BVB - Ex-Athletiktrainer Andreas Beck von Eintracht Frankfurt im Interview: "Ich habe die Arbeitskollegen häufiger gesehen als meine Familie"

Andreas Beck wechselte im Sommer 2020 vom BVB zu Eintracht Frankfurt.
© IMAGO / Jürgen Schwarz
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Zurück zu Ihrer Arbeit in Dortmund, wo Sie in Ihren beiden letzten Jahren zum leitenden Athletiktrainer aufstiegen. Der BVB hat es sich über die Jahre angewöhnt, nicht mehr detailliert über Verletzungen der Spieler zu informieren. Kürzlich hieß es beim Ausfall von Jadon Sancho beispielsweise, er habe sich eine "nicht leichte Muskelverletzung" zugezogen. Wieso ist das so vage geworden?

Beck: Es ist völlig klar, dass es die Öffentlichkeit interessiert, warum und wie lange ein Spieler ausfällt. Mir wäre es persönlich aber am liebsten, überhaupt keine Diagnosen öffentlich zu machen. Das unterstützt nur Spekulationen und setzt den Spieler unter Druck.

Inwiefern?

Beck: Oft fällt es dem Mannschaftsarzt aufgrund der Komplexität von Verletzungen schlichtweg schwer, diese in einer einfachen Diagnose darzustellen. Wer sich einmal fachlich mit der Diagnose Schambeinentzündung auseinandersetzt wird sehen, wie kompliziert eine seriöse Prognose zur Wiederherstellung der Wettkampfleistungsfähigkeit ist. Fällt ein Spieler länger aus, ist die Rückkehr auch von seiner Position oder dem Spielsystem abhängig.

Wie meinen Sie das?

Beck: Ein Außenverteidiger, der viel in offensive Aktionen eingebunden ist, benötigt beispielsweise eine andere Sprintkapazität als ein Innenverteidiger mit der gleichen Verletzung. Dadurch kann sich der Rehaprozess verlängern, da er sie sich diese Kapazität erst wieder erarbeiten muss, um das Risiko einer erneuten Verletzung zu minimieren. Grundsätzlich kann man Heilung auch nicht beschleunigen, sondern nur optimieren.

Das Spielsystem eines Trainers und auch die Intensität seines Fußballs hat also enorm große Auswirkungen auf die Arbeit im Athletikbereich?

Beck: Natürlich. Wir müssen genau wissen und darauf reagieren, welche Kapazitäten von den Spielern für die jeweilige Art von Fußball verlangt werden. Mit Hilfe eines engmaschigen Monitoringsystems wollen wir ans Maximum gehen, ohne die Grenze zu überschreiten, an der Verletzungen auftreten. Dazu müssen wir die akkumulierte Ermüdung im Griff haben, hoch intensive Bereiche trainieren und viele weitere Faktoren berücksichtigen, damit die Spieler die Anforderungen des Trainers regelmäßig sicher und robust abrufen können, während sie dabei noch so frisch und gut vorbereitet wie möglich sein sollten. Das ist ein sehr komplizierter Prozess, bei dem man gerade in Phasen mit vielen Spielen und Reisen Kompromisse machen muss. Man sucht quasi nach dem heiligen Gral.

Beck über seinen Wechsel vom BVB zu Eintracht Frankfurt

Nach insgesamt acht Jahren in Dortmund gingen Sie im vergangenen Sommer zurück in die Heimat und schlossen sich Eintracht Frankfurt an, wo Sie als Leiter des Bereichs Athletik, Prävention und Rehabilitation fungieren. Weshalb?

