Mission WM 2014: Die Schlüssel fürs DFB-Team

Stefan Rommel
07. September 201212:42
Joachim Löw und seine Mannschaft wollen in der WM-Qualifikation den nächsten Schritt machenGetty
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Für die deutsche Nationalmannschaft und Joachim Löw beginnt mit dem Färöer-Spiel (ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) eine neue Zeitrechnung. Der Bundestrainer hat ein Ziel schon klar definiert, andere sollen auf dem Weg nach Brasilien noch folgen. Das sind die dringlichsten Aufgaben, die jetzt vom Trainerteam und der Mannschaft bewältigt werden müssen.

Eine positive Stimmung schaffen:

Das Ende war jäh und besonders hart. Das Aus bei der Europameisterschaft gegen Italien hat mehr hinterlassen als nur einen weiteren unvollendeten Traum. Es hat bei großen Teilen der Fans und Berichterstattern Zweifel aufkommen lassen an grundsätzlichen Komponenten des deutschen Spiels und seiner Protagonisten.

Die Fallhöhe zwischen teilweise überdrehter Erwartungshaltung und dem abrupten Sturz hat sich in ein Gewitter verwandelt, wie es der deutsche Fußball-Bund und sein Bundestrainer zuletzt vor acht Jahren über sich ergehen lassen mussten, als Rudi Völler nach der erschreckenden EM in Portugal seinen Platz räumen musste.

Die Begleitumstände der bitteren Nacht von Warschau drängelten sich bis hin zu Joachim Löws erstem öffentlichen Auftritt vor dem Testspiel gegen Argentinien Mitte August. Es entstand ein Vakuum, ungeklärte Fragen standen im Raum, Fans, Medien, Experten fühlten sich alleine gelassen mit ihrer Enttäuschung.

Löws Vorgehen auf einer Pressekonferenz vor dem Argentinien-Spiel sollte die Wogen glätten - der Bundestrainer hat dies aber nur zu einem Teil geschafft. Löw hat seine Maßnahmen längst begründet und sie ausgiebig erklärt. Er übernehme die Verantwortung für das Ausscheiden. Trotzdem fehlt vielen immer noch eine Art Entschuldigung. Ob der Bundestrainer die leisten muss? Löw hat und wird sich dazu nicht mehr durchringen.

Die Zuschauer in Frankfurt waren nicht nachtragend, gleichwohl sogar freundlich gestimmt. Das war ein erstes gutes Zeichen. Jetzt ist es an der Mannschaft, womöglich verspielten Kredit wieder einzuholen. "Es gilt, gut zu starten und wieder eine leichte Welle der positiven Stimmung zu erzeugen", sagt Thomas Müller.

"Die Erwartungshaltung ist hoch, daran werden wir uns messen lassen", fügt er zudem an. Das stimmt. Aber sie ist derzeit, rund 22 Monate vor dem ersten Gruppenspiel in Brasilien, längst nicht mehr so hoch wie in den Wochen vor der Europameisterschaft.

Erwartungshaltung im Mittelmaß

Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Momentan gibt es genau eine Gruppierung, die weiterhin felsenfest daran glaubt, bei den Titelkämpfen in zwei Jahren ganz oben zu landen: Die Mannschaft selbst. Philipp Lahm hat selbstverständlich den Titel als Ziel proklamiert. Was sollte er auch anderes sagen?

Der kleine Unterschied ist jetzt: Während derzeit allenfalls die Mannschaft selbst allergrößte Hoffnungen schürt und vorsichtige Euphorie und Optimismus versprüht, ist die Erwartungshaltung im Land im Mittelmaß angelangt. Die Vorzeichen haben sich verändert.

Seite 2: Lösungen oder Alternativen für die Problemzone finden

Lösungen oder Alternativen für die Problemzonen finden:

Seit Jahren geht der Nationalmannschaft ein Äquivalent zu Philipp Lahm ab. Deshalb ist der Kapitän auch alle paar Jahre Teil der immergleichen Rochade. Von links nach rechts nach links und jetzt doch wieder nach rechts. Fast ein Dutzend Spieler hat Löw rechts und links in der Viererkette während seiner Amtszeit schon installiert, von Gonzalo Castro über Marcel Schäfer bis Lars Bender und Marcel Schmelzer.

