagnol wird die Jugendauswahlmannschaften koordinieren, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen", hieß es damals in der schmucklosen Pressemitteilung des FFF.

Präsident Noel Le Graet fand im wahrsten Sinne etwas blumigere Worte. "Wir haben hier hunderte von Pflanzen zu bewässern, damit sie gedeihen und wir später viel Freude an ihnen haben. Willy soll dabei helfen, die wertvollen unter ihnen großzuziehen."

Le Graet, ein erfolgreicher Unternehmer in der Lebensmittel- und Tierfutterbranche, hat sich dabei verkniffen, was die meisten unweigerlich dachten: Dass es von nun an auch an Sagnol ist, die faulen Äpfel auszusortieren, bevor sie andere vergiften.

In Deutschland haben sie die Installation von Sagnol mit großem Respekt goutiert. "Die Franzosen machen mir Sorgen. Willy Sagnol wird da jetzt Sportdirektor. Wenn der das FC-Bayern-Gen in den französischen Verband bringt und die wieder erfolgsorientierter arbeiten, dann wird es gefährlich, weil sie in jeder Altersstufe über außergewöhnliche Spieler verfügen", sagte Sagnols damaliges deutsches Pendant Matthias Sammer.

Viel Aufwand, wenig Ertrag

"Meine Aufgabe ist mit der von Matthias Sammer beim DFB zu vergleichen: Ich bin für alle Nachwuchsmannschaften verantwortlich. Sowohl für das Organisatorische wie für das Sportliche", sagte Sagnol damals und bediente ebenfalls jene Metapher: "Mit meinem Bayern-Gen versuche ich dieses Selbstverständnis zu implementieren. Wir wollen wieder Erfolge wie in den 90er Jahren."

Die ersten 15 Monate im Amt haben aber auch Sagnol erste Grenzen aufgezeigt. Ganz so einfach ist die Sache in dem in einen Profi- und 22 Regionalverbände gegliederten Riesenapparat nicht. In Frankreich sind ca. 1,7 Millionen aktive Fußballer registriert, verteilt auf rund 17.000 Klubs. Sagnol ist sowohl für den Leistungs-, als auch für den Breitensport zuständig, im Prinzip also für alle jugendlichen Fußballspieler des Landes.

Das Fachmagazin "France Football" hat vor wenigen Wochen markante Eckdaten veröffentlicht, die den enormen Aufwand des Verbandes dokumentieren.

150 Mitarbeiter im zentralen Leistungszentrum Clairefontaine sind nur mit der Jugendausbildung beschäftigt, letzte Saison gab es üppige 81 Lehrgänge für alle Jahrgangsstufen, 11.000 Tage wurden die Schüler oder Auszubildenden für den FFF freigestellt. 30.000 zertifizierte Lehrer und Übungsleiter unterhält der Verband. Der Ertrag: Der erste Weltmeistertitel der U-17-Juniorinnen - just an jenem Abend errungen, als die fünf Jungs im Taxi saßen.

Letzter U-21-Titel noch mit Blanc und Cantona

Zwar kann Frankreich bei den Männern immer noch auf herausragende Zahlen verweisen. Mit 17 Teilnahmen an Endturnieren der U 21, U 19 und U 17 seit 2002 liegt Frankreich hinter Spanien an zweiter Stelle. Und nur Spanien (neun) und die Niederlande (vier) haben da mehr Titel geholt als Frankreich (drei).

Die Speerspitze der Jugendausbildung, die männliche U 21, hat aber seit Jahren schon nichts mehr vorzuweisen. Der letzte Titelgewinn datiert aus dem Jahr 1988, unter anderem mit Spielern wie Laurent Blanc, Jocelyn Angloma und Eric Cantona.

Wie andere Nationen auch hat Frankreich im Jugendbereich mit der Frage zu kämpfen: Ausbildung oder Ergebnisse? Und wie so oft steht dem Ziel ein Haufen Bürokratie im Weg. Clairefontaine arbeite nicht mehr konsequent, verliere sich in nichtigen Details, sagen zumindest die Experten. Eine gewisse konzeptionelle Planlosigkeit wurde demnach mit immer neuen Posten zugekleistert. An den grundlegenden Problemen kann aber auch ein aufgeblähter Apparat nichts ändern.

