Max Kruses Wechsel zum VfL Wolfsburg: Der Mikrowellen-Romantiker zieht weiter

Von Fatih Demireli
Kruses Wechsel zum VfL Wolfsburg sorgte für Empörung, doch der Schritt des Stürmers ist keineswegs überraschend.
© getty

Der Wechsel von Max Kruse vom 1. FC Union Berlin zum VfL Wolfsburg sorgte für Empörung, doch der Schritt des Stürmers ist keineswegs überraschend. Kruse, der in einer typbefreiten Zeit als Typ durchgeht, zieht seine Karriereplanung konsequent durch und betreibt dabei kein Schauspiel.

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Wer kennt das nicht? Man ist 14 Jahre alt, hat gerade nichts Besseres zu tun, als über den Videotext auf Seite 212 die Nachricht reinkommt, dass in China ein Klub gegründet wurde. Was denkt man sich da als eingefleischter Fußball-Fan? Klar. "Da muss ich einmal spielen!"

So war das auch bei Oscar. Der brasilianische Nationalspieler wechselte im Januar 2017 vom FC Chelsea zu Shanghai SIPG und offenbarte bei der Vorstellung, dass eine Sehnsucht aus der Kindheit gestillt wurde: "Es war immer ein Traum für mich, für einen Klub wie Shanghai zu spielen. Ich erinnere mich, als ich in Sao Paulo aufgewachsen bin, habe ich auf unserem kleinen Familien-Fernseher immer die Spiele der Red Eagles verfolgt."

Oscar, der heute immer noch bei seinem Herzensklub unter Vertrag ist, war 14, als die Red Eagles gegründet wurden und spielte beim traditionsreichen FC Sao Paulo in der Jugend. Shanghai spielte damals in der 3. Liga Chinas. Aber Träume haben ja bekanntlich keine Grenzen, und daher sagte Oscar auch: "Ich bin so glücklich, meine Karriere bei einem solch prestigeträchtigen Klub fortzusetzen. Es wird der beste Klub sein, für den ich je gespielt habe. Ich komme nicht wegen des Geldes." Verlogenheit in Reinform.

Max Kruse: Ein ehrlicher Fußballer

Max Kruse ist da schon deutlich ehrlicher. Als der 33 Jahre alte Fußball-Professionelle am Sonntagabend seinen Wechsel vom 1. FC Union Berlin zum VfL Wolfsburg verkündete, machte er sich nicht die Mühe, eine nette Geschichte aufzutischen. Er lobte nicht den guten Kaffee in der VW-Zentrale oder die bessere Internetleitung in Wolfsburg, die für seinen Twitch-Kanal ganz nützlich sein könnte.

Den Union-Fans schrieb Kruse: "Ich danke euch allen für euer Vertrauen in mich - und jetzt bitte ich euch um euer Verständnis für meine Entscheidung, ein Angebot, das langfristig und hoch dotiert ist, anzunehmen." Fertig. Kruse wechselt von Union nach Wolfsburg, weil er dort mehr und länger Geld verdienen wird. Und natürlich ist das sein gutes Recht. Laut Bild verdient er künftig in Wolfsburg 3,8 Millionen Euro im Jahr, bei den Eisernen waren es angeblich "nur" 1,8 Millionen.

Dennoch ist die Empörung in den sozialen Medien groß. Als wäre Kruse der erste Fußballer auf dem Planeten, der wegen des Geldes seinen Klub wechselt. Als wären sie erst am Sonntagabend dahinter gekommen, dass es im Profifußball um Geld geht. Natürlich hat die Empörung viel mit der Kombination Union Berlin/Max Kruse zu tun.

Bei Union durfte Max Kruse Max Kruse sein

Der etwas andere Verein holte 2020 den etwas anderen Fußballer. Union war schon auf einem guten Weg in der Bundesliga. Aber Kruse ist ein Spieler, der Dinge beschleunigen kann, weil er so gut ist. Kruse hob das Niveau bei den Eisernen an. Dass Union jetzt schon in der von Kruse ungeliebten Conference League spielte (auch das spricht für die Ehrlichkeit des Max K.) und nun auf dem Weg in die Champions League ist, hat viel mit dem Angreifer zu tun.

