"So eine Politik verstehe ich nicht"

Von Interview: Kevin Bublitz / Mark Heinemann
Kritisiert die Einkaufspolitik englischer Vereine: Dresdens Trainer Ruud Kaiser
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SPOX: Sie waren auch lange Zeit im Nachwuchsbereich des niederländischen Fußballverbands aktiv. Wie wird dort gearbeitet?

Kaiser: In den Niederlanden gibt es von der frühesten Jugend an ein einheitliches Spielsystem. Entweder 4-3-3 oder 3-4-3. Darauf ist das gesamte Training ausgerichtet. Zudem wird viel mit dem Ball trainiert und die Spieler lernen früh alles in den Bereichen Technik, Kombination und Taktik. Das ist die Basis.

SPOX: Wieso hat man den Eindruck, dass die Niederlande im Vergleich zu Deutschland viel leichter neue Top-Spieler hervorbringen?

Kaiser: Es gibt auch immer wieder gute deutsche Talente. Aber Holland ist viel kleiner, dadurch fällt es leichter, schon recht früh die wirklich besten Talente gegeneinander spielen zu lassen. Dementsprechend ist es auch viel leichter, ein gut funktionierendes Scoutingsystem aufzubauen.

SPOX: Sie haben das Scoutingsystem des niederländischen Verbands mitentwickelt. Wie sieht das aus?

Kaiser: Wir sind schnell und effizient, weil wir ein gutes und effektives Netzwerk installiert haben. Als ich Trainer der U17-Nationalmannschaft war, hatte ich allein zwanzig Scouts zur Verfügung, die in ganz Holland unterwegs waren und Informationen gesammelt haben. Diese Informationen habe ich gesichtet. Ich konnte selbst aufgrund der kurzen Distanzen in Holland an einem Wochenende manchmal bis zu drei Spiele sehen. Dadurch bekommt man schnell einen guten Überblick. Auch das ist deutlich einfacher als in Deutschland, wo man auch mal 600 Kilometer für ein Spiel hinter sich bringen muss.

SPOX: 2005 haben sie den dritten Platz bei der U17-Weltmeisterschaft in Peru geholt.

Kaiser: Solche Erlebnisse sind wichtig für junge Spieler. Die Jungs waren vier Wochen zusammen unterwegs und mussten sich in der Favoritenrolle gegen Mannschaften wie Katar behaupten. Der Jahrgang von 1988 hat innerhalb von zwei Jahren insgesamt 23 Spiele zusammen gemacht und dabei unheimlich viel gelernt. Der dritte Platz war der bislang größte Erfolg einer niederländischen U17-Auswahl.

SPOX: Zuvor haben Sie heutige Topstars wie van der Vaart, Sneijder, van Persie, Robben und De Jong entdeckt.

Kaiser: Entdeckt wurden sie von ihren Vereinen und dort auch ausgebildet. Bei uns haben sie mit Spielen gegen Brasilien, Spanien oder auch die Türkei erste internationale Erfahrungen gesammelt.

SPOX: Wie war Rafael van der Vaart?

Kaiser: Er war für seine damals 16 Jahre mental unheimlich stark und sehr professionell. Er hat sich auf dem Platz schon sehr schlau verhalten und immer an seinen Fähigkeiten gearbeitet. Das war bewundernswert. Bei Wesley Sneijder und Arjen Robben war es ähnlich.

SPOX: Haben Sie Huub Stevens' Vorwürfe in Richtung van der Vaart mitbekommen?

Kaiser: Ja. Eigentlich sollte man sich nicht extra eine Gelbe Karte abholen, um mit seiner Frau den Geburtstag zu feiern. Wenn Rafael professionell denkt, und nur so kenne ich ihn, dann macht er so etwas nicht. Ich hätte als Trainer der U17 auch nicht einfach sagen können, dass ich mal zu Hause bleibe, weil ich meine Frau vermisse. Ich weiß aber auch nicht, ob die Geschichte wirklich stimmt.

SPOX: Muss man als Spieler auch ein Schlitzohr sein, um erfolgreich zu werden?

Kaiser: Man muss schlau und gewitzt sein. Solche Spieler kann jede Mannschaft gebrauchen. Es dürfen nur nicht zu viele sein.

SPOX: Hat sich bei Ihnen denn nie mal einer nachts aus dem Hotel geschlichen?

