DFB-Team - Löws Dreierkette: Vom Experiment zum Problem

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© imago images / Schüler

Seit den Rauswürfen von Mats Hummels und Jerome Boateng im Herbst 2018 setzt Bundestrainer Joachim Löw hinten fast ausnahmslos auf eine Dreierkette. Zur Stabilität, aber auch zur Durchschlagskraft der Mannschaft trägt diese Umstellung bislang nicht bei. Und so wird vor dem Nations-League-Duell mit der Ukraine (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) wieder rege über eine Rückkehr zur Viererkette diskutiert.

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Wer sich als Weltmeister jahrelang für das Größte, Tollste und Beste überhaupt hält, bei der Mission Titelverteidigung aber bereits in der Gruppenphase scheitert, verfällt rasch in Aktionismus.

"Wir werden jeden Stein umdrehen", kündigte Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff nach dem krachenden Aus im Sommer 2018 an.

Bereits wenige Monate später sollten sich weitreichende Veränderungen abzeichnen: Bundestrainer Joachim Löw revolutionierte nicht nur das deutsche Personal, indem er verdiente Spieler wie Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng ausbootete, er revolutionierte auch die deutsche Spieltaktik.

Weg vom ballbesitzenden Taktgeber, der sich in Russland oft die Zähne an tief stehenden Gegnern wie Schweden oder Südkorea ausbiss. Hin zum lauernden Riesen, der nicht mehr so oft den Ball haben möchte, sondern ihn lieber mittels hohen Pressings schnell erobert und dann überfallartig mit Tempospielern wie Timo Werner, Serge Gnabry oder Leroy Sane zuschlägt.

Mit der Dreierkette wurden sieben Führungen verspielt

Das Tiki-Taka sei halt außer Mode, man müsse jetzt flexibler sein und stärker im Umschaltspiel werden, so der Tenor. Also stellte Löw seine Grundformation um: Das jahrelang erfolgreiche, aber nach Meinung der Entscheider beim DFB entzauberte 4-2-3-1 wurde zum 3-5-2 oder 3-4-3. Nun ist es alles andere als verwerflich, Neues auszuprobieren. Und klar, die Dreierabwehrkette kann sich gerade im Spiel gegen den Ball als erheblicher Vorteil erweisen, wenn die beiden Außenbahnspieler im Mittelfeld in der Lage sind, tief nach hinten zu arbeiten und den Dreier- in einen Fünferblock zu verwandeln, der den Gegner erdrückt.

Gleichwohl dürfte nach zwei Jahren des Herumexperimentierens allmählich die Erkenntnis stehen, dass die deutsche Mannschaft eine bessere war, als sie mit zwei statt drei Innenverteidigern und einer Doppellösung auf den jeweiligen Flügeln (Außenverteidiger, Außenstürmer) agierte.

Die Ergebnisse zumindest verraten, dass es an der Umsetzung von Löws Plan hapert: In sieben Länderspielen seit der Einführung der Dreierkette gab man Führungen aus der Hand, in sechs davon sogar in der Schlussphase. Gegen Spanien im September (1:1) und gegen die Türkei im Oktober (3:3) brachte man sich in der Nachspielzeit um den Erfolg.

DFB-Team: Zu wenig Qualität in der Innenverteidigung

Die taktische Marschroute allein kann gewiss nicht schuld daran sein, Löw führt zurecht mehrere Gründe für den Negativtrend - schlechte Chancenverwertung, Unsauberkeit im Passspiel, fehlende Siegermentalität - an. Die These, dass dem DFB-Team ohne Hummels und Boateng die nötige Qualität im Abwehrzentrum fehlt, hat dennoch ihre Berechtigung.

Niklas Süle ist derzeit der einzige Innenverteidiger auf internationalem Spitzenniveau. Robin Koch und Niklas Stark sind noch nicht erfahren genug. Emre Can, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger wird seit Jahren das Potenzial zur Topklasse attestiert, bislang bleiben sie den Vorschusslorbeeren (vor allem vonseiten Löws) Taten schuldig.

Ganz zu schweigen von Jonathan Tah, der auch am Mittwoch gegen die Türkei keinen sicheren Eindruck erweckte, als er nach einer guten Stunde für Rüdiger ins Spiel kam und wenig später das zweite Gegentor mit seinem riskanten Zuspiel auf Florian Neuhaus in die Wege leitete. Bleiben in der Theorie noch die oft grundsoliden Leipziger Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg, die aber gelernte Außenverteidiger sind. Das Spielermaterial für die Dreierkette, es fehlt.

Joachim Löw: "Wir wollen beide Systeme spielen"

Es ist aber nicht nur die Defensive, die unter dem System leidet. Vor dem Hintergrund, dass die aktuellen für die Außenbahn eingeplanten Spieler (Robin Gosens und Nico Schulz links, Thilo Kehrer und Benjamin Henrichs rechts) wenig Dampf nach vorne entwickeln, lässt sich auch die fehlende Durchschlagskraft der Mannschaft nach vorne nicht wegdiskutieren. Müssen dann wie gegen die Türkei auch noch die drei "Mopeds" Werner, Gnabry und Sane fehlen, fällt das Kreieren von Torchancen trotz Gestaltern im Mittelfeld wie Kai Havertz oder Julian Brandt schwer.

Löw meint: "Es liegt nicht am System, das wir nicht gewinnen." Das System trägt aber auch nicht zum Erfolg bei. Dessen scheint sich langsam auch der Bundestrainer bewusst zu werden. Nach dem Türkei-Spiel stellte er zumindest in Aussicht, seine eigens errichtete Baustelle zu beheben und zumindest wieder vorübergehend zur Viererkette zurückzukehren. "Es ist nicht so, dass wir uns auf die Dreierkette festgelegt haben", erklärte der 60-Jährige. "Wir wollen beide Systeme spielen." Gegen die Ukraine soll es dem Vernehmen nach aber bei der Dreierkette bleiben.

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