Die Geschichte einer Feindschaft

Von Für SPOX.com in Ascona: Stefan Rommel
Fast wie beim Kickboxen: Fraydl mit der Faust, Lothar Emmerich mit dem Fuß.
© Imago

Ascona - Josef Hader ist ein ewiger Nörgler. Der Kabarettist schimpft gerne und viel - besonders über sein Heimatland Österreich.

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Ein sehr charakteristisches Wesensmerkmal des gemeinen Ösis, findet der 46-Jährige. Hasslieben pflegt er einige. Auch die zu Deutschland.

"Österreich muss man sich vorstellen wie eine übrig gebliebene DDR." Soll nichts anderes heißen, als dass das Nachbarland ganz schlimm unter Minderwertigkeitskomplexen dem großen Bruder gegenüber leidet.

Von Meisel bis Harnik

Viele davon generierten sich im Laufe der Zeit auch im Sport, besonders im Fußball. Seit genau 100 Jahren treffen Österreich und Deutschland nunmehr schon aufeinander, insgesamt 34 Mal.

SPOX.com erinnert an kühne Begebenheiten und zeichnet die Geschichte einer innigen Feindschaft. Von Meisels Wunderteam über den braven Abramczik bis zu Harniks flottem Mundwerk.

29. Juni 1912: Olympische Spiele in Stockholm, das erste Pflichtspiel überhaupt. Zuvor gab es nur zwei Freundschaftsspiele (zwei knappe Siege für Österreich). Deutschland führt zur Pause überraschend 1:0, dann aber erleidet Tormann Weber eine Gehirnerschütterung.

Auswechslungen gab es damals noch nicht, das deutsche Flehen um die Einwilligung zum Tormannwechsel (damals noch Regel) blockt der Gegner schroff ab. Weber muss benebelt durchspielen und kassiert in der zweiten Halbzeit fünf Gegentore.

24. Mai 1931: In Berlin setzt es die höchste deutsche Niederlage aller Zeiten. Beim 0:6 fegt Hugo Meisels Wunderteam wie ein Orkan über die Deutschen hinweg. Meisel, Bankkaufmann, Offizier, beinahe Außenminister der Tschechoslowakei, war der Vater des damals besten Teams des Kontinents, besser noch als das ewige England.

Die besten Bilder vom Duell der Nachbarn

Die Blüte des österreichischen Fußballs. Meisel macht den rauen Proletensport im feinen Wien en vogue und schafft neben der ersten Profiliga in Europa auch den Mitropacup, den ersten Pokalwettbewerb auf kontinentaler Ebene. Deutschland ist damals Lichtjahre vom Fußball der Österreicher und dessen Strukturen entfernt.

07. Juni 1934: Ein erster Stich ins österreichische Herz. Bei der WM in Italien unterliegt Austria erstmals dem großen Rivalen in einem Pflichtspiel. Nachdem Österreich im Halbfinale vom schwedischen Schiedsrichter Eklind verschaukelt wurde, nimmt Meisels Team das Spiel um Platz drei in Neapel nicht mehr so ernst.

Die Niederlage in der Niederlage: Da beide Teams in ihren traditionellen Farben Schwarz und Weiß antreten, muss die Partie unterbrochen werden. Das Los entscheidet, wer sein Trikot wechseln und fort an in den Farben des ansässigen Napoli-Vereins weiterspielen muss. Österreich verliert und spielt in den flugs aufgetriebenen roten Trikots die Partie zu Ende.

30. Juni 1954: Die Mutter aller Niederlagen für Österreich und die Vorstufe zur eigentlichen Geburtsstunde des deutschen Fußballs. Österreich geht als haushoher Favorit, wird aber bei strömendem Regen in Basel von Deutschlands Wunderwaffe an den Schuhsohlen ausgetrickst.

Ausrüster Adolf Dassler setzt seine neueste Innovation erstmals ein und schraubt den deutschen Spielern Stollen unter den Schuh. Das 6:1 wird zu den Walter-Festspielen, die Brüder Fritz und Ottmar treffen je zweimal. Jahre später wirft Österreich den Deutschen Betrug vor, als die Rede von Spritzen ist, die in der Kabine gefunden wurden und den Verdacht des Dopings nahelegen. Die Deutschen rechtfertigen sich, sie hätten damals nur Vitaminpräparate verabreicht.