Kaiser (lacht): Nein. So was in der Art habe ich nie erlebt. Die Jungs waren immer sehr diszipliniert. Etwas anderes habe ich zumindest nicht mitbekommen, auch wenn bei jungen Leuten so etwas natürlich mal passieren kann. Fakt ist, wenn wir uns trafen, wollten wir das nächste Spiel gewinnen.

SPOX: Dann gibt es kein Haar in der Suppe?

Kaiser (lacht): Natürlich konnten wir auch feiern. Das gehört doch dazu. Als wir 2005 in Italien das EM-Finale gegen die Türkei mit 2:0 verloren hatten, waren die Spieler sehr enttäuscht. Ich habe Ihnen gesagt, dass sie stolz sein können. Wir sind in eine Disco gefahren, wo die Jungs mit hübschen Italienerinnen getanzt und gefeiert haben. Danach ging es mit unseren Medaillen um den Hals ins Hotel zurück und wir alle haben gut geschlafen. Man muss auch mal den Kopf frei bekommen.

SPOX: Gibt es schon wieder hoffnungsvolle Talente im holländischen Fußball?

Kaiser: In Holland gibt es immer Talente. Die Nationalmannschaft wird keine Probleme bekommen, die Vereine schon eher.

SPOX: Wieso das?

Kaiser: Weil Klubs wie Arsenal, Chelsea, Liverpool und Tottenham, die holländischen Spieler mittlerweile schon mit 15 Jahren aus den Vereinen wegkaufen.

SPOX: Dafür zahlen sie aber auch gut.

Kaiser: Natürlich. Aber Vereine wie Feyenoord Rotterdam, Ajax Amsterdam, Twente Enschede oder auch PSV Eindhoven bilden die Spieler quasi für die Vereine in England aus. Das ist nicht gut für die Entwicklung dieser Spieler, und das ist nicht gut für den holländischen Fußball.

SPOX: Aber sind die Spieler nicht früher auch schon ins Ausland gewechselt?

Kaiser: Klar, aber nicht mit 15, 16 oder 17 sondern erst mit 24 oder 25 Jahren. Das ist ein großer Unterschied.

SPOX: Wieso?

Kaiser: Sie kommen sehr früh in eine ungewohnte Umgebung, ihnen fehlt der elterliche Halt und der Druck ist deutlich höher. Wenn die jungen Leute nach drei Jahren nicht den Sprung in die erste Mannschaft schaffen, schickt man sie wieder weg. Dann haben sie zwar gutes Geld verdient, im Endeffekt aber eher einen Schritt zurück gemacht, denn im Profigeschäft haben sie bis dato nicht gespielt. Bei ihren Vereinen in Holland hätten sie diese Erfahrungen gesammelt.

SPOX: Es werden so also hoffnungsvolle Nachwuchskräfte verheizt?

Kaiser: Ja. Einer meiner U17-Spieler ging mit 16 Jahren von Eindhoven zu Arsenal und spielte dort zwei Jahre lang in der A-Jugend. Jetzt haben sie ihn in die zweite holländische Liga ausgeliehen. Das sagt doch alles. Ich könnte Ihnen noch einige Beispiele nennen. Die Frage ist doch, warum macht man so was? Wieso reißt man junge Talente aus ihrem gewohnten Umfeld, obwohl sie im Endeffekt eine viel geringere Chance auf Einsätze in der ersten Mannschaft haben, als ein fertiger Spieler? Das ist nicht gut. Man sollte die Jungs in Ruhe reifen lassen. Davon hätten beide Seiten mehr.

SPOX: Sie haben angesprochen, dass den niederländischen Vereinen früh die Talente weggekauft werden. Ist das der Grund für die Erfolglosigkeit auf internationaler Ebene?

Kaiser: Das ist ein wichtiger Punkt. Unsere Spieler sind inzwischen alle in England, Spanien oder Deutschland aktiv. Dadurch hat zum Beispiel Ajax Amsterdam bereits seit Jahren nicht mehr das Niveau alter Tage. Überlegen Sie mal, was dort los wäre, wenn Johnny Heitinga, Wesley Sneijder und Rafael van der Vaart oder Ryan Babel noch bei Ajax spielen würden. Jetzt ist Klaas-Jan Huntelaar auch wieder weg. Natürlich gibt es oft auch gute Ablösesummen, die Talentförderung kostet aber auch viel Geld. Und welche Spieler soll man von dem Geld holen?

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