Plädoyer für die Vorqualifikation

Von Stefan Rommel
Falsche Neun im blauen Dickicht: Mario Götze bleibt in dieser Szene an den Kasachen hängen
© getty

Deutschlands nüchterner Sieg in Kasachstan spielt den Ansichten des Bundestrainers in die Karten. Auch die angestrengte Systemdebatte und ein neuer Rekord förderten keine neuen Erkenntnisse zu Tage.

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Am Ende fehlten lediglich 47. Welchen Charakter der 3:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Kasachstan hatte, wurde in einigen Statistiken klar. Diese eine aber hätte beinahe eine magische Schallmauer durchbrochen.

Deutschland spielt 953 Pässe

953 Pässe legte die Mannschaft von Joachim Löw auf den Rasen des Stadions in Astana. Eine immense Zahl, selbst gegen einen unterklassigen Gegner wie die Kasachen. Das machte etwas mehr als zehn Zuspiele pro Minute, alle sechs Sekunden bewegten die deutschen Spieler den Ball. Nur ein paar Minuten mehr Nachspielzeit und die magische Marke von 1000 Pässen in einem Spiel hätte die DFB-Auswahl überschritten.

So kombinationsfreudig die deutsche Mannschaft auch war, so sehr überließ ihr der Gegner auch im wahrsten Sinne des Wortes das Feld. Eingedenk fehlender Mittel gegen die Nummer zwei der Weltrangliste vertraute die Nummer 139 der Weltrangliste auf zwei Fünferriegel vor dem eigenen Tor und nahm am eigentlichen Spiel faktisch nicht teil.

20-prozentiges Schweinsteiger-Tor

Der Klassenunterschied war schnell deutlich und in der ersten Halbzeit auch dokumentiert durch einen ersten Treffer, der laut Thomas Müller "zu 20 Prozent auf Basti geht", also Bastian Schweinsteiger, während Müller selbst dank den Rest für sich reklamierte. Und ein zweites, eindeutig Mario Götze zuzuweisendes Tor.

Der Dortmunder war aber nicht nur wegen seines vierten Treffers im DFB-Dress. Sondern weil er eine angeblich völlig neue Spezies Angreifer verkörpert habe. Zwischen den imaginären Linien von Mittelfeld und Sturm pendelte Götze ein wenig hin und her. Die Medien gewannen vor dem zu erwartend unspektakulären Kick in Astana ein neues Thema, das im Prinzip schon ziemlich alt ist und zumindest gegen die Kasachen auch kaum aufregend.

"Eine Variante, um flexibel zu bleiben", konstatierte Götze, der ansonsten gar nicht so viel pendeln konnte, weil sich um ihn herum viel zu viele Spieler in blauen Jersey verdingten. "Es war sehr schwierig, weil Kasachstan sehr tief stand und die Räume eng gemacht hat. Es war wenig Platz, offensiv vernünftig zu spielen."

Angestrengt wirkende Systemdebatten

Auch der Bundestrainer war den etwas angestrengt wirkenden Systemdebatten überdrüssig. "Das Ganze schwappt mir ein bisschen zu über", sagte Löw nach dem Spiel, das er trotz der einigermaßen widrigen Umstände mit Zeitumstellung, spätem Anstoß und ungewohntem Rasen doch gerne als Übungseinheit verbuchen sollte. So oft hat er seine Lieben schließlich nicht beisammen.

Es ist noch nicht lange her, da hat Löw intensiv für eine Art Vorqualifikation der schwächeren Verbände geworben. Die eigentliche Qualifikation würde dadurch aufgewertet, teilweise strapaziöse Reisen vermieden. Wie aufs Stichwort wurde die Partie zum Lehrstück. Die deutschen Spieler nahmen in der zweiten Halbzeit den Fuß vom Gas. Am Dienstag steht das Rückspiel schon an, wenige Tage später ist wieder Bundesliga.

Die deutsche Mannschaft hatte eine kleine Schwächephase, die die Gastgeber zu zwei sehr guten Chancen nutzten. "In der Halbzeit war das Spiel irgendwie entschieden. Danach haben wir das Tempo rausgenommen, deswegen war weniger Rhythmus im Spiel", sagte Löw. Ob dem einen oder anderen auf dem Platz Gedanken an den historischen Zusammenbruch gegen Schweden vom letzten Oktober gekommen waren, ist nicht geklärt. Thomas Müller jedenfalls wischte mögliche schlechte Gedanken mit dem 0:3 endgültig vom Tisch.

"Ein paar Dinge ansprechen"

Wenn das Schweden-Spiel damals aber ein Gutes hatte, dann die Tatsache, dass die Mannschaft aufnahmefähig für Kritik auch wegen kleiner Unregelmäßigkeiten ist. "Die erste Halbzeit war ganz gut, in der zweiten waren ein paar Nachlässigkeiten drin, über die wir sprechen müssen", sagte Müller deshalb. Der Münchener ordnete den Abend ansonsten aber ganz pragmatisch ein. "Ansonsten kann man das Ding hier abhaken und zufrieden nach Hause fahren. Drei Punkte bleiben hängen, und das war's eigentlich."

Praktischerweise ließ der vermeintlich schärfste Konkurrent Schweden im Heimspiel gegen Irland zwei Punkte liegen, was den Vorsprung der deutschen Mannschaft in der Tabelle nach der Hälfte der Qualifikationsrunde auf fünf Zähler anwachsen lässt - allerdings hat Deutschland schon eine Partie mehr absolviert als die Trekronor.

Löw nominiert nach

Es war also ein gelungener Ausflug nach Astana mit einer fast ausschließlich zufriedenen Belegschaft. Lediglich Julian Draxler dürfte sich seine Startelfpremiere anders vorgestellt haben. Der Schalker musste schon früh mit Verdacht auf eine leichte Gehirnerschütterung ausgewechselt werden, sein Einsatz am Dienstag ist fraglich.

Definitiv fehlen wird Schweinsteiger, der sich seine zweite Gelbe Karte im Wettbewerb eingehandelt hat. Da auch Mario Gomez angeschlagen ist und vorher schon mit den Lars Bender und Toni Kroos zudem schon zwei Spieler abgesagt hatten, nominierte Löw für das Spiel in Nürnberg den wiedergenesenen Sven Bender nach. Auch dieser hatte ursprünglich abgesagt.

Tausendermarke im Visier

Sicher dabei sein wird Lukas Podolski. Der saß in Astana im fünften Qualifikationsspiel zum fünften Mal zu Beginn nur auf der Bank, wurde aber auch zum fünften Mal eingewechselt.

Ob das nun eine tröstende Erkenntnis für Podolski ist? Der 27-Jährige wartet weiter auf sein erstes Tor in dieser Kampagne, der Bundestrainer will die Rückstufung Podolskis zum Ergänzungsspieler so aber noch nicht gelten lassen.

"Lukas hat drei Wochen nicht gespielt, war eine ganze Weile verletzt. Er hat nicht diesen Trainingsrhythmus gehabt. Marco Reus war in den ersten Spielen nach der EM für uns wahnsinnig gefährlich. Es herrscht auf diesen Positionen Konkurrenzkampf. Aber Lukas war auch immer dabei."

In den Spielfluss der Mannschaft in Kasachstan war Podolski aber nur bedingt eingebunden. Trotz der Flut an Pässen. Die dürfte sich auch am kommenden Dienstag wieder über die armen Kasachen ergießen. Vielleicht fällt dann in Nürnberg die Tausendermarke.

Kasachstan - Deutschland: Daten & Fakten zum Spiel