EM

Alarmstufe Orange

Von Daniel Reimann
Die Niederlande präsentierten sich in Island harmlos und planlos
© imago

Nach der bitteren Blamage in der EM-Qualifikation gegen Island sind die Niederlande in Aufruhr. Der Auftritt der Elftal wirft viele Fragen auf, Hiddink ist bereits angezählt. Manch einer fürchtet bereits ein übles Deja-Vu.

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Dass Island für Überraschungen gut ist und Diskussionen auslösen kann, weiß man in Deutschland schon lange. 2003, als das DFB-Team in der EM-Qualifikation nur 0:0 gegen die Inselkicker spielte, löste das Remis einen der legendärsten TV-Momente aus.

Der damalige Bundestrainer Rudi Völler arbeitete sich verbal an der Kritik der "ARD"-Granden ab. Er sprach von "Scheißdreck", den er nicht mehr hören wolle und legte Waldemar Hartmann einen eifrigen Weißbierkonsum nahe. Sein Auftritt blieb für immer in Erinnerung, die Debatte um einen vermeintlichen Tiefpunkt des DFB-Fußballs hingegen versandete bald.

In den Niederlanden dürfte die Aufregung nicht so schnell wieder vorbeiziehen. Zu niederschmetternd war die 0:2-Pleite gegen Island, zu ernüchternd der Auftritt der Elftal. Die Fußballmedien des Landes sind alarmiert, die Wortwahl zur Beschreibung der Krise ist drastisch.

"Was für ein abstoßend-hilfloses Spiel"

"Die EM 2016 ist ernsthaft in Gefahr. In der eisigen Kälte von Reykjavik verlor das niederländische Team gestern auf peinliche Weise seinen Glanz. Selten in der jüngeren Geschichte machte Oranje einen so hoffnungslosen Eindruck", konstatierte die Tageszeitung "AD".

Der "Volkskrant" war in vergleichbarer Alarmstimmung: "Die zweite Episode mit Hiddink als Trainer droht kläglich zu verlaufen. Was für eine Trauer, was für ein abstoßend-hilfloses Spiel." Und der "Telegraaf", der schonungslos die taktischen Fehlgriffe des Coaches analysierte, fragte öffentlich: "Was ist los mit Oranje, Guus?"

Eine Frage, die der neue Trainer selbst nur bedingt zu beantworten imstande ist. Zwar übernahm Hiddink nach dem Spiel die Verantwortung, schimpfte aber gleichzeitig auf individuelle Fehler seiner Spieler. "Ich entscheide mit meinem Team über den Plan und Stil unseres Spiels. Aber das wird torpediert, wenn Einzelne nicht klug verteidigen", monierte er.

Laute Kritik an Hiddinks Spielsweise

Dass er seiner Mannschaft dabei einen Plan unterstellt, ist durchaus gewagt. Die Niederlande wirkten in Island ideenlos wie lange nicht mehr. Oranje-Legende Frank de Boer brachte es auf den Punkt: "Es gibt keinen Spielplan, keine Bewegung oder Überraschungsmomente im Team. Es gibt nur Bälle auf van Persie und Robben. Dann wird geschaut, was passiert", so der Ajax-Coach.

Es passierte wenig. Nachdem die Niederlande kurz vor der Pause das 0:2 durch Gylfi Sigurdsson kassiert hatten, hätte man auf eine Trotzreaktion nach der Halbzeit hoffen können. Doch jegliches Aufbäumen blieb aus. Die bittere Realität: Im zweiten Durchgang brachte Oranje keinen einzigen Schuss aufs Tor.

"Ich bin nicht wütend. Ich bin tief enttäuscht ", schimpfte Hiddink. Auch die Protagonisten selbst waren restlos bedient: "Es ist sehr schmerzhaft, auf diese Weise zu verlieren", sagte van Persie. "Wir waren tatsächlich in keinster Weise gefährlich."

Robben schlägt Alarm

Teamkollege Arjen Robben ging sogar noch einen Schritt weiter und stellte der Mannschaft ein verheerendes Zeugnis aus: "Das war einer niederländischen Nationalmannschaft unwürdig", so Robben, der zugab: "Ich muss aufpassen, was ich sagen, weil ich innerlich koche."

Vor allem die offensichtliche Selbstzufriedenheit nach einer starken Weltmeisterschaft ist dem Bayern-Star ein Dorn im Auge. "Nach der WM haben wir bei Null begonnen. Wir sollten nicht denken, dass wir gut sind, denn das sind wir nicht", konstatierte Robben und warnte: "Es ist zwei vor Zwölf!"

Nach drei Spielen in der EM-Quali steht die Elftal mit lediglich drei Punkten da. Drei Punkte, die am vergangenen Spieltag gegen das noch sieglose Kasachstan erst in der Schlussphase eingetütet wurden. Der Rückstand auf die zweitplatzierten Isländer beträgt bereits sechs Zähler.

"Für Hiddink ist es vorbei"

Doch es sind nicht nur die Resultate, die Medien und Fans in den Niederlanden in Alarmstimmung versetzen. Es ist vor allem die Art und Weise, wie die Elftal sich zuletzt präsentierte. Viele fühlen sich an die verheerende EM 2012 erinnert, als Oranje sang- und klanglos und vor allem punktlos ausschied.

Das peinliche Aus in Polen und der Ukraine machte damals einen Rücktritt von Bondscoach Bert van Marwijk unabdingbar. Gut zwei Jahre später wird Hiddink nur drei Monate nach seiner Übernahme öffentlich angezählt. Frank de Boer fordert bereits den Kopf des Nationaltrainers: "Guus ist ein toller Kerl, aber es ist für ihn vorbei. Ich habe die Wahl Hiddinks noch nie verstanden und werde das auch nicht verstehen."

Hiddink selbst hat jedoch keine Zweifel und hält an seiner Mission fest. "Ob ich hier in einem Monat sitze?", fragte er öffentlich auf der Pressekonferenz und beantwortete seine Frage höchst selbst: "Natürlich."

Angesichts der jüngsten Auftritte und der medialen Aufregung ist seine Selbstsicherheit bemerkenswert.

Schließlich verlor sein Team gegen Island nicht etwa knapp oder unglücklich, sondern absolut verdient. Islands Stürmer Kolbeinn Sigthorsson, der aktuell für Ajax kickt, nannte das Kind gnadenlos beim Namen: "Es hätte heute auch 4:1 oder 5:1 ausgehen können."

Alle EM-Quali-Gruppen in der Übersicht

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