"Wer schafft es pünktlich ins Training?"

Adrian Fink
25. Januar 201518:54
Sahr Senesie wechselte im Juli 2013 zu Sonnenhof Großaspachgetty
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Sahr Senesie stand in seiner Karriere schon bei sieben Vereinen unter Vertrag, spielte für den BVB in der Bundesliga und kämpft nach dem Aufstieg diese Saison mit Sonnenhof Großaspach gegen den Abstieg aus der 3. Liga. Im SPOX-Interview spricht Senesie über das Verhältnis zu seinem Bruder Antonio Rüdiger, Knackpunkte in seiner Karriere und seine Pläne für die Zeit nach der Karriere.

SPOX: Herr Senesie, Sie sind jetzt seit fast eineinhalb Jahren in Großaspach. Wie hat es Sie in das 8000-Einwohner-Dorf verschlagen?

Sahr Senesie: Vor meinem Wechsel hatte ich eine recht erfolgreiche Zeit in Burghausen, aber bei den Vertragsverhandlungen konnten wir uns nicht einigen. Deshalb habe ich mich mit meinem Bruder zusammengesetzt und mir Gedanken über den nächsten Schritt gemacht. Dann kam der Kontakt nach Großaspach zustande, wo schon lange gute Arbeit geleistet wird - und wir haben zusammen entschieden, dass wir uns eine WG suchen. Wir haben eine sehr enge Beziehung und er hat großen Anteil an meinem Wechsel hier her.

SPOX: Wie lautet Ihr Fazit nach der bisherigen Zeit?

Senesie: Der Plan ist voll aufgegangen - die Krönung war natürlich der Aufstieg in der vergangenen Spielzeit. Auch in dieser Saison lief es anfangs richtig gut, aber dann habe ich mich leider verletzt und bei der Mannschaft lief es ebenso schlecht. Aber wir sind wieder in die Spur gekommen und jetzt auf dem richtigen Weg.

SPOX: Borussia Dortmund, die Grashoppers Zürich, Hoffenheim, Trier, Homburg und Burghausen waren Ihre bisherigen Stationen. Was unterscheidet Großaspach von diesen Klubs?

Senesie: In Großaspach spiele ich für einen Verein aus einem kleinen Dorf. Man sagt oft, dass ein Verein familiär ist, aber hier ist es wirklich so: Jeder bekommt Aufmerksamkeit und alles ist nahbar. Hier wird aber trotzdem sehr professionell gearbeitet. Man kann jede Aktion nachvollziehen.

SPOX: Ein anderer Unterschied ist der Verdienst. Sie haben mal gesagt, dass alle Spieler in Großaspach nebenbei noch arbeiten gehen. Ist das in der 3. Liga immer noch so?

Senesie: Ja, wir gehen alle noch einem anderen Job nach. Das ist aber auch ein wichtiger Teil der Philosophie des Vereins. Jeder Spieler soll sich für die Zeit nach seiner Karriere etwas aufbauen.

SPOX: Was arbeiten Sie?

Senesie: Ich assistiere bei einer Spielerberatungsagentur und betreue Spieler. Das macht mir einen Riesenspaß. Dadurch kann ich ganz beruhigt Fußball spielen.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Senesie: Mein zweites Standbein steht somit ja schon. In diesem Bereich sehe ich auch meine Zukunft nach der Karriere als Fußballer.

SPOX: Das hört sich in der Praxis relativ kompliziert an: Wie bekommen Sie Training und den Zweitberuf unter einen Hut?

Senesie: Meine Mitspieler studieren, machen eine Ausbildung oder ein Praktikum. Die Philosophie ist im Verein fest verankert und deswegen gibt es auch klare Absprachen mit den Betrieben, Schulen und Universitäten, die das Konzept voll mittragen. Dadurch ist das Ganze vereinbar und funktioniert, so dass es die Spieler rechtzeitig zum Training schaffen. Aber es gibt schon ab und zu eine lustige Diskussion, wenn der Trainer spaßeshalber fragt: "Wer schafft es pünktlich ins Training?" Das ist im Profibereich natürlich nicht üblich. Aber das gehört bei uns einfach dazu. Wir trainieren beispielsweise im Vergleich zu anderen Mannschaften, bei denen ich war, sogar richtig viel.

SPOX: Sie haben vorhin schon die enge Verbindung zu Antonio Rüdigerangesprochen. Wie war das früher? Haben Sie ihrem jüngeren Bruder das Fußballspielen beigebracht?

Senesie: Nein, überhaupt nicht. Er hat sich zwar die Affinität zum Fußball abgeschaut, aber spielerisch habe ich ihm nichts beigebracht. Dafür aber im mentalen Bereich.

SPOX: Inwiefern?

Senesie: Ich helfe ihm neben dem Platz und habe ihm beigebracht, vom Kopf her voll da zu sein. Er ist unheimlich wissbegierig und will sich immer weiterentwickeln. Sein Durchsetzungsvermögen und sein Wille sind sehr ausgeprägt. Auch deshalb ist ihm der Sprung in die Nationalmannschaft gelungen.

SPOX: Wissen Sie, wie er dort aufgenommen wurde?

Senesie: Poldiund ich haben früher einmal zusammen gespielt. Und als Toni bei der Nationalmannschaft ankam, hat Poldi ihm im Spaß "Hallo Sahr!" zugerufen. An diesem Umgang untereinander sieht man, dass Toni sehr gut aufgenommen wurde.

SPOX: Was ist ihm mit Blick auf die Nationalmannschaft in Zukunft noch zuzutrauen?

