Kolumne - Die Probleme des deutschen Fußballs: Finanzlöcher, Fan-Entfremdung, Führungsvakuum

Von Martin Volkmar
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Fan-Entfremdung im deutschen Fußball: Sportschau-Quote ein "Schock"

Die Tatsache, dass die meisten Stadien an den ersten Spieltagen nicht ausverkauft waren, obwohl nur etwa ein Drittel der Plätze freigegeben waren, hat die Skeptiker bestätigt. Viele hatten einen solchen Rückgang befürchtet, auch wenn die Gründe vielschichtig sind.

Die einen fühlen sich angesichts der vierten Infektionswelle nicht sicher, den anderen sind die Einschränkungen zu viel, andere wie zahlreiche Ultras wollen erst bei vollständig geöffneten Stadien wiederkommen. Gleichzeitig haben viele Menschen in der mehr als einjährigen Geisterspiel-Phase offenbar erkannt, dass man seine Freizeit auch mit anderen Dingen verbringen kann als mit Fußball.

Hinzu kommt die zunehmende Entfremdung von der von vielen als abgehoben wahrgenommenen Branche, die weiterhin Millionen ausgibt als gäbe es keine Krise und zudem mit Plänen wie der Super League für Unmut sorgt.

Hellmann zeigte sich zudem "geschockt" über die geringe Resonanz der ARD-Sportschau zu Saisonbeginn von nicht mal drei Millionen Zuschauern, "wo wir normalerweise fünf Millionen hatten". Auch die DFL nimmt diese Zahlen zur Kenntnis, Seifert verwies jedoch auf guten Zugriffszahlen bei den Pay-TV-Anbietern. Und er machte die Politik mitverantwortlich für die Zurückhaltung der Fans beim Stadionbesuch, weil unbegründete Angst vor Ansteckungen geschürt werde.

Bundesliga-Spiele sind keine Superspreader-Events

Denn nach einer aktuellen Studie gab es in den bislang 73 Spielen in der neuen Saison unter den rund 900.000 Stadionbesuchern gerade mal sechs positive Coronatests. "Wenn jetzt immer noch kommuniziert wird, dass Fußball-Spiele potenzielle Superspreader-Events sind und es gefährlich ist, hinzugehen, das ist in der Zwischenzeit vorsätzlich falsch", reagierte Seifert ungewohnt scharf: "Es wird Zeit, dass das 'Team Vorsicht' aufpasst, dass es nicht zum 'Team weltfremd' wird. Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass alle wissen, was sie tun. Es reicht jetzt langsam."

Darüber hinaus scheinen zumindest einige Verantwortliche zu erkennen, dass sie den eigenen Anhängern wieder mehr Respekt entgegenbringen müssen. "Wir müssen wieder in die Dörfer und nicht nach Asien, um dort die Fans abzuholen. Wir müssen vom hohen Ross absteigen und versuchen, die Menschen vor unserer Haustür anzusprechen", sagte Hellmann.

Denn man bekomme die Stadien nur dann wieder voll, "wenn wir die aktive Fanszene zurückbekommen". Umso wichtiger sei es daher, dass die nationalen Ligen nicht weiter geschwächt würden, ergänzte er: "Gibt es die Super League, ist unser Geschäft massiv gefährdet."

Führungsvakuum im deutschen Fußball: Wie sehr fehlt Seifert?

Auch die sportliche Krise der Nationalmannschaft mit dem frühzeitigen Scheitern bei den letzten beiden Turnieren und die unklare Führungsfrage im DFB ist nicht nach Ansicht ein Grund für die anhaltende Unsicherheit. Zwar hat die DFL mit der Berufung der einstigen Springer-Managerin Donata Hopfen zur Nachfolgerin von Seifert die Weichen für die Zukunft gestellt, aber zum einen wird der Stabwechsel in schwierigen Zeiten kein Selbstläufer, zum anderen schwächt der ungelöste Konflikt zwischen Profi- und Amateurlager den gesamten deutschen Fußball.

Hellmann sprach in Düsseldorf von "diametral gegeneinander arbeitenden Körpern" und empfahl etwas unrealistisch einen Austritt der Profivertreter aus dem Gesamtverband: "Wenn man sich nicht verständigen kann unter einem Dach, geht man halt raus aus dem Gremium."

Bis zum DFB-Bundestag im März bleibt noch Zeit, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Als Favorit auf den vakanten Präsidentenposten gilt der derzeitige Interimspräsident und DFL-Aufsichtsratsboss Peter Peters - allerdings auch aus Mangel an Alternativen. Der einstige Schalker Finanzvorstand sucht offenbar nach einem neuen Posten, da er sich spätestens nächsten Sommer mangels Klubunterstützung aus dem Ligaverband zurückziehen will.

Doch der Weg dahin ist noch weit, denn nach Informationen der Welt will Peters ungeachtet seiner Vita nur mit der Rückendeckung der Amateure kandidieren, was angesichts seines anhaltenden Zerwürfnisses mit Co-Interimspräsident Rainer Koch recht unwahrscheinlich erscheint.

Gleichzeitig gibt es auch generell Vorbehalte gegen den langjährigen Funktionär, weil er in verantwortlicher Rolle maßgeblich an den anhaltenden Problemen im DFB beteiligt war. So fordert etwa die Initiative "Fußball kann mehr" eine Beteiligung von Frauen an den Führungspositionen.

Als eine ihrer Sprecherinnen trat Katja Kraus auf dem SPOBIS auf, die viele Beobachter wegen ihrer Vergangenheit als Bundesligaspielerin und Vorstand beim Hamburger SV für eine geeignete Kandidatin für einen Neuanfang halten. Öffentlich festlegen lassen will sich Kraus allerdings nicht, was angesichts der unklaren Lage vermutlich auch besser ist.

DFL-Spitze: Bayern und Dortmund zieren sich

Entscheidend wird sein, wie sich die Profivereine festlegen - in der Frage der Unterstützung von Donata Hopfen, der Positionierung zu Peters und anderen Präsidentschaftskandidaten und der Neubesetzung der DFL-Spitze. Hellmann forderte nachdrücklich die Branchenführer Bayern München und Borussia Dortmund auf, hier wieder mehr Verantwortung zu übernehmen, namentlich Hans-Joachim Watzke und Oliver Kahn. Der BVB-Boss soll angeblich bereit sein, die Peters-Nachfolge an der Aufsichtsratsspitze zu übernehmen, wenn sich eine klare Mehrheit der 36 Klubs dafür ausspricht.

Dann würde Watzke laut Satzung auch im DFB 1. Vizepräsident für die Profis werden und im wichtigen Präsidialausschuss sitzen, der alle Entscheidungen triff. Genau diesen Posten will er aber laut der Welt nicht einnehmen, unter anderem wegen der Steuerrazzia gegen den früheren DFB-Vize und Dortmunder Präsidenten Reinhard Rauball.

Auch andere prominente Namen wie Karl-Heinz Rummenigge und Rudi Völler haben bereits abgewunken. Doch jeden Tag ohne eine Lösung dieser übergeordneten Führungsfrage schwächt den deutschen Fußball weiter, gerade angesichts der aktuell so gravierenden weiteren Probleme.

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