Der Kampf gegen die Ersetzbarkeit

Thomas Müller stand beim Testspiel gegen den BCF Wolfratshausen im Mittelpunkt
© getty

Thomas Müller geht nach einer durchwachsenen Saison beim FC Bayern München in ein wichtiges Jahr vor der WM 2018 in Russland. Zwar gibt der Angreifer selbst an, mit den gleichen Zielen wie jeden Sommer in die Vorbereitung zu starten. Doch klar ist: Der Kampf um einen Platz in der ersten Elf des Rekordmeisters wird für den letzten verbliebenen Münchner im Kader härter als je zuvor.

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Im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein Gefühl, das ein Publikumsliebling wie Thomas Müller kennt, das er jedoch im letzten Jahr nur in Maßen erlebte. Am Donnerstagabend erlebt er es.

Beim ersten Testspiel vor der Saison 2017/2018 gegen den BCF Wolfratshausen führt Müller den FC Bayern München als Kapitän auf den Platz. Er ist neben Kingsley Coman und Mats Hummels einer von drei Topstars unter vielen Akteuren aus der zweiten Mannschaft und den Junioren-Abteilungen.

Als Trainer Carlo Ancelotti den 27-Jährigen in der 45. Minute des zweimal 30 Minuten dauernden Freundschaftskicks auswechselt und durch Marco Hingerl ersetzt, applaudieren die etwa 4000 Zuschauer lautstark.

Zunächst darf er sich auch auf die Ersatzbank setzen. Nach wenigen Momenten jedoch steht er auf, geht zu den skandierenden Zuschauern allen Alters und steht geduldig für Autogramme und Selfies bereit.

Müller in Wolfratshausen der gefragteste Mann

Aus allen Ecken des Isar-Loisach-Stadions schallen "Thomas"-Rufe. Müller ist an diesem Abend der gefragteste Mann, jeder will sein Autogramm. Auf der Bank nimmt er in der Folge nicht mehr Platz. Stattdessen macht er eine halbe Stadionrunde und verschwindet dann in der Kabine, während die Partie in ihren letzten Zügen liegt.

"Die Leute sind glücklich. Das ist etwas, was den FC Bayern auszeichnet", ordnete Müller den Wert der Partie einige Minuten später am Spielfeldrand gegenüber den anwesenden Journalisten ein: "Diese Freundschaftsspiele in ländlichen Regionen gab es bei Bayern München schon immer. In so eine erste Vorbereitungswoche kann man das gut einbauen."

Bei besagtem Freundschaftsspiel in ländlicher Region war Kapitän Müller einer der auffälligsten Akteure. So war er am frühen 1:0 durch Manuel Wintzheimer mit seinem klugen Durchlassen beteiligt, traf später selbst die Latte, legte Wintzheimer eine weitere 100-Prozentige auf und traf schließlich mit dem Pausenpfiff von der Strafraumgrenze auf Vorlage von Coman zum 2:0.

Die sportliche Komponente jedoch war an diesem Tag nebensächlich: "Dass das keine Testspiele sind, aus denen der Trainer Schlüsse ziehen kann, ist klar. Aber um auf Temperatur zu kommen, sind solche Spiele eine gute Sache. Es waren zwar nur zweimal 30 Minuten, aber wenn man mal wirklich Fußball spielt, ist es schon etwas anderes als im Training", analysierte Müller.

Thomas Müller ist Publikumsliebling beim FC Bayern

Stattdessen stand die Erkenntnis im Mittelpunkt, dass Müller mehr denn je Publikumsliebling bei den Bayern-Fans ist. Nach dem Karriereende von Philipp Lahm ist er der letzte verbliebene waschechte Bayer im Kader. Ein Typ zum Anfassen, einer aus dem Volk, aus eben jenem ländlichen, bayrischen Volk.

In Sachen Popularität hat Müller nichts von dem Kultstatus eingebüßt, den er in München seit seinem Durchbruch im Jahr 2009 innehat.

Der sportliche Status innerhalb der Mannschaft ist für den Weltmeister allerdings nach der durchwachsenen Vorsaison fraglich wie nie zuvor. "Ich will wieder eine größere Rolle spielen", sagte der Publikumsliebling erst kürzlich mit Blick auf die kommende Spielzeit.

Ancelotti sägt an Müllers Unantastbarkeit

Unter Ancelotti hatte Müller im letzten Jahr den Nimbus der Unantastbarkeit verloren. Spätestens seitdem der Italiener auf ein 4-2-3-1 umgestellt und in diesem Thiago Alcantara auf die Zehn beordert hatte, war Müller plötzlich entbehrlich. Im zweiten Glied. Rotationsmasse.

