Made in Germany

Von Stefan Rommel
Die deutsche Nationalmannschaft wurde bei der WM in diesem Jahr Dritter
© Imago

Die deutsche Nationalmannschaft hat eines der aufregendsten Jahre ihrer Geschichte hingelegt, mit Höhen und Tiefen und der wichtigsten aller Erkenntnisse: Das gesamte Team ist mit der richtigen Philosophie auf dem richtigen Weg - aber eben auch noch nicht am Ziel. Eine Zusammenfassung.

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Die Spielanlage: Joachim Löws und sein Trainerteam haben dem schleichenden Wandel im Weltfußball Rechnung getragen und sich auf das derzeit am häufigsten praktizierte 4-2-3-1-System verständigt.

Früher wandte Löw die Formation nur in den wichtigen Spielen an (EM-Viertelfinale gegen Portugal, WM-Qualifikation gegen Russland), mittlerweile ist sie Standard. An der grundsätzlich offensiven Ausrichtung hat sich nichts verändert. Allerdings hat Löw besonders den überfallartigen Konterfußball kultiviert.

Mit dem entsprechenden Fundus an Spielern ist Deutschland in dieser Disziplin ein Maßstab für die Konkurrenz. Die Mannschaft hat allerdings immer noch Schwierigkeiten mit Gegnern, die extrem tief stehen und Deutschland komplett die Spielgestaltung überlassen.

Umstrukturierung und Teamgeist: Es gab schwere Rückschläge in dieser Saison, vor allen Dingen personeller Natur. Aber auch mit Bedacht gewählte Maßnahmen, die generelle Veränderungen mit sich brachten. Löw sortierte Torsten Frings aus. Vielleicht hat der Bundestrainer den dauernörgelnden Frings zu lange hingehalten, in der Sache war die Nichtnominierung für die WM aber richtig.

Der Ausfall von Michael Ballack führte erst zu kurzer Tristesse, erweckte dann aber letztlich auch mit jenen Zusammenhalt und das Jetzt-erst-recht-Gefühl, mit dem eine verschworene Gemeinschaft Großes erreichen kann.

Im Halbfinale gegen Spanien standen fünf Spieler, die zwei Jahre zuvor im EM-Finale gegen die Iberer noch nicht dabei waren. Der Übergang verlief dabei reibungslos und sanft und führte am Ende zu einer weiteren Steigerung der Qualität innerhalb der Mannschaft.

Die Kontinuität: Deutschland hat als einzige der großen Nationen auch nach einem kompletten WM-Zyklus von vier Jahren immer noch denselben Trainer in der Verantwortung. Der DFB verfolgt damit seit Jahren schon einen bestimmten Plan, muss seine Ausrichtung nicht ständig einem neuen starken Mann unterordnen.

"Fußball, Made in Germany" hat Joachim Löw das Jahr 2010 getauft. Ein Qualitätsmerkmal, das ohne den Vorlauf von vier Jahren in der Form nicht möglich gewesen wäre. An der personell gut besetzten, aber konzeptionell schwach geführten Konkurrenz sieht man die Unterschiede.

Löws neue Stärke: Im Februar roch es nach der großen Explosion und dem frühzeitigen Ende der Liaison - Ende des Jahres versprüht der Bundestrainer so viel Charisma und Stärke wie noch nie. DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger drängte Löw im Rahmen der angestrebten Vertragsverlängerungen des Bundestrainers (samt Trainerstab) und von Teammanager Oliver Bierhoff mit einem überzogenen Ultimatum in die Schmuddelecke.

Kurz vor der WM schien je nach Ausgang des Turniers alles möglich: Dass Löw entlassen wird, dass er von sich aus hinwirft oder dass er doch noch einmal um zwei weitere Jahre bis 2012 verlängert. Aber es war auch schon ersichtlich, dass Löw autark vom Verband seine Vision durchdrücken will und wird.

Jeder einzelne Sieg in Südafrika und die enorme Popularität von Mannschaft und Trainer daheim in Deutschland ließen Zwanziger überspitzt gesagt zu Kreuze kriechen. Am Ende konnte der Präsident gar nicht mehr anders, als um einen Verbleib Löws zu betteln und zumindest teilweise dessen Forderungen zu akzeptieren.

Löw geht als klarer Sieger aus dem Machtkampf hervor und ist Ende 2010 so unumstritten wie noch nie in seiner Funktion als Bundestrainer.

Die Causa Ballack: Am 15. Mai trat Kevin-Prince Boateng Michael Ballack auf den Knöchel. Die Fußball-Nation war geschockt, Zwanziger erhob gleich eine "unendliche Trauer" über die Republik. Ballack verpasste das Turnier, das sein Turnier werden sollte. Die Krönung nach zahllosen zweiten Plätzen.

