Zu schwach für einen Paradigmenwechsel

Von Für SPOX in der Allianz Arena: Stefan Rommel / Andreas Lehner
Gonzalo Higuain spitzelt den Ball an Rene Adler (l.) vorbei und besorgt den Siegtreffer
© Getty

Deutschland experimentierte beim 0:1 gegen Argentinien in den Bereichen Taktik und Personal und scheiterte grandios - an sich selbst und an Argentiniens Schattenmann.

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Diese Sache mit der Zigarre wird Diego Maradona in Deutschland wohl noch lange nachhängen. Wie kann er nur? Was soll das? Eine Zirkusnummer, dieser Clown. Kein Wunder, dass Argentinien so lange um das WM-Ticket bangen musste.

Und dann gab es am Mittwochabend diese eine Szene, die so viel Aussagekraft hatte für ein Spiel einer deutschen Nationalmannschaft, das im eigenen Stadion vom Gegner dominiert wurde.

Die weiß-blaue Maschine

Ein paar Minuten vor dem Ende drängte die weiß-blaue Maschine einen deutschen Angriff bereits im Ansatz so weit in die eigene Hälfte zurück, dass sich der bemitleidenswerte Philipp Lahm im eigenen Sechzehner mit dem Rücken zum gegnerischen Tor drei Argentiniern ausgesetzt sah.

Maradona, der Clown, stand an der Seitenlinie und spendete frenetischen Applaus.

Das letzte ernsthafte Testspiel vor der Nominierung des deutschen WM-Kaders bildete das Werk einer taktisch vorzüglich eingestellten, eingespielten und flexibel agierenden Mannschaft ab. Ganz so, wie es sich Bundestrainer Joachim Löw wünscht. Nur handelte es sich dabei nicht um seine Auswahl.

Ruggeri, der Kumpel

"Wir waren in allen Belangen überlegen, deshalb bin ich sehr zufrieden mit der Leistung meiner Mannschaft. Sie hat so gespielt, wie man es von Argentinien gewohnt ist", sagte Maradona nach dem Spiel.

Nicht eine einzige dicke Torchance hatte Deutschland in insgesamt 93 Minuten Spielzeit. Im ersten Spiel des Jahres, zu Hause, gegen einen klangvollen Gegner.

Großen Anteil daran hat Oscar Ruggeri. Ruggeri ist ein dicker Kumpel von Maradona, 1986 gewannen sie als Spieler gemeinsam den WM-Titel. Es heißt, keiner der unzähligen Freunde stünde Diegito näher.

Eine Nummer zu groß

Ruggeri, einst mit 97 Länderspielen Rekordhalter in Argentinien, ist ein Taktikfuchs und der einflussreichste Berater des Nationaltrainers. Der Urs Siegenthaler Argentiniens - nur eben nicht vom Verband geduldet, geschweige denn bezahlt.

Ruggeri weilte die letzten vier Tage in München, er bezahlte alle anfallenden Kosten aus eigener Tasche. Ein freier Mitarbeiter der Albiceleste, der jedoch auf keiner Lohnliste der AFA geführt wird. Ein Mann im Hintergrund.

"Mir gefällt sein Gesicht nicht", hatte Verbandspräsident Julio Grondona eine Anstellung Ruggeris etwas unkonventionell abgelehnt. Aber Ruggeri war an diesem Abend eine Nummer zu groß für den dreifachen Weltmeister Deutschland.

Für die Mannschaft von Joachim Löw sollte es der erfolgreiche Startschuss in den vorletzten Abschnitt des Unternehmens WM-Titel werden, es sollten endlich dringlichste Fragen beantwortet und neue Brandherde im Vorfeld schon erstickt werden.

Löw und sein Team unter Druck

Jetzt stehen Löw und die Mannschaft in der Vorbereitung auf die WM schon wieder unter Druck. Selten hat eine Auswahl unter Löw so desorientiert und wenig eingespielt gewirkt wie diese am Mittwoch.

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Selbst einfachste Laufwege funktionierten nicht, kein Hinterlaufen, kein Übergeben, kein frühes Pressing, keine Stafetten und Positionswechsel mit oder ohne Ball.

