PSG steht erstmals im Champions-League-Finale: Mit dem Geist eines Elf-Freunde-Underdogs

Paris Saint-Germain gewann gegen RB Leipzig und steht im Champions-League-Finale 2020.
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Seit 2011 steckt die katarische Investorengruppe Qatar Sports Investments Massen an Geld in Paris Saint-Germain, seit 2011 ist es das Ziel von PSG, dadurch vor allem die Champions League zu gewinnen. Neun Jahre später stehen die Chancen dafür so gut wie nie - weil die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel neben ihrer großen individuellen Qualität vor allem eine uralte fußballerische Tugend auf das Feld bringt (Die Highlights des Halbfinals gegen RB Leipzig im Video).

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Jetzt ist es also doch passiert.

Jahrelang scheiterten die beiden von ganzen Staaten alimentierten Klubs Manchester City (Vereinigte Arabische Emirate, ab 2008) und Paris Saint-Germain (Katar, ab 2011) an ihrem großen Ziel, das Champions-League-Finale zu erreichen. Dabei definieren sich diese Klubs, besser gesagt ihre Besitzer, in erster Linie über den Gewinn der Königsklasse. Diese Dauer-Triples wie von PSG sind gewiss nett, in sportlicher Hinsicht aber bei weitem nicht der Hauptgrund des Investments.

Und so erfreuten sich Jahr für Jahr jene Zuschauer, die traditionell den Traditionalisten zugeordnet werden, nicht nur am sommerlichen Standard-Aus von Red Bull Salzburg in der CL-Qualifikation, sondern auch am regelmäßigen Scheitern der Scheichklubs. Es waren für sie gewissermaßen Siege des ursprünglichen, nicht zu verändernden über den modernen, turbokapitalistischen Fußball.

Sicherlich, auch großzügig finanzierte Vereine wie der FC Chelsea, Manchester United oder die von horrenden Schulden geplagten Real Madrid und FC Barcelona investierten Unsummen in ihre Kader und holten den Henkelpott bereits. Doch in den vergangenen Jahren zeigte sich: Fußball bleibt ein Spiel mit allen Unwägbarkeiten und Zufällen. Geld schießt zwar Tore, holt aber nicht zwangsläufig Titel.

PSG neun Jahre nach Katar-Investment erstmals im CL-Finale

Nun, neun Jahre nachdem das katarische Engagement bei PSG begonnen hat, stehen die Chancen so gut wie nie, dass der Verein die Champions League gewinnt. Der französische Hauptstadtklub, 1970 gegründet und kürzlich 50 Jahre alt geworden, hat das Halbfinale gegen RB Leipzig, elf Jahre alt, souverän mit 3:0 gewonnen - weil es die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel neben ihrer großen individuellen Qualität mittlerweile schafft, vor allem eine uralte fußballerische Tugend auf das Feld zu bringen.

In der Ligue 1 reichte es Paris unter den allermeisten der bisher von Katar engagierten Trainern, die besseren Einzelspieler zu besitzen. Auf dem höchsten europäischen Niveau funktionierte das bei weitem nicht: PSG schied viermal in Folge im Achtel- und anschließend dreimal in Serie im Viertelfinale aus. Für den Verein längst ein Misserfolg. Tuchel ist bereits der fünfte Coach, der sich am großen und einzigen Ziel versucht.

In seiner zweiten Saison ist es dem Ex-Dortmund-Trainer nun nach und nach gelungen, aus einer Ansammlung an Solisten, jeder davon mit einer stattlichen Portion Ego ausgestattet, ein funktionierendes und vor allem auch harmonisches Gebilde zu schaffen. Zwar lebt die Mannschaft immer noch von der Genialität der drei Offensivgranaten Neymar, Kylian Mbappe und Angel Di Maria, doch die Bewegungen des gesamten Teams wirken nun deutlich orchestrierter. Paris kämpft nun zusammen. Das gemeinschaftliche Pressing gegen Leipzig war bärenstark.