Letzterer steht jetzt unter besonderer Beobachtung. Die Wochen vor und nach der Europameisterschaft sollen Schmelzer bereit gemacht haben, endlich dauerhaft die erforderlichen Leistungen im DFB-Dress abzurufen.

"Ich habe bei Schmelzer das Gefühl, dass er bei uns angekommen ist und gute Leistungen bringen wird", sagt Löw. "Er wird bei uns angreifen." Faktisch kann er seine Entscheidung nicht begründen, offenbar handelt es sich bis zur Beweisführung Schmelzers um ein Bauchgefühl. Immerhin war der Test gegen Argentinien im siebten Länderspiel der erste wirklich gelungene Auftritt des Dortmunders.

Schmelzer muss sich beweisen

Das Vertrauen in Schmelzer befördert Lahm quasi automatisch wieder auf die andere, seine Lieblingsseite. Hier könne er besser verteidigen, sagt Lahm. Hier werde er auch im Verein bei den Bayern in Zukunft spielen, sagt Löw.

Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, immerhin spielt Lahm bei den Münchenern schon eine ganze Weile wieder auf der rechten Seite. Nun also auch bei der Nationalmannschaft wieder. "Mit Beginn der Qualifikationsrunde wird Philipp Lahm rechts spielen", bestimmt Löw.

So schnell wird an der Lahm-Schmelzer-Lösung auf rechts und links wohl nichts geändert werden. Löw will den Dortmunder bis zum Jahresende sehen und testen. Es stehen neben dem Doppelspieltag jetzt mit den Färöer und Österreich auch noch die Qualifikationsspiele gegen Irland und Schweden an, sowie das abschließende Freundschaftsspiel gegen die Niederlande.

Von einem gelösten Problem kann man noch nicht sprechen. "Wir hätten gerne auf der Außenverteidigerposition noch ein oder zwei Optionen mehr", sagt Co-Trainer Hansi Flick.

Immerhin aber hat sich Löw für eine Variante entschieden und wird die jetzt auch verfolgen. Verlierer der Rochade sind in erster Linie Jerome Boateng, sowie alle in Deutschland sonst noch gehandelten Rechtsverteidiger mit DFB-Ambitionen. Vor ihnen ist jetzt der Kapitän gesetzt.

Zu wenig Optionen im Sturm

Im Angriff sind Mario Gomez und Miroslav Klose gesetzt. Dahinter klafft ein überdimensional großes Loch. "Es fehlen die Optionen im Sturm", sagt Flick. "Auf Weltklasseniveau hatten wir in den letzten beiden Jahren nur Mario Gomez und Miroslav Klose", sagt Löw. Auch das ist kein neues Phänomen, nur: der Nachschub aus den Jugendmannschaften des DFB versiegt.

Also müssen alternative Wege gefunden werden. Löw formuliert eine Lösung etwas kryptisch: "Fußball-intelligente Spielertypen werden immer wichtiger werden."

Damit sind Spieler wie Marco Reus, Mario Götze, Andre Schürrle oder Lukas Podolski gemeint. Variabel einsetzbar und auf mehreren Offensivpositionen zu Hause müssen die Spieler sein. Flexibilität ist ein bedeutsamer Begriff im Katechismus der kommenden zwei Jahre.

"Wir benötigen Kombinationsspiel und Flexibilität in den Positionen im Angriff", sagt Löw. "Im Moment haben wir Miro, der das hervorragend macht. Marco Reus kann das aber auch."

So lange von unten nichts nachkommt und sich vielleicht der eine (Gomez) oder andere (Klose) auch mal verletzt oder anderweitig verhindert ist, muss sich Löw mit spieltaktischen Mitteln behelfen. Mit einem oder mehreren Spielern, die aus der Tiefe in den Raum drängen und ohne Stoßstürmer.

Oder aber doch mit einem echten Mittelstürmer, auch der zuletzt viel geschmähte Podolski ist hierfür eine Option. Eine sensationelle Neuentdeckung wird es bis zur WM wohl nicht geben. Also gilt: "Parallel müssen wir uns Gedanken machen und Konzepte erarbeiten mit unserem neuen Sportdirektor Robin Dutt", so Löw.