Beck: Vor allem aufgrund persönlicher Überlegungen und mit etwas Glück und Zufall. Nach 13 Jahren wollte ich mich dem Rhythmus, den der Fußball vorgibt, stärker entziehen. Dadurch, dass mir eine Wissenschaftslaufbahn verwehrt geblieben ist, hat sich bei mir der Drang entwickelt, diese Arbeit künftig stärker akzentuieren zu wollen und mehr inhaltlich-konzeptionell Einfluss auf die Prozesse zu nehmen. Die Wissenschaft produziert aktuell noch zu wenig praxisrelevante Inhalte für den Fußball. Es gibt zwar Modelle, um die Trainingsdaten auszuwerten, doch die sind oft nicht fein genug und müssen immer wieder angepasst werden. Die Forschung dabei zu unterstützen, noch effizienter im Fußballkontext zu werden, geht nur, wenn ich mich aus der aktiven Arbeit zurückziehe und mehr in eine koordinierende Rolle begeben würde.

Und dies wurde Ihnen bei der Eintracht nun möglich gemacht?

Beck: Ja. Frankfurt ist ja meine Heimat und bei einem Besuch von Familie und Freunden saß einmal auch ein Eintracht-Verantwortlicher mit am Tisch. Ich warf mit Ideen um mich und im Laufe mehrerer zwangloser Treffen entstand sozusagen meine heutige Jobbeschreibung. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich das in dieser Art und Weise bei der SGE umsetzen könnte. Dazu entstand das neue Trainingszentrum, wo ich gestalterischen Einfluss auf die Infrastruktur und Ausrichtung des Athletikbereichs haben durfte. Da das eine einzigartige Möglichkeit für mich in diesem Geschäft war, habe ich gerne zugesagt.

Sie erhofften sich aber zugleich auch eine höhere Zufriedenheit in Ihrem sozialen Leben.

Beck: Absolut. Ich arbeite nun nicht weniger, sondern vor allem inhaltlicher und habe weiterhin einen Einfluss, nur ohne alles selbst machen oder auf dem Platz stehen zu müssen. Wenn beispielsweise am Tag nach einem Spiel die individuellen Abläufe für die Spieler klar sind, muss ich nicht mehr vor Ort sein und habe so mehr Zeit für die Familie. Ich bin derzeit zwar noch täglich da, aber wir befinden uns in dem Prozess, dass das alles von meinen hervorragenden Kollegen umgesetzt wird und ich mit dem Wissenschafts- und Forschungsthema langfristig in eine andere Rolle schlüpfen kann.

Wie viel Privatleben bleibt denn als Athletiktrainer im Profifußball auf der Strecke?

Beck: Eine Menge. Man muss sehr viel zurückstecken, hat nur wenige freie Tage und Wochenenden bedeuten Arbeit. Ich habe die Arbeitskollegen häufiger gesehen als meine eigene Familie. Das ist daher ein nicht zu vernachlässigender Punkt, denn es tut schon weh, wenn man am Wochenende nie daheim ist und nicht beim Fußballspiel seines Sohnes zuschauen kann. Da fragt man sich schon hin und wieder, ob es das wert ist.

Wie hat man beim BVB auf Ihren Wechselwunsch reagiert?

Beck: Sie waren nicht begeistert, aber konnten es aus den genannten Gründen verstehen und akzeptieren. Mein Vertrag lief auch aus. Ich habe Dortmund nur deshalb schweren Herzens verlassen, weil ich diese Chance hier als besonders empfand.

Am Samstag kommt es in Dortmund zum Duell mit der Eintracht, das Spiel hat im Kampf um die Champions-League-Plätze vorentscheidenden Charakter. Werden Sie diese Gelegenheit wahrnehmen und mal wieder mit zu einem Spiel reisen?

Beck: Das steht noch nicht fest, kann aber sein. Aus persönlich-nostalgischen Gründen wäre ich gerne dabei, bin mir trotz der regelmäßigen Testungen aber auch der Pandemie-Problematik bewusst. Es war beim Hinspiel zwar kurz, aber sehr schön, die vielen bekannten Gesichter wieder zu sehen und mit ihnen zu quatschen.

Und wie soll das Spiel ausgehen?

Beck: Am liebsten wäre mir vor allem: Wir werden am Ende Dritter und Dortmund Vierter.