Löw versuchte es mit der taktischen Ausrichtung des 4-2-3-1, wobei er Bastian Schweinsteiger neben Michael Ballack im defensiven Mittelfeld stellte. Aber zwei Wechsel in Löws Paradigmenwelt verkraftet diese Mannschaft offenbar nicht.

Schweinsteiger und Ballack: Ein noch unfertiges Duo

Schweinsteiger und Ballack fehlte natürlich eine gewisse Feinabstimmung, auch viele Gespräche während des Spiels brachten nur bescheidene Verbesserungen.

"Wir müssen in der Vorbereitung nach vorne mehr Druck erzeugen können. Da haben wir ein paar Fehler mehr gemacht als der Gegner", sagte Löw, der eben nur auf das neu gebastelte, aber eben auch unfertige Duo Schweinsteiger/Ballack setzen konnte.

Während die Gäste in Juan Sebastian Veron in der Zentrale vor Javier Mascherano einen fast schon unverschämt guten Bald-35-Jährigen zu bieten hatten.

Kein Druck über Außenbahnen

Neben dem Defensiv-Pärchen hakte es aber auch an den beiden Außenstellen, zwischen Lahm und Lukas Podolski, sowie Jerome Boateng und Thomas Müller. Boateng ist gelernter Innenverteidiger und da per se besser aufgehoben.

Er kann die Position rechts oder links draußen spielen, aber seine Grundfesten bestehen aus einer Ausbildung im defensiven Bereich.

Müller gab sein Debüt und war im starren System auf die rechte Außenbahn im Mittelfeld beschränkt. Bei den Bayern darf er als Freigeist immer und überall sein und so oft es nur geht mit Tempo in die noch so kleinste Lücke der Viererkette sprinten.

Offensivspiel erlahmt

Wenn dann auch noch zwischen Mesut Özil und Miroslav Klose im offensiven Zentrum keine Synergien entstehen, erlahmt das deutsche Offensivspiel auf grausame Weise. Dann reicht die individuelle Klasse allein gegen einen solchen Gegner einfach nicht aus.

"Argentinien stand gut, hat den Ball laufen lassen und uns vorne beim Aufbau gestört. In der ersten Halbzeit hätte uns etwas mehr Mut gut getan, das Selbstbewusstsein haben wir heute nicht gezeigt. In der Offensive hätte ich mir mehr Druck gewünscht, unabhängig vom System", analysierte Löw.

Dazu kam, dass Lahm sich auf der mittlerweile wohl schon ungewohnten linken Seite nicht so wirklich zurecht finden mochte, Löw jetzt weiterhin nicht weiß, welche Seite der Münchener belegen soll und dementsprechend: Welches jetzt die Planstelle für die Nicht-Lahm-Seite ist? Rechts oder links?

Lahm: "Wir brauchen Vorbereitungszeit"

Lahm bleibt weiterhin ein Weltklasse-Außenverteidiger. Aber auch Weltklasse-Außenverteidiger sind erst zu dem geworden, was sie sind, weil sie über einen längeren Zeitraum auf einer Position Weltklasse-Leistungen bringen durften. Und nicht alle drei Wochen in einem anderen Planquadrat auflaufen.

Lahm fand überdies noch einen ganz anderen, viel wichtigeren Grund für die schwache Leistung der Mannschaft. "Deutschland ist ein Team, das eingespielt sein muss und eine gewisse Vorbereitungszeit braucht."

Drei Tage konnte sich die Mannschaft nach dreieinhalb Monaten wieder beschnuppern. Das ist in der Tat wenig Zeit - aber eben auch genau so viel, wie dem Gegner gewährt wurde. Der konnte der Tatsache sogar etwas Positives abgewinnen.

"Wir haben uns voll reingehängt, weil wir jetzt nur noch wenig Zeit haben, um uns auf die WM vorzubereiten", sagte Maradona. "Und auch wenn es der argentinischen Presse nicht gefällt: Wir werden bei der WM eine gute Rolle spielen!"

Deutschland - Argentinien: Daten und Fakten