PSG schlägt RB Leipzig mit 1:0: Tuchels totgerittenes Pferd springt so hoch, wie es muss

Thomas Tuchel (M.) mit seinen Superstars Neymar und Kylian Mbappe.
© getty

Paris Saint-Germain darf nach dem knappen 1:0-Sieg über RB Leipzig (die Highlights im Video) weiter auf das Erreichen des Champions-League-Achtelfinals hoffen. Dass Trainer Thomas Tuchel trotz spielerischer Armut den Auftritt seines Teams lobte, zeigt, wie sich die Maßstäbe bei PSG verschoben haben. Und: Das nächste Endspiel wartet schon.

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Der Druck auf Thomas Tuchel würde, so viel war nach Abpfiff klar, trotz des überlebenswichtigen Sieges nicht geringer werden. "Ein veritabler Diebstahl", war bei L'Equipe zu lesen, und Franck LeBoeuf, Weltmeister von 1998, echauffierte sich bei ESPN: "PSG hat sich auf seine Individualisten verlassen und für ein Wunder gebetet." Dieses sei dann tatsächlich eingetreten, in Form eines Elfmetergeschenkes vom Unparteiischen.

"Ici c'est Paris" lautet das Motto von PSG, das in puncto Selbstverständnis Ähnlichkeiten zum bayerischen "Mia san mia" aufweist. Am Dienstagabend war im menschenleeren Parc des Princes aber weniger Paris, sondern mehr Angsthasenfußball. Eine Abwehrschlacht wurde den TV-Zuschauern geboten, mit wenigen Chancen und noch weniger Anspruch an das eigene Fußballspiel. 9:15 Torschüsse, 2:6 Ecken, 4:17 Flanken, 38 Prozent Ballbesitz - so wenig wie seit über drei Jahren nicht mehr. Man könnte meinen, Leipzig habe zuhause gespielt und ein mit Weltstars gespicktes Team aufgeboten.

Und dennoch schien Tuchel im Sky-Interview am Spielfeldrand in extrem guter Stimmung, als er den Sieg und die Leistung seines Teams erklären sollte. Etwas zappelig, mit lädierten Stimmbändern ob der 90 lautstarken Minuten zuvor, machte er einen fast euphorisierten Eindruck, als müsse er nach einem derartigen extremen Hoch erst wieder runterkommen. Ein Verhalten, das man dem Taktiker eher nach einer 5:0-Meisterleistung gegen Real Madrid zutrauen würde, und nicht nach einem über die Zeit geretteten 1:0 daheim gegen Leipzig.

Von "Druck auf dem Kessel" sprach Tuchel, von fitgespritzten Spielern, die über die eigene physische Leistungsfähigkeit hinausgehen würden, und einem erbarmungslosen Spielplan, der Reha, Training und Einspielen unmöglich mache. Und gluckste geradezu, als ihm bewusst wurde, dass das ja alles andere als neu war, sein Wehklagen über das Hangeln von Spiel zu Spiel und "körperlich hingerichtete" Spieler: "Es ist immer die gleiche Geschichte, die ich erzähle. Das Pferd ist argumentativ totgeritten."

Tuchels Außenseiter-Taktik bei PSG: Auch Neymar zieht mit

Dass Tuchel, der übrigens bei der Pressekonferenz dann doch noch einen Wutanfall bekam, sich dieser Thematik so gut gelaunt widmete, war natürlich zuerst dem Sieg über Leipzig geschuldet, der die Tür zum Achtelfinale offen gehalten hatte. Aber auch der Tatsache, dass die Ansprüche an der Seine - zumindest kurzfristig - deutlich gesunken sind. Wer als amtierender Champions-League-Finalist so auftritt, wer sein Team nach diesem spielerischen Offenbarungseid mit Lob überschüttet, der hat sich mit Haut und Haaren einem "Mehr ist derzeit einfach nicht drin!" verschrieben.

