EM

#Kindheitstrauma

Von Daniel Reimann
Das DFB-Team hatte gegen Portugal kaum eine Chance
© getty

Die deutsche U21 ringt nach der 0:5-Klatsche im EM-Halbfinale gegen Portugal um Fassung. Die Wortwahl der Selbstkritik lässt aufhorchen, die Suche nach Erklärungen birgt Konfliktpotenzial - und wirft weitere Fragen auf.

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Man hätte es treffender kaum symbolisieren können: Auf der einen Seite, in einem als "Mixed Zone" aufgestellten Zelt, standen die deutschen Spieler. Niedergeschlagen, beschämt, fassungslos. Ihre Versuche, die Dimension der 0:5-Niederlage einzuordnen, wurden immer wieder übertönt von dem frenetischen Gebrüll einer locker 60-jährigen Portugiesin.

Die übte sich draußen vor dem Zelt in Begleitung einer weiteren rüstigen Anhängerin als Fan-Groupie. Sie johlte den Spielern hinterher, umarmte den Coach und schrie einen Euphorieschwall nach dem anderen auf Portugiesisch heraus. Freud und Leid lagen an diesem Abend extrem nah beieinander. In diesem Fall etwa sieben Meter.

Einzelkritik: Can Totalausfall, linker Flügel lahmt

Während die Dame draußen weiter vor sich hin jubilierte, suchten die DFB-Spieler nach Erklärungen für eine historische Klatsche. Ihr #Kindheitstraum, so lautete das Turnier-Hashtag des DFB, wurde zum Kindheitstrauma. "Ich dachte, ich bin im falschen Film", meinte Dominique Heintz. Und Marc-Andre ter Stegen ergänzte: "Das wird schwer zu verarbeiten."

"Arbeitsverweigerung von jedem Einzelnen"

Eines musste man den Spielern lassen: Keiner wagte es auch nur, die Situation schön zu reden. Kapitän Kevin Volland sprach von "Arbeitsverweigerung von jedem Einzelnen von der 1. bis zur 90. Minute." Ter Stegen gab zu, man habe "als Mannschaft versagt".

Die Wortwahl war der zuvor gebotenen Leistung angemessen. Die deutsche Mannschaft war in nahezu jeder Hinsicht unterlegen gewesen. Portugal wirkte vom Anpfiff weg wacher, spritziger, zielstrebiger. Deutschland kam erst gar nicht in die Zweikämpfe, hechelte dem gegnerischen Umschaltspiel nur hinterher. Spielerisch lagen zwischen beiden Teams Welten.

Doch weitaus bedenklicher war eine andere Tatsache: Die Truppe von Horst Hrubesch wirkte behäbig, die Körpersprache vieler Spieler war katastrophal. Die für einen solchen Wettbewerb, gerade in der K.o-Runde unerlässliche Galligkeit, der bedingungslose Einsatz, war nur selten zu sehen.

Diagnose: mangelnder Einsatz

Ein Fakt, den sich die Mannschaft einzugestehen bereit war. Doch die Wortwahl dabei lässt aufhorchen. Denn gleich mehrere Spieler formulierten offen und direkt, dass nicht jeder vollen Einsatz gezeigt habe.

"Wenn wir alles gegeben hätten, wären wir nicht mit einer 0:5-Klatsche vom Platz gegangen. Jeder Einzelne muss sich hinterfragen", bemerkte Joshua Kimmich. Auch Leo Bittencourt blies in dasselbe Horn, wenngleich er seine Worte etwas unpräziser wählte.

Emre Can, der in diesem Spiel einen rabenschwarzen Tag erwischt hatte, nahm sich diese Aufforderung zu Herzen: "Man kann 0:5 verlieren. Man kann 0:10 verlieren. Wenn man danach in den Spiegel sehen und sagen kann: 'Ich habe alles gegeben.' Bei mir persönlich war es so, dass ich nicht alles gegeben habe."

Cans Geständnis

Sein Geständnis ist einerseits erfrischend ehrlich. Derart aufrichtige Selbstkritik Einzelner ist nicht selbstverständlich. Gleichzeitig ist es auch bemerkenswert, wenn einer der Leitwölfe auf dem Platz zugibt, im Halbfinale einer Europameisterschaft nicht sein volles Pensum abgerufen zu haben.

Er selbst erklärte seine mangelnde Einsatzbereitschaft mit dem Höhenflug der letzten Wochen. "Vielleicht habe ich mir vor dem Spiel gedacht, ich bin der Größte oder so. Ich muss wieder auf den Boden kommen", gestand er sich ein. Für einen 21-Jährigen ein Erlebnis aus der Abteilung Lehrgeld.

Eine andere Erklärung für das lahme Auftreten hatte hingegen Matthias Ginter. "Wir haben in der Vorbereitung auf dieses Spiel einiges falsch gemacht. Es müssen sich einige hinterfragen, ob ihre Vorbereitung so professionell war, wie es erforderlich gewesen wäre. Wir hatten einen Tag länger Pause, aber Portugal war von Anfang an frischer", monierte er. "Das macht keinen Sinn", so Ginters Fazit.

Ginters Kritik wirft Fragen auf

Präzisieren wollte er seine Aussagen jedoch nicht. Gerade deshalb werfen sie neue Fragen auf, die womöglich nicht so einfach zu beantworten sind, wie Can es in seinem Fall tat. Doch die Bandbreite an Faktoren, auf die Ginter anspielen könnte, ist groß. Und noch gibt es keinerlei Anhaltspunkte, die Spekulationen in eine konkretere Richtung rechtfertigen würden.

Dass jedoch gleich derart viele Spieler sich genötigt sehen, die mangelnde Einsatzbereitschaft des Teams zu kritisieren beziehungsweise laut nach den Gründen dafür zu fragen, gibt zu denken. Denn in der U21 sind die meisten potenziell künftige Nationalspieler, denen man auch trotz ihres jungen Alters ein Maximum an Professionalität und Einsatzwillen abverlangen darf.

Letzteres war offensichtlich nur in homöopathischen Dosen vorhanden. Wenn ein Team bei einem Turnier, bei dem alle Teams "auf Augenhöhe" agieren (Hrubesch), mit 0:5 unterliegt, liegt dieser Schluss verdammt nahe. Vor allem, wenn man bedenkt, was der Trainer auf der Pressekonferenz vollkommen zurecht bemerkte: "Zum Schluss bin ich heilfroh gewesen, dass es nur fünf Stück waren. Das hätte auch schlimmer ausgehen können."

Portugal - Deutschland: Daten zum Spiel

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