Sagnol will einheitliches Konzept

Es gibt immer noch keine einheitliche Spielphilosophie für alle U-Mannschaften, die Trainingsschwerpunkte sind unterschiedlich gesetzt. "Ich will, dass sich bei der Ausbildung der Kicker zukünftig alle einer Linie unterwerfen. Das war früher nie der Fall und es gab zu viele Extreme zwischen den einzelnen U-Bereichen", sagt Sagnol. "Mir wurde damals auch nie gesagt, was eigentlich unsere Spielphilosophie ist und was man von den Spielern verlangt."

Der FFF habe immer nur versucht, die Lücken zu stopfen, so Sagnol. "Durch unsere ehemaligen Kolonien hatten wir immer einen Überschuss an Riesentalenten. Trotzdem gab es in den vergangenen Jahren sehr viele Probleme. Einige Akteure haben nicht verstanden, dass Opferbereitschaft die Voraussetzung dafür ist, ein großer Spieler zu werden."

Von planvoller und nachhaltiger Arbeit in der Trainingssteuerung sei in den letzten Jahren ebenfalls nicht viel zu sehen gewesen. In der Kritik stehen deshalb auch die Trainer selbst.

Der Verband ist bestrebt, hauptsächlich ehemalige Profis als Übungsleiter zu gewinnen. "Wir haben sicher nicht die besten Trainer der Welt. Aber wir wollen auch nicht immer nur Resultate sehen. Unser Hauptleitfaden ist und bleibt die Ausbildung der Spieler und der langfristige Aspekt unserer Arbeit."

Werte, Disziplin, Respekt

Dazu gibt es streitbare Köpfe wie den Technischen Direktor Francois Blaquart. Der war im Zuge der "Quoten-Debatte" für dunkelhäutige Spieler erst gefeuert und später doch wieder eingestellt worden. Für Nebenkriegsschauplätze wie diese hat Sagnol keine Zeit. "Ich sehe mich in erster Linie zuständig für die Vermittlung von Werten, für die eindeutige Identifikation mit dem Nationaltrikot, für Integration, Disziplin, Respekt."

Dabei berichtet er regelmäßig und direkt auch an Nationaltrainer Didier Deschamps. Früher war diese Schnittstelle ein Problem. "Willy und ich kennen uns noch aus Spielerzeiten, wir haben einen guten Kontakt zueinander", sagt Deschamps auf SPOX-Nachfrage. "Wir tauschen uns zusammen mit dem Präsidenten viel aus, besprechen die Entwicklungen in den U-Mannschaften und reden über Spielsysteme und -ausrichtungen."

Die Franzosen, einst mit ihrem zentralen Ausbildungszentrum Vorreiter für viele andere Nationen, hecheln einem Rückstand hinterher. "Es wurde nie langfristig gearbeitet", sagt Sagnol allgemein, um dann nochmal speziell zu werden.

Harte Strafe für M'Vila

"Jedes Endturnier im Jugendbereich ist unsere Referenzgröße, auch für die anderen Verbände. Da müssen wir dabei sein, das definiert unsere Arbeit. Und wir müssen schauen, dass wir unser Image in den Griff bekommen."

Eine erste Maßnahme des Verbands nach der Party-Nacht vom Oktober war, die U 21 für die nachfolgenden Spiele aus dem Spielplan zu nehmen und durch die U 20 quasi zu ersetzen. Coach Mombaerts wurde entlassen, er trainiert jetzt - Ironie des Schicksals - den Zweitligisten Le Havre.

Dazu wurden vier hoffnungsvolle Spieler bis Ende 2013, Yann M'Vila sogar bis zur WM 2014 für internationale Verbandsspiele gesperrt. Ein echtes Exempel statuiert. Wobei diese Sperre nun in den letzten Monaten zur Bewährung gelockert wurde. "So etwas darf nie wieder passieren", sagt Willy Sagnol. Denn, das weiß er spätestens jetzt nur zu gut: Jede weitere Verfehlung fällt automatisch auch auf ihn zurück.

Das ist die Federation Francaise de Football