EM

Deutscher Zittersieg im Klassiker gegen Holland

Von Jochen Tittmar / Stefan Petri
Das deutsche Team lieferte gegen die Niederlande eine überzeugende Vorstellung ab
© Getty

Deutschland hat bei der EM 2012 das zweite Spiel in Gruppe B mit 2:1 (2:0) gegen die Niederlande gewonnen und hat nun sechs Punkte auf dem Konto. Holland bleibt weiterhin ohne Zähler und ist nun auf Schützenhilfe angewiesen, um noch das Viertelfinale zu erreichen.

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Vor 40.000 Zuschauern in Charkiw erzielte Mario Gomez die Zwei-Tore-Führung für Deutschland (24. und 38.). Robin van Persie gelang der Anschlusstreffer für die Niederlande (73.).

Im Spiel gegen Dänemark wird Jerome Boateng der deutschen Mannschaft aufgrund der zweiten Gelben Karte gesperrt fehlen.

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Reaktionen:

Joachim Löw (Trainer Deutschland): "Das Spiel war intensiv und hart umkämpft. Die letzten Turniere haben wir immer das zweite Spiel verloren und dann hatten wir wieder ein Endspiel. Jetzt haben wir eine gute Ausgangsposition und das Tor zum Viertelfinale weit aufgestoßen. Der Mario war immer ein Kämpfertyp. Die Tore hat er klasse gemacht. Khedira und Schweinsteiger waren im zentralen Bereich unheimlich stark. Dass man gegen Holland nicht alles verhindern kann, ist klar. Aber wir haben in der Defensive glänzend gearbeitet. Der Gruppensieg wäre wichtig, dann könnten wir in Danzig bleiben."

Bert van Marwijk (Trainer Niederlande): "Wir haben gut begonnen, das erste Gegentor kam wie aus dem Nichts. Wir haben zwischen Abwehr und Mittelfeld zu viel Raum gelassen. Deutschland hat ein paar Probleme bekommen, nachdem Robin van Persie das Tor erzielt hatte. Wir haben in der Schlussphase alles oder nichts gespielt. Aber leider hat es für uns nicht gereicht - das ist echt schade. Wir haben Mut im Gang nach vorn gezeigt, aber nicht in der Verteidigung."

Mario Gomez: "Unglaublich, die Zeit verging nicht. Die Uhr ist stehengeblieben. Das ist von draußen nervenaufreibend. Holland ist noch einmal nach vorn gegangen. Wir haben gegen zwei klasse Gegner gespielt, haben jetzt sechs Punkte - was willst du mehr? Ich hatte Druck ohne Ende, 100 Kilo auf den Schultern. Ich bin froh, dass ich der Mannschaft mit den zwei Treffern helfen konnte. Das war auch sehr wichtig für mich. Ich mache gegen Portugal das einzige Tor und bekomme hinterher drei Tage nur auf die Fresse. Aber der Trainer hat gesagt, dass er zufrieden mit mir war. Es ist noch ein weiter Weg bis zum Finale."

Bastian Schweinsteiger: "Gegen Polen hat unsere Offensive nicht so gut funktioniert. Heute ergaben sich Räume nach vorne, die habe auch ich genutzt. Dieser Sieg gibt der Mannschaft einen Schub. Wir haben den zweiten Schritt gemacht, jetzt wollen wir auch gegen die Dänen gewinnen."

Mark van Bommel (Niederlande): "Ich fand den Beginn gar nicht schlecht. Ich selbst habe nicht gut gespielt, da muss man die Entscheidung des Trainers akzeptieren, wenn er mich raus nimmt. Aber man hofft, dass noch was geht. Wir haben uns das anders vorgestellt."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Bundestrainer Löw nimmt keine Änderungen vor und lässt mit derselben Elf spielen, die Portugal mit 1:0 bezwang.

Holland bringt im Vergleich zur Pleite gegen Dänemark den wieder genesenen Mathijsen im Abwehrzentrum für Vlaar.

7.: Van Bommel mit dem langen Ball auf van Persie. Der läuft Hummels im Rücken davon und nimmt die Kugel direkt frei vor Neuer. Der Keeper greift zu.

9.: Özil nimmt eine zu kurze Abwehr der holländischen Abwehr an der Strafraumgrenze direkt und scheitert am Pfosten und Stekelenburg.

24., 0:1, Gomez: Müller zieht von rechts in die Mitte und passt zu Schweinsteiger. Der schickt Gomez in den Lauf, der den Ball wunderbar mitnimmt und frei vor Stekelenburg links unten einschießt - 24. Länderspieltreffer

37.: Özil mit dem Freistoß von rechts mit links. Badstuber steht am Fünfer völlig blank, köpft aber den gut reagierenden Stekelenburg an.

38. 0:2, Gomez: Schweinsteiger passt von halbrechts schön in die Schnittstelle zu Gomez. Der fackelt nicht lange und schließt sofort mit rechts ab. Stekelenburg legt sich früh hin und bekommt den Ball nicht mehr, der oben links einschlägt.

45.: Schweinsteigers Freistoß von der linken Seite wird von Robben abgefälscht. Der Ball wird immer länger, doch Stekelenburg fischt die Kugel aus dem rechten Torwinkel.

52.: Hummels rennt durch das Mittelfeld und schließt knapp hinter dem Strafraum mit links ab. Stekelenburg klatscht ab, Hummels scheitert mit dem Nachschuss aber erneut am Keeper.

58.: Robben legt von links in die Mitte zu van Persie. Seinen Schuss gräbt Neuer aber mit einer starken Parade aus der linken Ecke.

