Vor rund drei Monaten trat Jose Mourinho seinen Engagement bei Real Madrid an. Die Zwischenbilanz Mourinhos bei den Madrilenen könnte kaum besser aussehen. SPOX blickt zurück und stellt fest, dass Mourinho ein erstaunliches Tempo hingelegt hat.
Es war ein Moment der Menschlichkeit. An der Schulter von Marco Materazzi ließ Jose Mourinho seinen Gefühlen freien Lauf. Beide Fußball-Machos weinten ein Tränenmeer, die Emotionen nach Inters gewonnenem Champions-League-Finale gegen den FC Bayern (2:0) waren überwältigend. Für Mourinho waren es auch Abschiedstränen, denn wenig später verkündete der Portugiese seinen Wechsel zu Real Madrid.
Der Mourinho-Wechsel zu den Königlichen wurde nicht allerorten mit großer Begeisterung bedacht. "England, Italien - das passt zu Mourinho, aber Spanien? Ich weiß nicht", sagte damals Bernd Schuster, früher selbst Real-Trainer. Inter-Präsident Massimo Moratti hat den Wechsel seines führenden Angestellten auch Monate später nicht verdaut: "Er war wie ein Ehemann, der seine Frau betrügt. Er kümmert sich zwar um sie, hat aber nicht den Anstand, es zu gestehen und klettert aus dem Fenster."
Mourinhos Verhältnis zu seiner neuen Geliebten in Madrid könnte kaum besser sein. Nach sieben Spieltagen ist Real ungeschlagener Tabellenführer der Primera Division. In der Champions League gab es zum Auftakt zwei Siege in zwei Spielen. Mourinho und Madrid haben sich schneller lieben gelernt als ursprünglich gedacht. SPOX analysiert die ersten Monate Mourinhos bei Real Madrid.
Auf dem Platz
Ausgewogener Kader: Jose Mourinhos Hauptaufgabe bestand darin, die Kaufwut seines neuen Chefs Florentino Perez zu regulieren. Da er mit Moratti bereits einen ähnlich geschnitzten Vorgesetzten hatte, wusste Mourinho wie es geht. So holte Real eigentlich nur die Spieler, die Mourinho wollte. Angel Di Maria, Pedro Leon und Sergio Canales, die schon länger auf der Liste der Königlichen standen, nickte Mourinho ab. Andere Namen wie Maicon oder Frank Lampard lehnte er dagegen ab. Mesut Özil, Sami Khedira und Ricardo Carvalho gehen auf das Konto Mourinhos.
Obwohl man nicht von einem Komplettumbruch sprechen kann, sieht und wirkt das Real Madrid Mourinhos ausgewogener als unter Manuel Pellegrini, der in der Offensive (zu) viele Alternativen hatte, aber gerade in der Defensive kaum über Alternativen verfügte. Mourinho hat fast auf allen Positionen gleichwertige Ersatzspieler. Mit Ramos, Carvalho, Pepe und dem neugeborenen Marcelo ist die Viererkette Mourinho-like sehr stabil aufgestellt. Dahinter warten Nationalspieler wie Albiol, Garay oder Arbeola.
Auch in der Offensive sieht das Gebilde aufgeräumt aus. Selbst der Ausfall eines Kaka, der bis dato ohnehin keine Verstärkung für Real war, fällt nicht ins Gewicht, weil mit Di Maria, Özil und Ronaldo das Traumtrio gefunden wurde. "Es gibt keine perfekte Truppe, weil es keine perfekte Truppe gibt. Es gibt nur den optimalen Kader - und den wir haben wir", sagt Mourinho. Deswegen schließt er auch Neuzugänge für den Winter aus. Selbst beim wechselwilligen Wayne Rooney wird Mourinho kaum eine Ausnahme machen, auch wenn Florentino Perez bestimmt schon nach dem Preis gefragt hat.
Der Kader Real Madrids im Überblick
Von wegen Defensive: Die größten Zweifel beim Wechsel Mourinhos zu Real kamen aufgrund der konservativen Spielidee des Portugiesen auf. Ergebnisorientiert, wenig spektakulär, keine Schnörkel - so holte Mourinho mit Inter das Triple, so wollte aber kein Königlicher Real Madrid sehen. Mou's Vorgänger Pellegrini musste selbst nach einer Saison mit 102 Liga-Toren das Weite suchen. Die Rekordbilanz des Chilenen wurde auf das Einzelkönnen der Stars wie Ronaldo oder Higuain zurückgeführt. Auch wenn das bei der immensen Menge an Toren eine gewagte These ist, hatte sie bei genauerem Hinsehen doch eine gewisse Substanz.