Weil er diese Qualität hat, hatte man nicht unbedingt erwartet, dass er damals in Berlin-Köpenick anheuert. Aber hier fand Kruse alles, was er gerade brauchte. Max Kruse durfte Max Kruse sein: "Ich habe mich wohlgefühlt. Das ist das, was mich in den letzten Jahren immer bei meinen Entscheidungen getragen hat. Ich will Spaß haben."

Den Spaß hatte er in Berlin zuhauf. Nicht nur sportlich, wo Kruse der Kopf der Mannschaft war. Auch außerhalb war es Schlaraffenland. Kruse durfte sich zu jedem Thema so äußern, wie er wollte. Ohne Rücksicht auf Etikette oder absolute Korrektheit. Trainer Urs Fischer erzählt: "Ich habe mal mit Max ein Gespräch geführt, dass ich mich in der eine oder anderen Situation wahrscheinlich anders geäußert hätte." Aber: "Er ist Max Kruse und er hat das Recht, sich so zu äußern, wie er es empfindet."

Max Kruse: Shisha, Zombies, Lästermaul

Kruse spielte manchmal bis tief in die Nacht Online-Spiele, spielte Poker und raucht live Shisha, lästerte dabei über Kollegen und feixte mit den Zuschauern. Für Union kein Problem, "weil Max bereit ist, für die Mannschaft zu arbeiten", wie Fischer sagte.

Ob das alles in Wolfsburg so okay sein wird, muss man erst einmal abwarten. Ob es der Konzern okay findet, dass ein Angestellter seiner Fußball-Abteilung mit hochdotiertem Vertrag nachts am Computer sitzt, Zombies wegballert, während er an seiner Pfeife zieht und der Rauch live in die Bildschirme qualmt.

Den Rauch wird er wohl erst einmal einziehen müssen. Offiziell ist Kruse kein Typ, der sich gerne verstellen lässt. Das gehört zu seinem Image als Typ dazu. Aber er ist auch intelligent genug zu wissen, dass das Umfeld jetzt nicht so gemütlich sein wird wie in Berlin. Wolfsburg ist kein romantischer Fußball-Standort, an dem sich alle liebhaben.

Man weiß dort, dass viele Profis da sind, weil sie hier besser verdienen als woanders - und weiterziehen, wenn sie etwas Besseres finden. Hier wird ausgetauscht, was nicht funktioniert und nicht geliebkost, wenn etwas nicht funktioniert. Hier gibt es Umstände, die man beachten muss, wenn man sich äußert.

Max Kruse: Schon einmal ging die Romantik flöten

Dass Lebemann Kruse all das in Kauf nimmt, verwundert nicht, weil die Kasse stimmt. Die Enttäuschung darüber ist groß, weil man ihn für anders hielt. Weil man glaubte, dass er den Fußball in seiner Seele liebt. Weil es für ihn immer noch eine große Sache ist, für Deutschland bei Olympia anzutreten, während ein, zwei Dutzend Spieler absagten.

Aber Kruse ist nicht so, wie ihn sich viele ausmalten. Kruse ist kein Romantiker. Maximal ein Mikrowellen-Romantiker. Er erhitzt die Romantik, wenn er sie schnell braucht und zieht dann weiter, wenn er aufgegessen hat.

Wie damals, als sein Vertrag bei Werder Bremen auslief und er ging, weil er in die Champions League wollte. Er ging zu Fenerbahce, weil dort das Nettogehalt so hoch war, und ging wieder, als der türkische Klub in der Pandemie das Gehalt nicht zahlte. Wie bei seinem ersten Wechsel nach Wolfsburg 2015, als er den ersten Champions-League-Einzug mit Borussia Mönchengladbachs sausen ließ, um erstmals in der VW-Stadt abzukassieren.

Max Kruse ist laut opta nach Bruno Labbadia erst der zweite Spieler in der Bundesliga-Historie, der für sechs verschiedene Vereine die Marke von 30 Spielen geknackt hat. Zugehörigkeit sind anders aus.

Unwohl fühlt er sich dabei nicht. Warum auch? Kruse sagt offen: "Ich will gar nicht alles dafür tun, dass mich jeder liebt oder gut findet. Jeder muss mich so nehmen, wie ich bin."

Übrigens: Als Shanghai SIPG gegründet wurde, spielte Kruse noch beim SC Vier- und Marschlande in der Jugend. Ob er damals auch von China geträumt hat?

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