71.: Robben passt auf den links einlaufenden Sneijder, der knallhart abzieht und Boatengs Rippe trifft. Zum Glück für Deutschland, der Schuss wäre gut gewesen...

73., 1:2, van Persie: Van Persie lässt Hummels halblinks mit einer Körpertäuschung aussteigen, zieht in die Mitte und hält von der Strafraumgrenze drauf. Neuer ist die Sicht verdeckt, der Ball schlägt rechts unten ein.

90.: Stekelenburg verdaddelt einen Rückpass, Klose attackiert sofort. Der Ball kullert knapp rechts am Pfosten vorbei ins Aus.

Fazit: Aufgrund der ersten Halbzeit verdienter Sieg für Deutschland, das im zweiten Abschnitt jedoch das Glück bemühen und zittern musste.

Der Star des Spiels: Mario Gomez. Konterte unter der Woche die Kritik nach dem Portugal-Spiel souverän und trat so auch vor dem holländischen Kasten auf. Hervoragende Ballannahme vor dem 1:0, trockener Schuss beim 2:0. Dazu enorm laufstark und zu Beginn auch ordentlich im Spiel gegen den Ball. Hat jetzt zwölf Tore in den letzten zwölf Länderspielen geschossen und seinen Stammplatz mit einer starken Vorstellung weiter gefestigt.

Der Flop des Spiels: Jetro Willems. Der 18-Jährige zahlte besonders im ersten Durchgang viel Lehrgeld und war überhaupt nicht auf der Höhe. Schwache Antizipation und bisweilen grausames Stellungsspiel. Deutschland erkannte diese Schwachstelle früh und wurde vor allem über seine Seite gefährlich.

Der Schiedsrichter: Jonas Eriksson aus Schweden hatte in einer weitestgehend fairen Partie keine Probleme mit der Spielleitung. Eine einzige falsche Abseitsstellung geht unterm Strich in Ordnung.

Die Trainer:

Bert van Marwijk: Entschied sich für die riskante Variante und stellte den zuletzt verletzten Mathijsen statt Vlaar in die Viererkette. Die Abstimmung mit Heitinga stimmte jedoch oft nicht, die fehlende Matchpraxis war dem Ex-Hamburger deutlich anzumerken. Hielt auch erneut an Afellay fest, der nach mäßiger Vorstellung gepaart mit dem Rückstand zur Pause jedoch wieder auf der Bank Platz nehmen musste. Nach der Pause stellte van Marwijk auf 4-3-3 um und ließ die vordere Reihe mehrfach rochieren. Auch die Hereinnahme von van der Vaart machte das Kombinationsspiel nicht wesentlich schneller.

Joachim Löw: Behielt mit der Nominierung von Gomez anstatt Klose erneut Recht und baute somit auf Kontinuität und Wettkampfpraxis für die Stammelf. Der Wechsel von Kroos für Özil kam gerade noch zur rechten Zeit, das deutsche Team musste den hohen Temperaturen und der enormen Laufarbeit zusehends Tribut zollen.

Das fiel auf:

  • Holland begann sehr konzentriert mit einem irrsinnigen Tempo und wurde besonders dann gefährlich, wenn die Offensivspieler hinter die letzte deutsche Linie einliefen. Das funktionierte deshalb, weil das defensive Mittelfeld des DFB zu Beginn zu große Lücken ließ und zu wenig Druck auf den ballführenden Spieler ausübte.
  • Die Führung half Deutschland, die Mannschaftsteile effektiver zu staffeln. Der DFB erhöhte das Pressing tief in der gegnerischen Hälfte und lief die niederländischen Innenverteidiger früh an, die ihrerseits zu lange brauchten, den Ball zielstrebig aus der Abwehr nach vorne zu passen.
  • Die Niederlande in der ersten Halbzeit mit über 60 Prozent Ballbesitz. Die offensive Dreierreihe hielt zunächst ihre Position, nach dem 0:2 tauchte Robben links, van Persie rechts und Afellay im Zentrum auf. Defensiv offenbarten sich wie gegen Dänemark zu große Lücken hinter den fünf Offensiven, da diese nicht genug nachrückten und die Räume eng hielten. Deutschland wusste dies nach 25 Minuten besser zu nutzen. Besonders Schweinsteiger stieß immer wieder in diese Zonen und bereitete so die beiden Treffer vor.
  • Im zweiten Durchgang gab Huntelaar bei Holland die zentrale Spitze, flankiert von den immer wieder rochierenden Robben und van Persie. Dem Offensivspiel fehlten aber weiter die klaren Abläufe, zu viele einfache Bälle wurden durch starke Antizipation der Deutschen verschenkt. Deutschland drückte auf das dritte Tor und überdrehte beinahe ein wenig, Oranje attackierte im Mittelfeld spät und rückte zu wenig nach, da in dieser Phase jederzeit die Gefahr eines Kontertors bestand.
  • Deutschland nahm nach der guten Anfangsphase im zweiten Abschnitt unnötig das Tempo zu sehr heraus, ließ sich zu tief hinten rein drängen und wurde merklich müder. Holland nutzte den Raum, der sich zwischen Viererkette und defensivem Mittelfeld auftat, weil Deutschland zu spät in die Zweikämpfe kam und stiftete mit seinen Offensivrochaden zusätzlich Verwirrung.
  • Durch den zweiten Sieg im zweiten Spiel hat sich die deutsche Elf eine glänzende Ausgangsposition für das letzte Spiel gegen Dänemark geschaffen und das Viertelfinale in der eigenen Hand - ein Punkt reicht dazu. Die Niederlande muss dagegen gegen Portugal siegen und auf deutsche Schützenhilfe hoffen.

Niederlande - Deutschland: Daten zum Spiel

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