In den Jackpot-Spielen der Saison war die Nummer 25 maximal Nebendarsteller. Unglücklicher Lewandowski-Ersatz im Champions-League-Viertelfinal-Hinspiel gegen Real Madrid, nur Joker im Rückspiel sowie im Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund.

Ancelotti tat sich ganz offenbar schwer damit, für Raumdeuter Müller mit dessen ihm eigener Spielweise einen Platz zu finden.

Dabei spielte ein bislang ungekanntes Formtief des gebürtigen Weilheimers eine Rolle. Besonders in der Hinrunde hatte dieser nämlich, wie er es selbst ausdrückte, "die Scheiße am Stiefel", vergab beste Gelegenheiten, scheiterte immer wieder am Aluminium. Letztlich brachte er es "nur" auf fünf Saisontore. Nach seiner persönlichen Rekordsaison mit 20 Treffern und je drei Spielzeiten mit 13 Hütten lief Müller also erstmals seit 2012 wieder einstellig ein.

In der Endbewertung geht häufig unter, dass sich der Weltmeister mit 13 Assists noch in die Top-Ten-Scorerliste der Bundesliga brachte. Müller selbst sagte, man dürfe weder etwas schön noch etwas schlecht reden. Realistische Einschätzung.

Wo passt Müller in Ancelottis Wunschelf hinein?

Fakt ist jedoch: In der neuen Saison will er nicht zusehen, wenn es in den entscheidenden K.o.-Spielen um alles geht. Das Louis van Gaal'sche "Müller spielt immer" soll aus seiner Sicht wieder Standard werden.

Dabei stellt sich jedoch die Frage: Wo ist Raum für den Raumdeuter? Wo passt Müller in Ancelottis Wunschelf hinein?

Rekordtransfer Corentin Tolisso sollte wie Arturo Vidal und Thiago Alcantara einen Platz im Mittelfeld sicher haben. Auf den offensiven Außen sind Arjen Robben und Franck Ribery, vorausgesetzt die Fitness stimmt, genauso gesetzt wie im Sturmzentrum Robert Lewandowski. Auf dem Papier ist es schwierig wie nie für Müller, sich in die erste Elf zu spielen.

Ein Vorteil könnte sein, dass er vom ersten Tag der Vorbereitung ins Training einsteigen konnte. Kein anstrengendes Turnier in den Knochen, mit Ausnahme einer Blessur an der Hand keine Verletzung, die noch ausheilen muss. Müller ist von Anfang an da und arbeitet hart für die neue Saison: "Die, die schon früher da sind, haben auf jeden Fall einen kleinen Vorteil, weil sie die Grundlagen legen können", diagnostizierte auch Aushilfskeeper Tom Starke in Wolfratshausen.

Matthias Sammer fordert Stammplatz für Thomas Müller

Müller selbst wollte nicht bestätigen, mit einem besonderen Ehrgeiz in die neue Saison zu gehen: "Mir geht es darum, gut zu spielen und das Maximale herauszuholen. Ich möchte Spaß haben und am Ende hoffentlich erfolgreich sein. Alles wie jedes Jahr."

Dennoch ist die Situation vor der anstehenden Spielzeit eine andere als "jedes Jahr".

Das sieht auch Bayerns ehemaliger Sportvorstand Matthias Sammer so. Kürzlich monierte dieser: "Es ist sehr wichtig zu verstehen, wer Thomas ist, was er kann. Der Trainer muss entscheiden, ob ihm das Spielerische wichtiger ist als die Führungsstruktur in der Mannschaft." Vor allem sei es wichtig, dass dieser unumstrittener Stammspieler sei, um seine Führungsposition auszufüllen.

Zwar zeigte sich Müller darauf angesprochen am Donnerstag eher defensiv, doch er räumte ein: "Dass ich eine ähnliche Ansicht habe, ist ja klar. Um wirklich führen zu können, muss man auch gut performen. Du kannst nicht immer nur was erzählen und dann keine Leistung bringen."

Müller könnte als fünfter Bayern-Profi 100 Bundesliga-Tore schießen

Leistung bringen - so sieht die Zielsetzung Müllers für die Saison 2017/2018 aus. Den Kultstatus genießt er ohnehin, nur noch vier Tore fehlen ihm, um als erst fünfter Bayern-Profi überhaupt 100 Mal in der Bundesliga getroffen zu haben. Und das mit 27. Ein Wert mit Aussagekraft.

Doch genau das muss Müller in der kommenden Saison auch liefern: Tore. Um als letzter Bayer im Kader auch weiterhin eine Führungskraft zu sein. Um endlich wieder wichtig und unersetzbar zu sein. Um auch auf der größten Bühne wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

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