Für den 47-Jährigen, der sich seit Monaten in einer Dauerfehde mit Sportdirektor Leonardo befindet, spricht, dass seine Spieler an diesem Abend komplett mitzogen. Hochkonzentriert verteidigte die von Verletzungen und Covid-Unterbrechungen gebeutelte Mannschaft von der ersten bis zur 90. Minute. Kapitän Marquinhos dirigierte die improvisierte Viererkette mit Ergänzungsspieler Mitchel Bakker und Roma-Leihgabe Alessandro Florenzi, davor stopfte ein Dreier-Mittelfeld um Leandro Paredes sämtliche Lücken.

Foul oder Schwalbe? Angel Di Maria liegt im Leipziger Strafraum.
© imago images / PanoramiC
Foul oder Schwalbe? Angel Di Maria liegt im Leipziger Strafraum.

Sogar das Sturm-Triumvirat Neymar, Kylian Mbappe und Angel Di Maria arbeitete - zumindest zeitweise - konzentriert gegen den Ball. Mbappe, wie Neymar alles andere als fit in die Partie gegangen, zog seine Sprints an, und der Brasilianer war, nachdem er den Elfmeter ins Netz gezittert hatte, gerade in Halbzeit zwei in Alleinunion für Entlastung zuständig. Die Tatsache, dass Neymar gefühlt nach jedem Zweikampf 30 Sekunden am Boden lag, mag kolossal nervig sein - doch dass er mit 30 Zweikämpfen doppelt so viele davon registrierte wie der nächste Mitspieler, und davon auch noch gute 50 Prozent gewann, nötigt dann doch Respekt ab.

"Das ist ein Finale, und wir werden dieses Spiel wie ein Finale vorbereiten", hatte Tuchel angekündigt, und so spielte sein Team dann auch: Als befände man sich im Endspiel der Königsklasse, wo später niemand mehr nach spielerischen Glanzpunkten fragt, oder einem geschundenen Strafstoß zum Sieg - Hauptsache, man stemmt den Henkelpott hoch.

Und so coachte Tuchel auch: Erst in der 90. Minute holte er sein angeschlagenes Superstar-Duo vom Feld. Man kann schließlich nicht nur Argumente totreiten.

Champions League: Die Tabelle der Gruppe H

RangSpieleSUNDiffP
14301+89
24202+16
34202-36
44103-63

PSG in der Königsklasse: Zwei Endspiele stehen noch an

So wird es auch in den kommenden Wochen weitergehen: Bleibt man beim eben gewählten Bild, dann hat Tuchels Vollblut mit Mühe und Not die Hürde Leipzig genommen. Statt nun die Zügel zu lockern, wird er ihm jedoch weiterhin die Sporen geben, schließlich stehen weitere Hindernisse an: Am kommenden Mittwoch muss bei Manchester United eigentlich ein Sieg her, um die Chancen auf das Achtelfinale nicht dramatisch zu schmälern.

Gelingt das, könnte die K.o.-Runde weitere sechs Tage später daheim gegen Basaksehir perfekt gemacht werden. Das nächste Finale wartet also schon, und der Angriff der Red Devils ist deutlich stärker einzuschätzen als der aus Leipzig. PSG wird erneut kratzen und beißen müssen. "Ici c'est Paris", das steht derzeit eher für Grasflecken auf Neymars Trikot als für blütenweiße Fußballschuhe.

Erst wenn der Achtelfinaleinzug gelungen ist, wird sich Tuchel taktischen Finessen und ausgefeilten Kombinationen widmen können, bleiben bis zum Achtelfinale Mitte Februar doch über zwei Monate, um Wehwehchen auszukurieren und Spielzüge einzustudieren. Hilfreich dabei: In der Liga steht man trotz eines Stotterstarts an der Spitze, ein echter Konkurrent ist nicht in Sicht. Dort können Neymar, Mbappe und Co. also auch öfter mal geschont werden.

Und sollte es zum Aus in der Gruppenphase kommen, nun, dann wird Tuchel wohl ohnehin absatteln müssen.

Paris Saint-Germain: Die kommenden Spiele

DatumUhrzeitWettbewerbGegnerOrt
28.11.202021 UhrLigue 1Girondins BordeauxHeim
02.12.202021 UhrChampions LeagueManchester UnitedAuswärts
06.12.202021 UhrLigue 1HSC MontpellierAuswärts
08.12.202021 UhrChampions LeagueBasaksehir FKHeim
13.12.202021 UhrLigue 1Olympique LyonHeim