Michael Henke im Interview über das Relegations-Drama: "Als Spieler wäre ich genauso ausgerastet"

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© imago images / Oryk HAIST

Der FC Ingolstadt verpasste bei einer dramatischen Relegation gegen den 1. FC Nürnberg den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Im Interview mit SPOX und Goal wundert sich Sportdirektor Michael Henke über drei Umstände und zeigt Verständnis für das Verhalten seiner Spieler nach Abpfiff. Den Videobeweis kritisiert er scharf.

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Ingolstadt hatte das Relegations-Hinspiel gegen Nürnberg mit 0:2 verloren, führte beim Rückspiel im heimischen Audi-Sportpark aber nach Ablauf der Nachspielzeit mit 3:0. Erst danach erzielte Fabian Schleusener das 1:3, das Nürnberg dank der Auswärtstorregel den Klassenerhalt sicherte. Anschließend kam es zu Rudelbildungen auf dem Platz. Den direkten Aufstieg in die 2. Bundesliga hatte Ingolstadt drei Tage zuvor nur wegen eines Elfmetertreffers der Würzburger Kickers in der Nachspielzeit verpasst.

Herr Henke, wie haben Sie die Zeit seit dem dramatischen Relegations-Rückspiel gegen den 1. FC Nürnberg erlebt?

Michael Henke: Direkt nach dem Spiel war ich einfach nur frustriert, aber dieses Gefühl konnte ich immerhin mit Alkohol ertränken (lacht). Richtig schlimm war erst der Tag danach. Am Sonntagmorgen sind wir zusammengesessen und haben uns ausgetauscht. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, weder bei Corona noch bei anderen Sachen. Aber unter solchen Umständen nicht aufzusteigen, ist schon merkwürdig. Ich bin Sportler durch und durch und Fairness hat bei mir einen hohen Stellenwert. Deswegen verstehe ich einige Sachen nicht, die da abgelaufen sind.

Welche konkret?

Henke: Es ging los mit dem Spiel der Würzburger Kickers am letzten Spieltag. Als Schiedsrichter sollte man ein Fingerspitzengefühl haben: Es ist ein Unterschied, ob ich einen Elfmeter in der 30. Minute oder in der Nachspielzeit gebe. Da gebe ich doch nur einen glasklaren Elfmeter und lasse ihn im Zweifelsfall weg. Als nächstes kam die unglückliche Terminansetzung von Verbandsseite .

Inwiefern?

Henke: Wir haben als Verein gemeinsam mit der bayerischen Allianz der Drittligisten hart für eine Fortsetzung der 3. Liga gekämpft. Mir war von vornherein klar, dass es da auch Ungerechtigkeiten geben wird. Aber dass wir am Samstag den letzten Spieltag haben und dann am Dienstag schon wieder in der Relegation ranmüssen, während die Nürnberger zehn Tage Pause haben, war einfach nur unnötig. Sportdirektor Peter Vollmann von Eintracht Braunschweig hat mir nur gesagt: "Michael, gut dass wir da nicht gelandet sind. Wir hätten bei dieser Ansetzung in der Relegation keine Chance gehabt. Wir wären platt." Ich habe sogar extra beim übertragenden Sender ZDF nachgefragt, ob eine Verlegung des Spiels auf Mittwoch in Frage käme. Das wäre für sie kein Problem gewesen, aber es wurde trotzdem nicht geändert. Und dann passieren beim Rückspiel gegen Nürnberg wieder merkwürdige Dinge.

Womit waren Sie nicht einverstanden?

Henke: Es gab keinen Anlass für fünf Minuten Nachspielzeit und auch nicht dafür, über die fünf Minuten hinaus spielen zu lassen obwohl der Ball außerhalb der Gefahrenzone ist. Hinzu kommt, dass dem Tor ein Foulspiel an unserem Verteidiger vorangegangen war. Er hat am Abend zu mir gesagt: "Micha, das war zu 100 Prozent Foul. Ich schmeiße mich im Sechzehner doch nicht einfach auf den Boden." Wenn schon in der Nach-Nachspielzeit ein Tor fällt und dem eine heikle Situation vorangegangen ist, muss ich mir das als Schiedsrichter selbst anschauen - völlig egal, was der Mann im Keller sagt. Eigentlich sollte jedes Tor überprüft werden, aber ausgerechnet in der Situation kommt der Unparteiische nicht auf die Idee, sich das selbst anzuschauen? Das ist merkwürdig, das ist zu viel.

Nürnberg hat sich in letzter Sekunde den Klassenerhalt gesichert.
© imago images/Stefan Bösl
Nürnberg hat sich in letzter Sekunde den Klassenerhalt gesichert.

Wie stehen Sie generell zum Videobeweis?

Henke: Meine persönliche Meinung: Der Videobeweis macht den Fußball kaputt und wir werden seine Einführung in Zukunft noch bereuen. Wenn wir uns in zehn Jahren wundern, dass die TV-Einschaltquoten zurückgegangen sind, wird der Ausgangspunkt dieser Entwicklung die Einführung des Videobeweises sein. Ich stehe mit dieser Meinung recht allein da und verstehe nicht, warum sich nicht größere Leute im Fußball ähnlich äußern. Der Videobeweis schadet den Schiedsrichtern, ohne, dass sie es merken. Er macht ihre Persönlichkeiten kaputt, aber vielleicht ist ja genau das gewollt. Die Schiedsrichter verlieren an Reputation. Das sage ich ihnen auch immer wieder. Der Videobeweis sollte den Fußball eigentlich fairer machen, aber es gibt trotzdem immer noch Fehlentscheidungen. Nach den Erfahrungen der aktuellen Saison sage ich: In der 3. Liga haben wir keinen Videobeweis und dort vermisst ihn kein Mensch.

Zurück zum Spiel am Samstag. Wie haben Sie die Szenen nach Abpfiff erlebt?

Henke: Die Scharmützel gingen von beiden Mannschaften aus. Ich halte das für ganz normal und habe vollstes Verständnis für meine Spieler. Als Spieler wäre ich nach den Vorkommnissen genauso ausgerastet. Generell ist aber alles im Rahmen geblieben. Wir haben sogar extra jemanden vor die Tür zum Schiedsrichterraum gestellt, damit nichts eskaliert.

Stefan Kutschke soll Nürnbergs Trainer Michael Wiesinger Schläge angedroht haben. Haben Sie die Szene verfolgt?

Henke: Ich habe das nicht mitbekommen und auch erst nach dem Spiel davon gelesen. Für körperliche Gewalt habe ich kein Verständnis. Aber es ist nichts passiert und ich will daher keinen Ballon daraus machen. Das ist für mich Pillepalle.

Denken Sie, es drohen Konsequenzen von DFL oder DFB?

Henke: Nein, da habe ich bisher nichts gehört und rechne auch nicht damit.

Wie stehen Sie generell zur Relegation?

Henke: Da ist immer Power drinnen, das ist prickelnd, das finde ich gut - aber bitte mit annähernder Chancengleichheit für beide Klubs.

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