21. Juni 1978: Fast ein Vierteljahrhundert und acht erfolglose Länderspiele vergehen, dann kommt es im argentinischen Cordoba zu einem an sich völlig wertlosen Sieg - für das Befinden der Nation aber zur Sternstunde eines ganzen Landes.

Deutschland braucht einen hohen Sieg, um doch noch ins Finale einzuziehen, Berti Vogts tönt nassforsch: "Denen hauen wir sechs Dinger rein!" Vogts trifft tatsächlich - allerdings ins eigene Tor. Das Spiel läuft den Deutschen völlig aus dem Ruder.

Schafft Österreich ein neues Cordoba? Jetzt selbst Schicksal spielen!

Zwei Minuten vor Schluss wird Edi Finger nach Krankls Einschuss ganz narrisch. Jeder kennt diesen Teil seines Kommentars. Fast noch legendärer sind aber die letzten Sekunden des Spiels. "Jetzt aber, der Abramczik... VORBEI! VORBEI! Der brave Abramczik, abbusseln möcht ich den braven Herrn Abramczik. Und jetzt... Aus! 3:2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals. Der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch - wir busseln uns ab!"

Deutschland fliegt zerstört nach Hause. Im selben Flugzeug sitzen die Österreicher, die ebenfalls ausgeschieden sind, und feiern.

25. Juni 1982: Die Schande von Gijon. Bei der WM in Spanien schummeln sich Österreich und Deutschland mit einem nie mehr erreichten Nicht-Angriffspakt in die Zwischenrunde.
Nach Hrubeschs frühem Tor kommen sich beide Teams nicht mehr näher, fast 60 Minuten lang kullert der Ball völlig unbehelligt entweder durch die deutschen oder die österreichischen Reihen.

Auf den Rängen stehen algerische Fans ohnmächtig vor Wut und wedeln zum Zeichen des offensichtlichen Betrugs mit Geldscheinen. Die Algerier sind die Dummen, Deutschland und Österreich stehen in der Zwischenrunde. ARD-Reporter Eberhard Stanjek nennt das Spiel "schändlich", eine spanische Zeitung druckt den Spielbericht gar im Polizeibericht ab.

Auch Jahre danach kehrt bei einigen Beteiligten immer noch wenig Einsicht ein. Betrug? "Alles Quatsch. Damals war nichts abgesprochen, das ist im Spiel einfach so passiert", sagt Hans-Peter Briegel noch heute.

05. Oktober 1983: Das bisher letzte Aufeinandertreffen in einem Pflichtspiel. Bei der Qualifikation zur EM 1984 gewinnt Deutschland im Gelsenkirchener Parkstadion gegen Koncilia, Pezzey, Schachner, Prohaska locker mit 3:0.

Bereits nach 21 Minuten steht das Endergebnis fest. Dabei hatte Schneckerl Prohaska vor der Partie noch getönt, den Piefkes mal wieder eins drüberzubraten.

29. Oktober 1986: Die letzte deutsche Niederlage. In Wien geht der Vizeweltmeister unter Teamchef Beckenbauer beim 1:4 in der zweiten Halbzeit völlig ein und kassiert innerhalb von 19 Minuten vier Gegentore.

Aus den fünf (Freundschafts)Spielen danach gab es vier deutsche Siege (drei davon in Wien), ein Remis und 17:4 Tore. Am Montag also wieder Wien.

Österreich wollte ins Finale, Österreich steht im Finale. Alles andere als ein Sieg gegen die Piefkes zählte vor dem Turnier nichts. Selbst ein möglicher Einzug ins Viertelfinale wäre weniger Wert als ein Sieg gegen die Deutschen in der Vorrunde.

"Die werden sich jetzt schön in die Hosen scheißen", unkt Martin Harnik schon. Harnik ist seit ein paar Tagen erst 21 Jahre alt. Von der Geschichte deutsch-österreichischer Duelle hat er nichts mitbekommen. Bescheid darüber weiß er aber offensichtlich sehr gut.

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