Pellegrini stellte viele Offensive auf, ließ aber kein durchdachtes Offensivsystem erkennen. Über das Zentrum entfachte Real keine Gefahr, weil weder Kaka noch Rafael van der Vaart überzeugten. Fähige Außenspieler hatte Pellegrini - bis auf Ronaldo - keine zur Verfügung. Und auch den Superstar zog es immer in die Mitte. Die Mourinho-Transfers Özil und Di Maria gingen dagegen voll auf. "Es war klar, dass wir auf dieser Position etwas machen müssen", sagt Reals Generaldirektor Jorge Valdano. Mit Di Maria und Ronaldo entfacht Real eine Gefahr über die Außen, die man in Spanien sonst nur von Barcelona kennt. Dass mit Özil zusätzlich auch ein Mann in der Zentrale für Belebung sorgt, macht Real unberechenbar. Mit 16 Treffern stellen die Madrilenen jetzt schon die beste Offensive der Liga.
Dass die Defensive ebenfalls überzeugt und trotz aller Offensivpower nicht vernachlässigt wird, hat unmittelbar mit den Umstellungen in der Offensive zu tun. Mussten in der vergangenen Saison noch Ramos und Marcelo die fehlenden Flügelspieler in der Offensive mit weiten Flügelläufen kompensieren, können sie sich nun mehr auf Defensivaufgaben konzentrieren. Diese neue Spielweise hat gerade Marcelo zu einem völlig neuen Spieler gemacht (dazu unten mehr). Kaum bis keine Offensivausflüge dürfen sich auch die zentralen Mittelfeldspieler erlauben. Gerade für Sami Khedira war es eine große Umstellung, doch der Ex-Stuttgarter hat sich mittlerweile an seine neue Rolle gewöhnt.
Rückkehr der Problemkinder: Mourinho gilt als äußerst harter, aber auch sehr fairer und ehrlicher Trainer. Deswegen wird der Portugiese von seinen Spielern schon seit jeher geschätzt. Als eine seiner ersten Amtshandlungen suchte Mourinho den direkten Draht zu seinen Spielern. Mit Raul und Guti trennten sich die Wege im Guten, Raul sollte sogar eine ähnliche Rolle wie Materazzi bei Inter einnehmen. Eine Vereinsgröße, die nicht immer spielt, aber als Vertrauensperson des Trainers eine wichtige Rolle einnimmt. Auch anderen Sorgenkindern nahm sich Mourinho an und versuchte sie zu stärken.
Besonders gut gelungen ist es ihm im Fall Marcelo, der fast schon als Neuzugang bei Real gilt. "Als ich hier ankam, mochte ich ihn nicht, weil er alles andere war als ein Verteidiger", verrät Mourinho heute. "Jetzt habe ich mich in ihn verliebt. Er ist ein Offensivtalent, doch verbessert er sich stetig in seiner Defensivarbeit, weshalb ich keinen anderen Linksverteidiger mehr haben möchte." Auf einem sehr guten Weg ist auch Karim Benzema. Den Franzosen baut Mourinho behutsam auf und stärkt ihn öffentlich. "Ich mag Benzemas Spielstil und seine Arbeitsweise. Er spielt zwar derzeit noch nicht über die volle Zeit, doch hätte er es sich eigentlich verdient", sagt Mourinho.
Der Star bleibt Ronaldo: Das portugiesische Traumpaar Ronaldo und Mourinho hat sich bei Real getroffen. Die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend - auch weil sich Ronaldo kompromisslos an die Vorgaben seines Trainers hält. Ganz frei von allen Aufgaben wie unter Pellegrini geht Ronaldo seinem Job als Spielmacher nicht mehr nach, aber der Dreh- und Angelpunkt bleibt der Superstar allemal. "Ich möchte ihn von diesem Druck befreien, aber in einer objektiven Art", sagte Mourinho bei seinem Amtsantritt. "Ein Spieler wie Cristiano Ronaldo kann nicht in einem System spielen, das ihm nicht liegt." Ronaldo geht unter Mourinho nicht mehr so weite Wege, wie er es noch unter Pellegrini tat. Stattdessen führt er seine Rolle als Flügelspieler ausgeprägter aus und bringt seine Stärken zur Geltung. Offensichtlich ist es, dass ihm Di Maria und Özil als kreative Mitspieler gut tun.
Lesen Sie auf Seite 2: Der stärkste Mourinho aller Zeiten
Mou in Madrid
Der stärkste Mourinho: Mourinho ließ von Anfang an keine Zweifel aufkommen, dass er der alleinige Chef in der königlichen Welt ist. Trotz eines schwierigen Umfelds mit mächtigen Vereinsfunktionären wie Perez oder Valdano ist in sportlichen Fragen Mourinho der starke Mann. "Ich denke, Real Madrid kann keinen Trainer ohne eine Vergangenheit und Status haben. Ich habe zwei Champions-League-Titel und sechs Meisterschaften in verschiedenen Ländern gewonnen. Wenn hier ein Trainer ankommt, so gut er auch fachlich ist, der dieses Prestige nicht mitbringt, wird er in Madrid getötet", sagt Mourinho.
