Der grimmige Charme von Beton

Eigentlich kein Mann, dem man Emotionen zutrauen würde: Andrea Pirlo
© getty

Juventus verliert sein viertes Champions-League-Finale in Folge. Vor allem der geniale Spielmacher der Italiener Andrea Pirlo hat darunter zu leiden. Es könnte seine letzte Chance auf einen erneuten Triumph in der Königsklasse gewesen sein.

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Die Tränen waren getrocknet, aber das Gesicht sprach Bände. Andre Pirlo verzog keine Miene, als er das Berliner Olympiastadion verließ und in den zur Abfahrt bereiten Mannschaftsbus von Juventus Turin stieg.

Wenn man auf dem langen Weg vorbei an den vielen Kameras und Mikrofonen in die Gesichter der Spieler von Juventus blickte, sah man immer die Enttäuschung, die nach einem verlorenen Endspiel zu erwarten ist.

Aber kein Gesichtsausdruck passte derart zu diesem grimmigen Charme, den dieser in den 1930er Jahren erbaute Betonklotz auch in seinem innersten ausstrahlt, wie der von Andrea Pirlo.

Es war eine Geschichte dieses Abends, dass ausgerechnet der 36-jährige Altmeister Juves nach dem Schlusspfiff Tränen vergoss, während Vertreter der jüngeren Generation wie Paul Pogba schon einige Minuten später wieder lachen konnten.

Der coolste Spieler der Welt

Pirlo hat in seiner Karriere schon so viel erlebt. Er ist 2006 in Berlin Weltmeister geworden, er hat mit dem AC Milan 2003 und 2007 die Champions League gewonnen, aber hat auch 2005 das Endspiel der Königsklasse verloren und 2012 das EM-Finale.

Während seiner langen Laufbahn hat er sich vor allem in der Endphase einen Status als Kultfigur im Hochglanzbusiness Fußball erarbeitet. Pirlo hat gute Karten auf den Titel coolster Spieler der Welt. Sein Blick ist sein Markenzeichen, irgendwo zwischen gelangweilt, lustlos und unglaublich lässig.

Der Klub hat dem Phänomen Pirlo und seiner Mimik sogar schon eine eigene Kampagne gewidmet. Sie läuft unter dem Motto "Pirlo is not impressed". Dabei passieren einige außergewöhnliche Dinge direkt vor Pirlos Augen - aber der sitzt da und schaut.

Tränen wie 2012

Vielleicht mag Pirlo im privaten Leben tatsächlich ein solch abgebrühter Hund sein, für den Fußball gilt das aber nur für die 90 Minuten. Pirlo hat auch im Champions-League-Finale einige seiner feinen Pässe gespielt und das Spiel damit in die von ihm geplante Bahn gelenkt. Aber am Ende jubelte Barca - und Pirlo weinte.

Schon nach dem verlorenen Endspiel bei der EM 2012 mit der italienischen Nationalmannschaft gegen Spanien flossen bei ihm die Tränen. Bei all der Lässigkeit und Erhabenheit, die diesen Typen umgeben, geht oft unter, dass er ein ehrgeiziger Profisportler ist, der auch mit 36 Jahren im Finale der Königsklasse das größte Laufpensum abspult.

Er hat alles getan, um sich diesen Titel zu holen. Dazu gehörte auch, dass er nach 14 gespielten Minuten ein paar beruhigende Worte an seinen Mittelfeldkollegen Arturo Vidal richtete. Der Chilene war schon zu diesem Zeitpunkt Gelb-Rot gefährdet.

Kontrolle von Emotionen

Es gehe in einem Endspiel auch immer um die Kontrolle von Emotionen hat Torhüter Gigi Buffon im Vorfeld des Spiels gesagt. Vidal hat das im Vergleich zu Pirlo auf dem Platz weniger gut hinbekommen. Der Chilene war ein Grund, warum Juventus lange Zeit nicht den Zugriff aufs Spiel hatte.

Als die Italiener in der zweiten Hälfte stärker wurden und nach dem Ausgleich "wirklich daran glaubten, dass wir das Finale gewinnen können" (Pogba), nutzte Barca die aufkommende Euphorie im Spiel nach vorne bei Juve und erzielte das 2:1.

"Wir haben zwei Tore hergeschenkt, vor allem das zweite", sagte Trainer Massimiliano Allegri. "Aber das zeigt uns, dass wir auf diesem Niveau immer auf der Hut sein müssen. In jedem Moment kann sich der Verlauf des Spiels drehen. Und dann hat uns ein Konter den Gar ausgemacht."

Xavi als Motivation

Allegri will die Erfahrung dieses Finals nutzen, um aus dem Überraschungsfinalisten Juventus wieder ein dauerhaft konkurrenzfähiges Team zu machen. Ob Pirlo dann noch ein Teil dieser Mannschaft sein wird, ist noch nicht endgültig geklärt.

Sein Vertrag läuft zwar noch bis Ende Juni 2016, aber ein Wechsel in die USA steht immer wieder im Raum. Bei einem Sieg hatte er seinen Abschied schon durchklingen lassen. Vieles spricht dafür, dass sich Pirlo nicht mit einer Niederlage vom europäischen Fußball verabschieden will und kommende Saison einen neuen Anlauf nehmen wird.

Wie schön der Abschied sein kann, hat Pirlo bei Barca gesehen. Da gewann Xavi in seinem letzten Spiel die Champions League und durfte als Kapitän den Pokal in Empfang nehmen. Der Spanier hat Pirlo auf dem Rasen getröstet.

Juventus - Barcelona: Die Statistik zum Spiel

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