So weit weg wie lange nicht

Beim FC Arsenal herrscht nach dem 1:5-Debakel gegen Bayern München Frust
© getty

Der FC Arsenal steht nach dem 1:5-Debakel beim FC Bayern München zum siebten Mal in Serie vor dem Aus im Achtelfinale der Champions League. Der Auftritt bringt die Qualität des Kaders auf den Prüfstand - und fördert unangenehme Fragen nach der Zukunft zutage.

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Die 49. Minute ist der Anfang vom Ende. Der vierte Offizielle, Nemanja Petrovic, hält die Anzeigetafel hoch. Eine grüne 5 leuchtet auf, daneben eine rote 6. Für Laurent Koscielny geht es nicht weiter. Der Franzose gibt seine Kapitänsbinde an Kieran Gibbs, humpelt zur Seitenlinie und macht Platz für Gabriel Paulista.

Das Champions-League-Achtelfinal-Hinspiel beim FC Bayern München ist für Arsenals Kapitän beendet. Der Spielstand ist 1:1. Zu diesem Zeitpunkt ein Traumresultat für die Gunners auswärts in der Allianz Arena.

Nicht einmal eine Viertelstunde später steht es 1:4 aus Sicht der Gäste. Die Ordnung ist dahin, die Verunsicherung greifbar.

Koscielnys Ausfall als Wendepunkt

"Ich hätte ihn natürlich gerne weiter auf dem Platz gehabt", sagte ein bedröppelt dreinblickender Arsene Wenger nach dem Spiel auf der Pressekonferenz. "Es ist aber schwierig zu beurteilen, ob es daran lag, dass wir danach so eingebrochen sind."

In der Personalrochade liegt sicher nicht der einzige Grund für Arsenals Kollaps. Fakt ist aber: Bis zu jener 49. Minute war Koscielny der prägende Mann in der Defensive der Wenger-Elf.

Der Franzose organisierte die Verteidigung mit seinen Kommandos, die Abstände stimmten, seine Nebenmänner wirkten unter seiner Führung deutlich sicherer. Koscielny gewann 80 Prozent seiner Zweikämpfe, unter anderem in der 14. Minute mit einer spektakulären, fairen Grätsche gegen Robert Lewandowski, und überzeugte durch starke Antizipation. Drei abgefangene Bälle waren bis zum Schluss Bestwert bei den Gästen. Darüber hinaus war er der Gefoulte vor dem Strafstoß, in dessen Folge das 1:1 fiel. Vorne und hinten ein Protagonist und Garant für das vielversprechende Halbzeitergebnis.

Wenger: "Es war ein seltsames Spiel"

"Es war ein seltsames Spiel", befand Wenger. "In der ersten Halbzeit haben wir ganz gut gespielt und hatten kurz vor der Pause zwei große Chancen." Xhaka und Özil hatten Gelegenheiten, Arsenal sogar in Führung zu bringen. Das Spiel stand auf Messers Schneide, für die Londoner schien plötzlich etwas zu gehen.

Dann war Halbzeit, dann musste Koscielny raus, dann fielen zwei Gegentore innerhalb weniger Sekunden - und die Abwehr der Gunners wirkte zu keiner Zeit mehr sattelfest. "Durch diese zwei Gegentreffer haben wir die Ordnung völlig verloren", analysierte Wenger. "Es war ein taktisches und ein mentales Problem."

Arsenal passierte in dieser Phase genau das, was in München unter gar keinen Umständen passieren durfte: Die Mannschaft lief ins offene Messer und erlaubte den Bayern mit Unkonzentriertheiten, sich in einen Rausch zu spielen. Die Roten hatten Lust, spielten die Räume stark aus, die bisher wohl beste Halbzeit unter Carlo Ancelotti wurde allerdings auch begünstigt durch schwache Gunners, die komplett in sich zusammenfielen.

Was bleibt am Ende von einer ordentlichen Halbzeit, nach der Vieles auf eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel Anfang März in London hindeutete? Nicht viel. Am Ende steht aus Arsenal-Sicht ein 1:5 - die höchste Niederlage in der Champions-League-Geschichte (nur beim 1:5 gegen die Bayern vor 15 Monaten verlor Arsenal bereits einmal so deutlich). "Das Ergebnis ist sehr schlecht für uns. Die letzten 25 Minuten waren ein Albtraum. Wir haben keine Antworten mehr gefunden", fasste Wenger zusammen.

Siebtes Achtelfinal-Aus in Folge

Nach dem Spiel war die vorherrschende Emotion Frust. Die Spieler stapften mit tief ins Gesicht gezogenen Basecaps wortlos durch die Mixed Zone. Das siebte Achtelfinal-Aus nacheinander in der Königsklasse ist nur noch mit einem Fußballwunder zu verhindern. Und daran glaubte nach diesem Abend bei den Gunners niemand mehr.

Zugegebenermaßen war das Losglück in den letzten Jahren nicht immer ein treuer Begleiter. Bayern, Bayern, Monaco und Barcelona lauteten die Achtelfinal-Gegner der letzten Jahre. Dann werden die Gunners schon einmal wieder Gruppensieger vor PSG und welches Los kommt? Bayern. Nichtsdestotrotz: So weit wie am Mittwochabend im zweiten Durchgang war Arsenal lange nicht von Europas Spitze entfernt.

25 Prozent Ballbesitz, 270:784 Pässe, 2:9 Ecken, 7:24 Torschüsse und eben - und das ist die Statistik, die wirklich zählt - 1:5 Tore. Die Kennwerte manifestieren am Ende einen Klassenunterschied.

Britische Presse lästert

Die britische Presse spottete am Abend über die Verlierer: "Wenger hängt in den Seilen", titelte der Mirror, die Daily Mail sprach von einer "Erniedrigung von Wengers Flops", die Sun bediente sich wie so häufig eines Wortspiels: "Bay, Bye Arsene!"

Bei ITV lederte Experte Roy Keane gegen die Qualität im Kader der Gunners: "Mich überrascht das nicht. Haben die gedacht, dass sie nach München fahren und ein gutes Ergebnis erzielen? Es fehlt bei Arsenal an allem: an Führungsspielern, Charakteren, Hunger, Wille. Es bringt nichts, sie zu kritisieren, da sie einfach nicht gut genug sind."

Unangenehme Fragen zur Zukunft

Nach dem Debakel und dem damit quasi besiegelten Aus in der Königsklasse kochen unangenehme Fragen zwangsläufig hoch: Sind die Ansprüche und die Zielsetzungen wirklich zu hoch für die Qualität des Kaders?

Wie geht es mit Alexis Sanchez - nicht nur wegen seines Tores einer der wenigen Lichtblicke im Spiel der Gunners - weiter? Ist er in einer Mannschaft auf diesem Leistungsniveau noch zu halten?

Und wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, an dem Arsene Wenger die Verantwortung über die Entwicklung der Mannschaft in andere Hände gibt? Ist sein Vorhaben, Arsenal dauerhaft in Europas Elite zu etablieren, nach sieben Achtelfinalpleiten gescheitert? Die Stimmen nach einer Wachablösung sind ohnehin schon da, leiser werden sie durch das Debakel von München sicher nicht.

FC Bayern - FC Arsenal: Die Statistik zum Spiel