"Dortmund ist die Messlatte"

Stefan Kießling steht seit 2006 bei Bayer Leverkusen unter Vertrag
© getty

Für Stefan Kießling hielten die vergangenen zwölf Monate viel bereit: Die Diskussionen um sein Phantomtor in Hoffenheim, das Dauer-Thema Nationalelf, die Trainerentlassung bei Bayer Leverkusen. Im Interview spricht der Stürmer der Werkself über die Auswirkungen des neuen Bayer-Fußballs unter Roger Schmidt, die Folgen des Phantomtors und das Ende seiner Karriere.

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SPOX: Nach dem aktuellen Saisonstart ist Leverkusen wieder in aller Munde und aufgrund des aufregenden Spielstils auch wieder attraktiver geworden. War es nach den Erfahrungen der Vorjahre wichtig, dass diesmal eine größere personelle Fluktuation herrschte?

Stefan Kießling: Das war zumindest nicht kontraproduktiv. Wir haben auch in den letzten Spielzeiten keinen schlechten Fußball gezeigt, damit aber nicht konstant unsere Ziele erreichen können. Deshalb war es gut, dass nun ein Trainer kam, für dessen Spielidee man auch ein paar geeignete Spieler hinzu geholt hat. Das Pressingspiel tut uns gut, wir haben das lange geübt und lernen immer noch.

SPOX: Roger Schmidts Fußball hat bereits im vergangenen Jahr bei Red Bull Salzburg für Aufsehen gesorgt. Sie dagegen haben als Angreifer in Leverkusen gefühlt seit Jahren die gleiche Rolle inne. Hat sich durch diese neue Art des Fußballs etwas daran geändert?

Kießling: Nein, ich bin immer noch derselbe (lacht). Ich weiß jetzt aber: Wenn ich früh anfange zu pressen, machen die Mitspieler in meinem Rücken mit. Das gibt mir Vertrauen, was bei dieser Spielweise auch sehr wichtig ist. Meinen Spielstil musste ich aber nicht wirklich dafür anpassen. Im Gegenteil: Durch die vielen schnellen Balleroberungen, die wir jetzt haben, kommen wir zu mehr Torgelegenheiten. Die gab's zuvor nicht immer in dieser Fülle.

SPOX: Bei dieser Art des frühen Pressings wird hin und wieder von einem geordneten Chaos gesprochen. Sie haben nach dem Spiel beim BVB auch gesagt, dass es bewusst vogelwild zugeht. Was haben Sie genau damit gemeint?

Kießling: Mir ging es dabei um die Zufälligkeit mancher Spielsituationen. Wenn man zu zweit oder gar zu dritt einen Ball jagt, kann es sein, dass man ihn erobert, aber vielleicht auch direkt wieder verliert, der Ballbesitz dann wieder zum Gegner übergeht und danach möglicherweise wieder zu uns. Dieses Hin und Her hat etwas Wildes an sich, muss aber absolut kein Nachteil sein. Wichtig ist, dass bei Ballverlust immer die zwei am nächsten zum Ball stehenden Spieler sofort wieder attackieren.

SPOX: Wann denken Sie erreicht die Mannschaft den Punkt, an dem sie dauerhaft die Balance halten kann und das geordnete Chaos sinnvoll auf den Platz bringt?

Kießling: Das ist schwer vorherzusagen. Wir brauchen Training, Spiele, Videoanalysen. Inwiefern das dann eines Tages unabhängig vom Gegner klappt, muss man abwarten. Jedes Spiel ist ja anders, so fühlt es sich jedenfalls für uns Spieler an. Mal spielt ein Gegner von hinten raus, mal nur mit langen Bällen - da müssen wir uns natürlich auch jedes Mal neu drauf einstellen. Dortmund ist die Messlatte, bei diesem Spiel waren wir nahe an der Perfektion. Daher wissen wir, dass wir es können. Jetzt müssen wir es einfach immer abrufen, so abgedroschen das auch klingen mag.

SPOX: Geschäftsführer Michael Schade hat die bereits aufgekommene Euphorie als mögliches Problem für die Mannschaft ausgemacht. Rudi Völler sah das weniger dramatisch. Wie beurteilen Sie das?

Kießling: Die Beurteilungen von außen passen halt nicht immer zusammen. Das ist in meinen Augen das größere Problem. Wir legen einen Start mit fünf Siegen in fünf Spielen hin. Dass da eine Mannschaft gefeiert wird, ist irgendwo logisch. Dennoch war es bisweilen schon extrem, wie das hochgepusht wurde. Dann gab es zwei Spiele, die unglücklich liefen und schon heißt es wieder, Leverkusen bekäme nichts gebacken.

SPOX: Wie hat die Mannschaft darauf reagiert?

Kießling: Früher habe ich natürlich auch viel die Meldungen gelesen und mich dann geärgert oder über die Situation nachgegrübelt. Ich bin jetzt ein alter Hase, mittlerweile ist mir das eigentlich alles egal (lacht). Grundsätzlich ist es sicherlich gerade für junge Spieler nicht leicht, mit diesem medialen Auf und Ab klar zu kommen. Da muss jeder nach einer gesunden Balance suchen, erfahrene Spieler wie ich sind dann auch gefordert, zu helfen. Aber ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass die Mannschaft in irgendeiner Art darunter leiden würde, so ist es nicht.

Seite 2: Kießling über das Phantomtor und eine Zukunft im Ausland