Wild Wild West

Von Daniel Reimann
Der FC Chelsea erzielte hohe Transferüberschüsse mit dem Wechsel ehemaliger Leihspieler
© getty

Der FC Chelsea hat das Ausleihen von Talenten zum Geschäftsmodell auserkoren. Aus "Trial and Error" wurde dank eines kongenialen Duos ein profitables System - auf finanzieller und sportlicher Ebene. Doch die Schattenseiten sind bedenklich.

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"Schau dir den Franzosen an, der ist ein Star!", schwärmte Michael Ballack, als er seinen neuen Teamkollegen kicken sah. Auch Frank Lampard war hin und weg: "Sein Naturtalent ist atemberaubend." Und John Obi Mikel gestand scherzhaft, dass er im Training stets versuche, den 16-jährigen Franzosen umzutreten: "Es ist die einzige Möglichkeit, ihn aufzuhalten. In puncto Veranlagung ist er der beste Spieler der Welt."

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Der Adressat des kollektiven Lobes war Gaël Kakuta. Damals, im Jahr 2007, war er das wohl begehrteste Talent auf dem internationalen Markt. Gesegnet mit bewundernswertem Ballgefühl, spektakulären Dribbling-Fähigkeiten und einem genialen Auge. Chelsea wollte ihn unbedingt holen.

Der Verein ging bis zum Äußersten, der Fall landete sogar vor dem Sportgericht. Der Vorwurf von Ex-Klub RC Lens: Vertragsbruch. In erster Instanz wurde Kakuta zu einer sechsstelligen Geldstrafe verurteilt, die FIFA drückte Chelsea eine Transfersperre auf. Erst der internationale Sportgerichtshof brachte im Jahr 2010 den zweifelhaften Freispruch.

Kakuta als Symbol für "Verschwendung"

Da war Kakutas Karriere bereits ein wenig ins Stocken geraten. Der einstige "Academy Player of the Year" erhielt kaum Einsatzminuten. Kakuta drohte auf der Bank zu versauern. Also griff Chelsea zu einem klassischen Stilmittel: Ausleihe.

Fünf Jahre später ist Kakuta, mittlerweile 23 Jahre alt, noch immer Leihspieler. Der FC Fulham war seine erste Station, Rayo Vallecano markiert die derzeit sechste. Das Trikot des FC Chelsea trug er das letzte Mal vor über drei Jahren, als er zwischen den Stationen Dijon und Arnheim eine kurze Zeit für seinen eigentlichen Klub auflief.

Bei Rayo gehört Kakuta zum Stammpersonal, spielt eine ordentliche Saison. Doch gemessen an seinem einstigen Potenzial ist seine Entwicklung beinahe tragisch. Guy Hillion, der ihn einst als Erster für Chelsea gescoutet hat, ist heute untröstlich: "Es ist solch eine Verschwendung. Er war der begabteste Spieler seiner Generation. Er hätte ein Ausnahmespieler werden können."

Stattdessen muss Kakuta heute oft als Symbol herhalten. Als Symbol für die Risiken hoch gepriesener Talente, die bei Chelsea unterschreiben, aber letztlich bei Leihvereinen verkümmern und den Absprung nicht schaffen.

Chelseas wahnwitzige Talent-Akquise

Derzeit hat Chelsea 23 Spieler bei anderen Klubs geparkt, zwischenzeitlich waren es sogar 30. Bei keinem anderen Top-Klub hat das Leihsystem ein derartiges Ausmaß angenommen wie bei den Blues.

Dabei ist die Methode des Ausleihens nur eine zwangsläufige Konsequenz aus dem ausgiebigen Scouting und der wahnwitzigen Talent-Akquise des Vereins. Chelsea verfügt über eines der größten Scouting-Netzwerke, das überall in der Welt die vereinsinterne Datenbank mit Informationen, Statistiken und Eindrücken füttert.

Auf das Ergebnis haben letztlich nur wenige Menschen Zugriff, unter anderem Vereinsboss Roman Abramowitsch mit einer eigens dafür entwickelten App.

Perfektioniert wurde das System im Juni 2011, als der neue technische Direktor Michael Emenalo und Scott McLachlan, seines Zeichens internationaler Scoutingchef bei Chelsea, sich der Sache annahmen.

Im Zuge dessen erhielt das Stilmittel Ausleihe eine neue Dimension. Seit Antritt des Duos verpflichtete Chelsea 31 Spieler, 20 von ihnen waren 21 Jahre oder jünger. 14 von ihnen sind bis heute verliehen. Talente wurden seitdem noch früher an den Verein gebunden, jedoch oft sofort wieder verliehen.

Aus der Not eine Tugend

Emenalo und McLachlan wollen damit die Anzahl an Fällen wie Kakuta, der bei Chelsea einst wertvolle Zeit verlor, so klein wie möglich halten. Kakutas Entwicklung war auch aufgrund mangelnder Spielpraxis ins Stocken geraten. Erst nach drei Jahren, in denen er nie über den Status "Supertalent ohne Einsatzzeit" hinauskam, wurde er ausgeliehen.

"Uns ist klar geworden, dass es für junge Spieler von 18 bis 21 die schwerste Zeit ist. Sie grübeln, ob sie gut genug für die Profis sind und was als nächstes kommt", beschreibt Emenalo die Problematik. "In dem Alter ist es besser für sie, ausgeliehen zu werden, wo sie wahrgenommen werden und Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht ist es das Beste."

Über die Jahre hat Chelsea aus der Not eine Tugend gemacht. Das Abschieben von Talenten, denen es an Spielpraxis fehlte, wurde systematisiert. Wirkte es in den ersten Jahren unter Abramowitsch noch wie ein willkürliches "Trial and Error", hat Chelsea sein Leihsystem mittlerweile vorausschauend und sogar profitabel ausgerichtet.

De Bruyne, Lukaku, Hazard: Die Kasse klingelt

Im November letzten Jahres verkündete der Verein, dass in der zurückliegenden Saisonperiode 26 Millionen Euro Gewinn gemacht worden ist. Es war erst das zweite Mal in der Ära Abramowitsch, dass Chelsea im positiven Bereich landete. Ein wesentlicher Grund dafür war der Verkauf zweier Leihspieler: Romelu Lukaku und Kevin de Bruyne.

Die beiden Talente brachten den Blues - je nach Leseart - um die 60 Millionen Euro Ablöse ein. Beide wurden einst in jungen Jahren verpflichtet und waren die meiste Zeit ausgeliehen. Für Chelsea fielen währenddessen kaum Kosten an, weil der ausleihende Verein das Gehalt übernahm und sogar in beiden Fällen noch Leihgebühren hinzukamen. 2014 wurden de Bruyne und Lukaku mit je rund 14 Millionen Gewinn weiterverkauft.

Auch für den nächsten Bilanzierungstermin hat Chelseas Fundus an Leihspielern schon einen ordentlichen Beitrag geliefert. Erst vor kurzem wurden Ryan Bertrand (Southampton) und Thorgan Hazard (Mönchengladbach) von ihren Leihvereinen fest verpflichtet. Macht in der Summe knapp 22 Millionen Euro Ablöse für zwei Spieler, die man für sechsstellige Beträge verpflichtet hatte.

Seite 1: Chelsea und das Ausleihen als Geschäftsmodell

Seite 2: Die Schattenseiten - Supertalente fallen durchs Raster

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