In Madrid arbeitet Mourinho mit seinem Vertrauensteam. Rui Faria, Silvino Louro und Jose Morais nahm Mourinho aus Mailand mit. Mit Real-Legende Zinedine Zidane soll die Mourinho-Crew bald verstärkt werden. In Aitor Karanka ist bereits eine ehemalige Real-Größe als Vertrauensperson im Trainerteam. Mourinho kümmert sich um alle Belange - sichtet regelmäßig die Jugendabteilungen. Selbst die Putzfrau interviewte er über ihre Aufgaben.
Kommunikation ja, Kompromisse nein: Mourinho hält alle Fäden in der Hand, stellt klare Regeln auf, die alle Spieler zu befolgen haben. Wer eine Linie überschreitet, wird bestraft. Dazu kam es aber bisher nicht. Mourinho sorgte bereits früh dafür, dass eine Real-Familie im Trainingszentrum Valdebebas entsteht. Wie schon unter Jürgen Klinsmann 2008 beim FC Bayern wurden Ruhebereiche eingerichtet. Sofas, Leseecken, Spielkonsolen, Ruheräume - die Real-Stars sollen sich wohlfühlen und den Tag gerne in Reals Zuhause verbringen.
Wie schon bei Inter Mailand will er aus einem schwierigen Mannschaftsgebilde aus Nationalspielern, die in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen, eine verschworene Truppe formen. Vor Heimspielen verbringen alle Spieler die Nacht im Hotel Mirasierra Suites. Dort führt Mourinho gerne die Einzelgespräche. Berührungsängste gibt es unter den Spielern nicht. So hat Iker Casillas erst kürzlich im Namen der Mannschaft darum gebeten, das tägliche Frühtraining auf 11 Uhr zu verschieben, damit die Väter bei Real ihre Kinder zur Schule bringen können. Mourinho hörte zu, lehnte aber mit einem schlichten "Nein" ab.
Liebling der Spieler: Mourinho ist in der Öffentlichkeit nicht Everbody's Darling. Trainer, Journalisten, Präsidenten, Fans - aus allen Gruppen hat sich Mourinho in all seinen Stationen Feinde gemacht. Aber bei seinen Spielern ist der Portugiese immer beliebt gewesen. Auch bei Real Madrid sind die Topstars fasziniert von ihrem Coach. "Ich arbeite lieber mit Männern als mit Fußballspielern, weshalb der menschliche Aspekt fundamental wichtig in meiner Arbeit ist", sagt Mourinho. Womöglich sein Erfolgsgeheimnis.
Iker Casillas sagt über Mourinho: "Er hat eine Idee und eine Vorstellung, und sein Siegeswille reißt uns alle mit. Er widmet sich komplett dem Fußball und hat eine großartige Persönlichkeit." Auch Ronaldo freut sich, dass er "mit einem Gewinnertypen wie Mourinho arbeiten darf". Mourinho verlangt von seinen Spielern so viel Professionalität wie er sie selbst vorlebt. Die Neuzugänge Khedira und Özil hat er früh mit der rauen Art in Madrid konfontriert, sie ohne Anlaufzeit in die Pflicht genommen. Dass Mourinho öffentlich die Sprachprobleme beider Spieler anprangerte, wurde gerade in Deutschland als Kritik an Özil und Khedira ausgelegt.
Letzterer sieht das anders: "Mourinho hat nie erwartet, dass wir nach drei Wochen perfekt Spanisch sprechen. Nach der Weltmeisterschaft waren die Erwartungen an mich und Mesut sehr hoch. Mit seinen Äußerungen wollte Mourinho uns in Schutz nehmen, sie sind aber falsch interpretiert und in einem falschen Zusammenhang wiedergegeben worden. Der Trainer war von Anfang an zufrieden mit uns." Selbst Pedro Leon, der die harte Seite Mourinhos bisher am heftigsten erlebt hat, schwärmt von seinem Chef.
Mourinho nominierte den 23-Jährigen wiederholt nicht in seinen Kader und wurde deswegen von den Pressevertretern an den Pranger gestellt Mourinhos Reaktion durfte man nicht als Liebeserklärung an den Neuzugang verstehen: "Pedro Leon ist nicht nominiert, weil ich es nicht will. Ihr fragt mich nach einem Pedro Leon, als ginge es um einen Zidane, Maradona oder Di Stefano." Übel genommen hat Leon diese Aussage seinem Chef nicht: "Es gibt keine Probleme zwischen uns. Diese Worte haben mich nicht verletzt. Ich weiß, dass Mourinho an mich glaubt. Er sagt solche Dinge, um aus einem Spieler mehr herauszuholen."