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Atalanta Bergamos berüchtigte Fanszene: Für die Göttin, gegen den Rest

Von SPOX
Atalantas Ultras werden in Italien gefürchtet und verehrt
© getty

Sie sind die Labormäuse der italienischen Justiz, hassen jeden und kümmern sich um Obdachlose: Die Ultras von Atalanta Bergamo werden in Italien gefürchtet und verehrt. Am Donnerstag kommen die Atalantini nach Dortmund (19 Uhr im LIVETICKER).

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Die Bundespolizei Nordrhein-Westfalen weiß, wer da auf sie zukommt. Wenn Atalanta Bergamo - von den eigenen Anhängern ehrfürchtig La Dea genannt, die Göttin - zum Hinspiel der Europa-League-Zwischenrunde im Signal Iduna Park antritt, wird die Polizei ihre Einsatzkräfte aufstocken.

So wird nicht nur der berüchtigte Gast aus der Lombardei erwartet. Seit beinahe 20 Jahren existiert ein Ultra-Bündnis mit der Frankfurter Eintracht, ebenso nicht als die pflegeleichtesten Anhänger in Fußball-Europa verschrien. Beide Fanlager unterstützen sich, im positiven wie negativen Sinn: Im November gab es bei einer Massenschlägerei am Rande des Spiels Everton gegen Atalanta in der Innenstadt von Liverpool zehn Festnahmen. Acht der Männer kamen aus Frankfurt.

Einen kleinen Vorgeschmack auf die Atalantini bekam der BVB selbst bereits im August. Zum Testspiel gegen Bergamo während des Trainingslagers reisten weit über tausend Fans aus der Lombardei nach ins österreichische Altach. Mit Fahnen, Fackeln - dem vollen Programm. Atalanta gewann mit 1:0.

Il Bocia einte Atalantas Ultra-Gruppierungen zur Curva Nord

Dass Atalantas Fanszene und seine Ultras immer noch in diesem Ausmaß aktiv sind, ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Die Fußballfans aus Bergamo müssen sich in Italien mit einer der härtesten Verfolgungen der Ordnungsbehörden auseinandersetzen. "Viele Geschichten werden am Beispiel Atalanta ausprobiert", erklärt Kai Tippmann, Italien-Experte und Blogger, gegenüber SPOX.

Die Geschichte der Ultras geht zurück bis ins Jahr 1976, als sich mit der Brigate Neroazzure die erste Gruppierung im Stadio Atleti Azzurri d'Italia gründete. Ein gewisser Claudio Galimberti, genannt Il Bocia, einte die mittlerweile zahlreichen Gruppen als legendärer Capo kurz vor der Jahrtausendwende zur Curva Nord - und formte so eine der berüchtigtsten Kurven Italiens.

Eine Kurve, die von Abneigung und Feindseligkeit lebt. "Ci stanno sul cazzo tutti" - "Wir hassen jeden" - hat Il Bocia einmal gesagt. Die wenigen Verbündeten in Italien und Europa haben wie die Curva Nord eine politisch eher linke Ausrichtung, wie eben die Frankfurter Eintracht. Eine Kurve auch, die weder vor Gewalt noch vor klaren Haltungen der Politik gegenüber zurückschreckt. Als die Tessera del Tifoso, der extrem ungeliebte personalisierte Fanausweis 2009 eingeführt wurde, boykottierten die Atalantini jahrelang alle Auswärtsspiele.

Für Italiens Polizei und Justiz sind Repressionen und Strafen die beliebteste Maßnahmen, um die Fankultur an sich und vor allem Querulanten wie die Anhänger Atalantas zu bekämpfen. Das führt in Bergamo zu seltsamen Auswüchsen. So wurde schon versucht, die Curva wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen. Auch gab es sonderbar widersprüchliche Urteile und Strafen gegen Capo Galimberti: einmal durfte er sich jahrelang nicht mehr in Bergamo aufhalten, dann durfte er jahrelang die Stadt nicht verlassen.

Erst im Oktober wurde die beim im Sommer 2015 zu drei Jahren Haft verurteilten Il Bocia angeordnete Sonderüberwachung aufgehoben. Eine Maßnahme, die normalerweise bei Menschen eingesetzt wird, die als "Gefahr für die Gesellschaft" eingestuft werden. Mehrfach wurde dieses Gesetz bereits wegen der Einschränkungen der Freiheitsrechte in Italien und der EU kritisiert.

Curva Nord genießt den Rückhalt in Bergamos Bevölkerung

Doch alle Schikanen haben die Curva Nord nicht in die Knie gezwungen. Im Gegenteil. Es kommt zu einer großen Solidarisierung innerhalb der Fanszene, einem Jetzt-erst-recht-Gefühl. Frei nach dem Motto: Wenn ihr zehn von uns ins Gefängnis setzt, kommen wir beim nächsten Spiel mit 100 Mann mehr.

Auch in Bergamo und dem Umland genießen die Ultras großen Rückhalt. Sie sind stark mit der Stadt und der Region verwurzelt und sehr präsent - Aktionen für Obdachlose, Spendensammlungen oder ähnliche Dinge finden regelmäßig statt. Jedes Jahr organisiert die Curva Nord La Festa della Dea - das Fest der Göttin - um mit den Leuten in Kontakt zu treten. "Viele Nicht-Kurvengänger kommen zu ihrem Fest, informieren sich dementsprechend und sind solidarisch mit der Kurve", sagt Tippmann.

Viele Strategien und Maßnahmen der Ordnungsbehörden, die darauf abzielen, die Ultras zu diffamieren, bis hin zur Deklarierung als Terroristen, laufen in Bergamo somit ins Leere.

Und trotz aller Feindseligkeiten gegen gefühlt alles und jeden werden die Atalantini in der Fanszene Italiens verehrt. "Sogar in den verfeindeten Kurven", sagt Tippman, "wird Atalanta immer höchster Respekt gezollt". So zum Beispiel im Jahr 2005, als die Ultras von Brescia ein Stadioverbot für Galimberti öffentlich mit den Worten "Nemico leale, Boci non mollare!" - "Bocia, unser loyaler Feind, gib nicht auf!" - kommentierten.

Brescia ist Atalantas Erzfeind.

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