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Tuchel: "Uneitel zu spielen ist der Schlüssel"

"Wir haben uns darum gekümmert, dass Neymar machen konnte, was auch immer er wollte", sagte Marquinhos nach dem dramatischen Viertelfinalsieg gegen Atalanta Bergamo (2:1). Dieser Kern bleibt freilich bestehen, bei der herausragenden Qualität des Brasilianers muss man sich dafür auch nicht entschuldigen. "Man könnte uns unterstellen, wir definieren uns nur über die Einzelqualität", sagte Tuchel nach dem Finaleinzug und schob das hinterher, was nun sozusagen neu an seinem Team zu beobachten ist: "Aber das ist eben nicht so. Es ist schön, dass wir die Verbissenheit jetzt zeigen. Das ist der Hammer."

Die Pariser zeichnen tatsächlich Leidenschaft und Teamgeist aus, was gerade in den beiden Partien beim Turnier in Lissabon augenscheinlich wurde. Oder wie es Thilo Kehrer etwas schief ausdrückte: "Wir sind wirklich ein eingeschweißter Haufen."

Tuchel lobte den Hunger und die Unnachgiebigkeit seiner Truppe, deren gemeinschaftliche Qualität offenbar erst dann in vollem Umfang zum Vorschein kommt, wenn ganz plump ausgedrückt alle an einem Strang ziehen. Uneitel zu spielen, also das Gegenteil davon, was ein Profi wie eben Neymar jahrelang in aller Regelmäßigkeit tat, "das ist das Mittel und die Herausforderung am Ende", sagte Tuchel.

PSG und das Gefühl vom Underdog

Und ja, es war so: Auch wenn sich Neymar von seiner ihm innewohnenden Theatralik nicht gänzlich verabschieden kann, leistete er gegen Leipzig mehr Defensivarbeit als gewöhnlich und das auch noch bis zum Schluss. Obwohl das Spiel längst entschieden war! So wird aus Neymar ein ganz anderer Spieler. Nach dem Spiel gegen Atalanta überreichte er Eric Maxim Choupo-Moting seinen Man-of-the-Match-Award. Ob man das vor ein, zwei Jahren so hätte beobachten können?

Eine wichtige Rolle spielen auch die Neuzugänge Keylor Navas, Pablo Sarabia und Ander Herrara. "Wir haben Typen geholt, die Erfahrung haben, international gespielt und Titel gesammelt haben. Sie bringen sich total ein in die Mannschaft, die haben nochmal für Klebstoff gesorgt", sagte Tuchel.

Das 3:0 in der CL-Gruppenphase gegen Real Madrid ohne Mbappe, Neymar und Ex-Stürmer Edinson Cavani habe für "riesigen Zusammenhalt und Glauben" gesorgt, erklärte der nun fünfte deutsche Trainer, der es in das Finale der Königsklasse schaffte. Seine Mannschaft sei wirklich zusammengewachsen: "Es fühlt sich an, als würde man in Anführungszeichen einen Underdog trainieren, der sich komplett darüber definiert."

Außenseiter-Gefühl bringt PSG Motivation und Gier

PSG ist zwar alles andere als ein Außenseiter, doch dieses von Tuchel beschriebene Gefühl rührt wohl vom bisherigen Dauer-Scheitern im höchsten europäischen Wettbewerb her, womöglich auch von der in vielen Teilen des Fußballkosmos dann zur Schau gestellten Schadenfreude. Dies scheinen die Spieler nun in Motivation und die nötige Gier zu verwandeln - und schon wirkt das Team mehr wie das Klischee von den elf Freunden denn wie die Zweckgemeinschaft aus den vergangenen Spielzeiten.

Am Dienstagabend in Lissabon ließ Tuchel sechs Spieler auflaufen, die seit drei oder mehr Jahren in Paris spielen und dem übergeordneten Ziel bislang vergebens hinterherhechelten. Die derzeitige Mischung erweckt erstmals den Anschein, als könne sich bald nicht nur ihr Traum erfüllen.

tuchel
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Champions League: Die letzten Sieger der Königsklasse

SaisonGegner
18/19Tottenham Hotspur
17/18FC Liverpool
16/17Juventus Turin
15/16Atletico Madrid
14/15Juventus Turin