Senesie: Zunächst einmal ist es wichtig, im Verein weiterhin konstant gute Leistungen zu zeigen und sich dadurch in der Nationalmannschaft zu etablieren. Natürlich muss er noch vieles verbessern, aber er ist erst 21. Wenn man das mit Jerome Boateng und Mats Hummels vergleicht: Mit 21 mussten die beiden auch noch viel dazulernen und sind nun absolute Topspieler.

SPOX: Was gibt es denn genau zu verbessern?

Senesie: Toni muss in gewissen Situationen noch ruhiger werden und sich als Führungspersönlichkeit weiterentwickeln, weil er vom Charakter her ohnehin ein Spieler ist, der voran geht. Aber ich glaube, da ist er auf einem guten Weg.

SPOX: Wäre er auf Vereinsebene schon bereit für den nächsten Schritt, zum Beispiel für einen Wechsel ins Ausland?

Senesie: Grundsätzlich haben wir nicht über einen Wechsel nachgedacht, weil er in Stuttgart zufrieden ist und einen Vertrag bis 2017 hat. Der Fokus liegt voll auf dem VfB und derzeit auch auf seiner Genesung, um der Mannschaft möglichst schnell wieder zur Verfügung zu stehen. Irgendwann traue ich ihm den Sprung ins Ausland aber auf jeden Fall zu.

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Seite 2: Senesie über das Debüt seines Bruders, eigene Fehler und Weidenfeller

SPOX: Was war das für ein Gefühl, als Sie ihren Bruder das erste Mal im Deutschland-Trikot gesehen haben?

Senesie: Genugtuung. Ich hätte es auch schaffen können, aber ich habe nicht diese Betreuung erfahren. Dass er das so nutzt und sich voll auf Fußball fokussiert, ist wirklich super. Deutschland hat die beste Nationalmannschaft der Welt und Toni gehört zu den besten 30 Spielern hier. Das ist einfach geil und ich bin unheimlich stolz auf ihn.

SPOX: Was hat bei Ihnen denn Ihrer Meinung nach gefehlt?

Senesie: Mein eigener Fehler war, dass ich nicht fokussiert genug war. Vielleicht hätte ich standhafter sein sollen.

SPOX: Meinen Sie damit Ihren Wechsel nach Zürich?

Senesie: Ja genau, vielleicht hätte ich beim BVB bleiben und in den sauren Apfel beißen sollen. Es bestand ja keine Notwendigkeit für den Wechsel, aber ich war damals in der U 21 und wollte einfach spielen. Das war rückblickend betrachtet jugendlicher Leichtsinn. Ich denke, dass ich diesen Schritt nicht hätte gehen sollen. Unabhängig davon muss man sich aber auch fragen, wer außer einem selbst noch Schuld hat.

SPOX: Was trifft da in Ihrem Fall zu?

Senesie: Ich hatte zu viel Ablenkung, weil ich teilweise die falschen Leute um mich herum hatte. Da ist man besser beraten, bei der eigenen Familie zu sein, die einem immer die Wahrheit sagt. Meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Toni nicht den gleichen Fehler macht.

SPOX: Stellen Sie sich manchmal die Frage: Was wäre, wenn?

Senesie: Nein, überhaupt nicht. Dafür bin ich nicht der Typ. Ich schaue immer nach vorne. Fehler passieren und man muss weiter machen. Was mir verwehrt worden ist, soll mein Bruder bekommen.

SPOX: Sie selbst haben insgesamt über 100 Spiele für den BVB absolviert. War Wehmut dabei, als Sie am 5. Spieltag auf ihren alten Verein getroffen sind?

SPOXSenesie: Ja natürlich, aber insgesamt hat die Freude überwogen. Der BVB ist und bleibt mein Verein, deshalb freue ich mich immer wieder, gegen ihn zu spielen.

SPOX: Welche Erinnerungen haben Sie an die Schwarzgelben?

Senesie: Positiv waren natürlich die Bundesligaspiele unter meinem Förderer Matthias Sammer. Negativ war für mich persönlich die Zeit unter Bert van Marwijk, der zwar ein guter Trainer ist, aber nicht auf mich setzte.

SPOX: Erzählen Sie.

Senesie: Es ist nicht toll, links liegen gelassen zu werden, obwohl man unter dem anderen Trainer eine Größe war. Aber okay, das ist Profifußball und damit muss man leben. Das meinte ich vorhin auch mit standhaft sein. Vielleicht hätte ich einfach bleiben und auf eine Chance hoffen sollen - aber ich habe die Biege gemacht.

SPOX: Haben Sie sich Ihre Karriere vor zehn Jahren anders vorgestellt?

SPOXSenesie: Ursprünglich wollte ich immer beim BVB bleiben und habe einige Angebote ausgeschlagen, bin dann aber doch gewechselt. Wenn du dann einmal in die vierte Liga gehst, musst du aufpassen, weil es schwierig ist, wieder nach ganz oben zukommen. Es ist zwar einiges nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe, aber ich kann gut damit leben.

SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu Kollegen aus dieser Zeit?

Senesie: Ja. Am meisten zu Roman Weidenfeller. Er ist einer der wenigen, die aus meiner Zeit verblieben sind.

SPOX: Haben Sie mit ihm nach seiner Degradierung gesprochen?

Senesie: Nein, ich hab ihm nur geschrieben: "Kopf hoch. Qualität setzt sich durch." Es ist die Entscheidung von Herrn Klopp, und Roman akzeptiert das. Er ist ein Riesensportler mit großen Verdiensten beim BVB und ich gehe davon aus, dass er in der Rückrunde wieder im Tor stehen wird.

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