HSV steht nach der Derbypleite vor dem Abstieg: Wenn der Mythos bröckelt

Von Jonas Rütten
Beim HSV gehen langsam aber sicher die Lichter aus.
© Getty

Der Hamburger SV hat nach der bitteren Derbypleite gegen Werder Bremen sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz. Nach dem Spiel verweist Andre Hahn auf die Legende vom "ewigen HSV". Doch Fakt ist: Die zweite Halbzeit in Bremen war ein spielerischer Offenbarungseid. So schlimm wie jetzt stand es noch nie um den Bundesligadino.

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"Wir sind der HSV, wir haben es immer geschafft." Es ist nicht irgendeine Phrase vom Glauben an den Klassenerhalt oder das oftgehörte "Immer-weitermachen", das Andre Hahn nach der 0:1-Niederlage des Hamburger SV im Derby bei Werder Bremen vor Kameras zum Besten gibt. Es ist der Mythos vom "ewigen HSV", die Legende vom unabsteigbaren Hamburger Sport-Verein, der es irgendwie noch immer geschafft hat, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Stichwort Karlsruhe.

Auch Sportdirektor Heribert Bruchhagen sprach im Anschluss an seine Schiedsrichter-Schelte von einer "Restchance" im Abstiegskampf. Man dürfe nicht resignieren, mahnte er. Doch die Leistung des HSV im zweiten Durchgang lieferte allen Grund zur Resignation, war sie doch ein Beleg dafür, dass der HSV spielerisch eben aktuell längst nicht mehr erstligatauglich ist.

Phasenweise hatten die Hamburger in den zweiten 45 Minuten nur 25 Prozent Ballbesitz und eine desaströse Fehlerquote im Passspiel (62,4 Prozent Passquote). Das späte Siegtor der Bremer, so kontrovers es nach dem Spiel von Bruchhagen und Co. auch diskutiert wurde, war nur die logische Konsequenz aus der Hamburger Passivität. Lediglich drei Torschüsse verzeichnete der HSV im zweiten Durchgang. Bei keinem einzigen musste Jiri Pavlenka eingreifen.

HSV im Abstiegskampf: Wille allein versetzt keine Berge

Dabei hatte sich Trainer Bernd Hollerbach vor dem Nordgipfel in Bremen Gedanken gemacht, wie er seiner schon gegen Bayer Leverkusen enttäuschende Offensive neues Leben einhauchen könnte. Hollerbach entschied sich für eine durchaus offensive Ausrichtung mit einem 4-3-3, das gegen den Ball zu einem kompakten 4-1-4-1 werden sollte.

Außerdem brachte er Andre Hahn, Filip Kostic und Bakery Jatta von Beginn an. Jatta, wenngleich zweikampfstärkster Hamburger (70 Prozent), stand zuletzt im September im Kader der Hanseaten. Kostic gelang hingegen sowohl offensiv als auch defensiv kaum etwas (27,8 Prozent Zweikampfquote). Dafür ließ Hollerbach Jann-Fiete Arp 89 Minuten auf der Bank. Ein Umstand, für den er sich in den kommenden Tagen Kritik gefallen lassen muss.

Obwohl der HSV in der Offensive erneut überhaupt nicht in die Gänge kam, stimmte doch zumindest die Einstellung, mit der die Spieler des HSV das Derby angingen. Hamburg gewann mehr Zweikämpfe als die ebenfalls sehr schwachen Werderaner und spulte im Kollektiv auch mehr Kilometer ab. Den Willen konnte man kaum einem Spieler absprechen, doch der Wille allein versetzt eben in der Bundesliga keine Berge. Auch nicht im Abstiegskampf.

Hamburger SV in der Saison 2017/2018: Historisch schlecht

Dort gehen beim HSV so langsam aber sicher die Lichter aus. Unabsteigbar hin, Mythos her: Mit nur 17 Punkten aus 24 Partien nehmen die Hamburger Kurs auf die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte. Zum gleichen Zeitpunkt hatte der HSV selbst in der Saison 2013/14 drei Zähler mehr auf dem Konto. Damals ging es in die Relegation gegen Greuther Fürth und Hamburg hielt mit zwei Unentschieden die Klasse. Auch der Rückrundenstart mit nur zwei Punkten aus sieben Spielen ist historisch schlecht.

Der Mythos bröckelt, und zwar gewaltig. Das Quäntchen Glück aus den vergangenen Jahren scheint den Hamburgern abhandengekommen oder vielmehr aufgebraucht zu sein. In der Vorsaison hätte der HSV so ein "Festival der Unzulänglichkeiten", wie Sky-Experte Christoph Metzelder das Nordderby zwischen Hamburg und Bremen treffend beschrieb, wohl nicht verloren.

Damals konnten die Hamburger aber auch noch auf die Unterstützung seiner Anhänger bauen. Jene "Fans" tragen jedoch aktuell ihren Teil dazu bei, dass in der Hansestadt eine finstere Untergangsstimmung herrscht.

HSV und die Fans: "Das sind Fußball-Zerstörer"

In Bremen sorgte der Hamburger Anhang mit dem Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen und dem Abfeuern von Silvesterraketen aus dem Block mehrfach für Spielunterbrechungen. Sogar über einen Spielabbruch soll kurzzeitig nachgedacht worden sein. Sportdirektor Bruchhagen stellte gegenüber Sky klar: "Das sind keine HSV-Fans, das sind Fußball-Zerstörer. Die haben mit Fan-Dasein nichts zu tun und wollen dem Fußball schaden."

Auch in der Vorwoche sorgten die Fans für reichlich Wirbel. Erst drohten sie den Spielern mit einem Banner mit der Aufschrift: "Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt", in Anspielung auf die Stadionuhr, die die Zeit des HSV in der Bundesliga anzeigt. Nach der 1:2-Niederlage gegen Leverkusen versuchten die Anhänger dann den Platz zu stürmen.

Der fußballerische Offenbarungseid in der zweiten Derby-Halbzeit, die historisch schlechte Punkte-Ausbeute und das Zerwürfnis zwischen Fans und Verein. All das sind deutliche Anzeichen dafür, dass die Uhr in Hamburg tatsächlich am 12. Mai zum Stillstand kommt. Am kommenden Samstag dürften die Sargnagel-Debatten im Falle einer erneuten HSV-Niederlage gegen den FSV Mainz 05 endgültig ein Ende finden. Dann wären es zehn Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz.

Der Kabarettist Frank Goosen schrieb einmal über seinen Herzensverein, den VfL Bochum, der nach seinem Aufstieg in die Bundesliga 1971 23 Jahre in Folge trotz akuter Abstiegsgefahr immer wieder den Klassenerhalt schaffte: " Wir waren so lange unabsteigbar, bis jemand dieses Wort in den Mund genommen hat." Der Mythos der Unabsteigbaren. Vielleicht hat ihn Andre Hahn nun einmal zu oft bemüht.

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