Seite 3: Das Defensivverhalten anpassen

Das Defensivverhalten anpassen:

"Unsere Spielweise gegen defensiv eingestellte Mannschaft hat in der Offensive gut geklappt. Aber wir müssen uns darin verbessern, unser eigenes Tor zu schützen. Da haben wir Defizite und die müssen wir angehen", sagt Löw.

Wie genau die Aufarbeitung der EM ausgesehen hat und welche Thesen daraus formuliert wurden, ist immer noch unklar - bis auf diese eine: Die deutsche Mannschaft soll im Spiel gegen den Ball mehr nach vorne verteidigen. "Wir wollen ein hohes, frühes, aggressives Pressing", fordert Löw.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Gegner wird früh unter Druck gesetzt, hat sofort am Ball Stress, das Spielgeschehen wird weit weg vom eigenen Tor gehalten und der Weg zum gegnerischen Tor ist im Gegenzug erheblich kürzer.

Dazu müssen die Offensivspieler noch mehr in die Defensivarbeit eingebunden werden. "Sie müssen sich dort verbessern", fordert Löw. Um sich danach auch für ihren Einsatz zu belohnen. Alleine mit der Balleroberung ist der hehre Plan ja noch nicht vollendet.

Auch im Umkehrspiel sollen die Abläufe schneller, präziser, effizienter werden. Die Mannschaft solle versuchen, schneller in die Abschlussaktion zu kommen, nur so könne der Aufwand davor auch veredelt werden.

Keine Kopie des Barca- oder BVB-Fußballs

Löw hat am Mittwoch in der Nähe des Trainingscamps vor den Toren von Hannover bekannt, dass sein Trainerteam und er "drei Themen rausgestrichen" habe für die nächsten zwei Jahre. "Rausgestrichen" im Sinne von verstärkt auf die Agenda gesetzt, nicht von der Liste getilgt.

Der Bundestrainer hielt sich lange an der Ausformulierung der neuen Disziplin auf, setzte das nach vorne gerichtete Verteidigen als obersten Tagesordnungspunkt fest. Leider ließ er die beiden anderen wichtigen Themen ungenannt. Dabei ist die große Erkenntnis des Sommers eigentlich nichts Neues.

Borussia Dortmund spielt seit wenigstens drei Jahren in der Art Fußball, seit zwei Jahren zudem damit sehr erfolgreich. Oder der FC Barcelona, oder die spanische Nationalmannschaft. Man wolle sich aber allenfalls ein wenig orientieren, "eine Bundesligamannschaft wollen wir nicht kopieren", versichert Löw.

Vom großen Über-Idol Spanien hat er sich ja schon länger losgesagt. "Wir haben unseren eigenen Spielstil entwickelt. Den gilt es jetzt weiter zu verbessern."

Dass Löw seine Mannschaft auf eine der heikelsten Missionen schickt, ist ihm dabei bewusst. "Das ist mit das Schwierigste überhaupt im Fußball. Spanien oder Barca können das, weil die das schon in der Jugend so eingetrichtert bekommen", sagt er.

Löw: "Wir müssen aktiver arbeiten"

Vielleicht müsse der Verband sich im Jugendbereich auch umorientieren und neue Konzepte entwickeln. "Es geht darum, nicht zurückzuweichen, sich fallen zu lassen und nur die Räume in der Defensive zu besetzen. Wir müssen aktiver arbeiten!"

Es gibt dabei nur ein altbekanntes Problem: Es wird auch in den zwei Jahren bis zur WM immer zu wenig Zeit für intensive Trainingseinheiten geben. Schuld daran ist auch der Rahmenterminkalender der FIFA. Im Normalfall trifft sich die Mannschaft zwei Tage vor einem Spiel, Doppel-Spieltage verbessern die Lage wenigstens ein bisschen.

Auch deshalb sind die Einheiten jetzt in der Sportschule in Barsinghausen schon relativ wichtig. "Wir können hier ein paar Tage länger als sonst zusammenarbeiten", so Löw. "Und das ist gut für den weiteren Weg, den wir gemeinsam bestreiten wollen."