Der Unersetzliche musste plötzlich ersetzt werden, schlimmste Szenarien wurden schon gesponnen. Doch Juniorpartner Bastian Schweinsteiger entpuppte sich sehr bald als neuer Chef, Verlegenheitslösung Sami Khedira - vorher drei Länderspiele schwer - als kongenialer Nebenmann. Ballacks Aus setzte neue Kräfte frei, die Mannschaft fing den Verlust ihres einstigen Anführers im Kollektiv auf.

Die starre Hierarchie, von Ballack und dessen ehemaligen Gefolgsleuten Frings oder Jens Lehmann von oben herab diktiert, wich einer flachen, gemeinschaftlichen Ebene, auf der sich der Neuling im Prinzip auf einer Stufe mit dem Anführer fühlen durfte.

Philipp Lahms schlecht getimter Vorstoß in Sachen Kapitänsfrage zwei Tage vor dem Halbfinale gegen Spanien erinnerte noch während des Turniers an den Umstand, der auch in naher Zukunft noch für viel Gesprächsstoff und sehr wahrscheinlich auch Irritationen sorgen wird: Was passiert mit dem verdienten Kapitän?

Löw will Ballack auf jeden Fall eine reelle Chance gewähren. "Ich habe immer gesagt, dass ich weiterhin mit Michael Ballack rechne. Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira haben das bei der WM sehr gut gemacht. Aber ich traue Michael Ballack zu, dass er wieder zurückkommt. Ich weiß, dass er vehement auf sein Comeback drängt."

Die Problemfelder: Trotz aller positiven Entwicklungen gibt es aber auch noch einiges zu verbessern. Vor allem: Für den ganz großen Wurf hat es auch nach vier Jahren noch nicht gereicht. Deutschland ist längst zurück in der Spitzengruppe, aber noch nicht ganz oben.

Zweimal stand Spanien im Weg, das Löw auch immer wieder als sein großes Vorbild nennt. Deutschland ist auf dem Weg dahin, aber zuletzt noch nicht reif genug gewesen, um den Welt- und Europameister zu stürzen. Und am Ende wird auch die hingebungsvollste Arbeit nur an Erfolgen gemessen.

Innerhalb der Mannschaft hat Löw einige Baustellen (zumindest vorübergehend) geschlossen. Eine Nummer eins steht fest und auch wenn bis zur EM 2012 durchaus wieder darum geeifert werden darf, ist beim Konkurrenzkampf kein Zickenkrieg zu erwarten. Dafür sind die Beteiligten zu sehr auch Kollegen und nicht nur Kontrahenten.

Es fehlt aber immer noch ein zweiter Innenverteidiger von hochklassigem Format. Die Suche läuft seit über zwei Jahren, eine endgültige Lösung ist noch nicht gefunden. Zu Recht mahnt Löw auch den Umstand an, dass hinter der derzeitigen Garde an Angreifern im Jugendbereich kein Nachrücker zu sehen ist.

Und wie fast überall auf der Welt geht Deutschland ein gelernter linker Verteidiger mit Weltklasseformat ab. Hier wird viel getrickst, mal versuchen sich Innenverteidiger, mal Mittelfeldspieler.

Ein Ausblick: An Emotionalität war 2010 kaum zu toppen. Lediglich der WM-Titel hätte der unheimlichen Euphorie noch die Krone aufgesetzt. In der kommenden Saison sind keine Titel zu gewinnen, keine Fanmeilen zu füllen. 2011 wird ein Pflichtjahr.

Mit der optimalen Ausbeute von zwölf Punkten aus vier Spielen marschiert die Mannschaft konzentriert in Richtung EM-Qualifikation. Hier kann das Team im kommenden Jahr nur verlieren. Immerhin bergen die vereinbarten Testspiele (u.a. gegen Italien, Brasilien, wahrscheinlich auch Uruguay) die Chance, sich auf höchstem Niveau zu präsentieren.

Mit einer neuen Entschlossenheit, der veränderten Mentalität und dem entdeckten Improvisationstalent sind die Gegebenheiten perfekt. Dazu kommt die vehement nachrückende Jugend.

Spieler wie Mats Hummels oder Mario Götze haben erst ein paar Länderspielminuten auf dem Buckel, aber trotzdem berechtigte Hoffnungen auf einen Einsatz beim nächsten großen Turnier.

"Im Bereich der 18- bis 21-Jährigen sind wir anderen Nationen voraus", sagt Bastian Schweinsteiger, mit 26 Jahren im Prinzip selbst noch ein Jungspund. "Die Erfolge der U-Mannschaften sind ein Beleg dafür, dass unser Kader der mit der größten Perspektive ist."

Deutschland hat beste Perspektiven, um in naher Zukunft endlich wieder einen Titel zu holen. 2011 gilt es diesen Anspruch weiter zu verfolgen und die schon sehr talentierte Mannschaft auf dem eingeschlagenen Weg zu veredeln.

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