Bayer Leverkusens Triple-Trauma: "Du denkst nur: Nein, bitte nicht!"

Von Dennis Melzer
Bayer Leverkusen traf im Champions-League-Finale auf Real Madrid.
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Berbatov: "Du denkst nur: Nein, nein, bitte nicht!"

Gemeint ist Zidanes Geniestreich, eine Volleyabnahme mit links, bei der sich jeder normale Kicker vermutlich das Hüftgelenk aus der Verankerung gerissen hätte. "Ich stand an der Mittellinie und hatte einen perfekten Blick auf den Schuss. Du denkst in diesem Moment nur: 'Nein, nein, bitte nicht. Irgendjemand muss ihn aufhalten.' Aber so etwas kannst du nicht verteidigen. Solche Tore möchte man normalerweise bei einem solchen Spiel sehen. Und Zidane war in der Lage, sie zu schießen."

Ramelow, der es als defensiver Mittelfeldspieler besonders häufig mit dem französischen Ausnahmespieler zutun bekam, pflichtet Berbatov bei: "Er war technisch natürlich versiert. Aber technisch versierte Spieler gibt es heute auch noch. Was ihn von anderen Fußballern abgehoben hat, war seine Eleganz. Alles, was er mit dem Ball gemacht hat, besaß eine gewisse Schönheit. Er hat den Ball gestreichelt, das perfekte Auge für den Mitspieler und brachte Torgefährlichkeit mit. Das fand ich an ihm bemerkenswert."

Doch nach Zizous Treffer zum 2:1 drehte sich die Partie immer mehr zugunsten des Underdogs aus Leverkusen. "Real ist heute gut, sie waren zu meiner aktiven Zeit gut und waren davor ebenfalls gut. Gegen uns stand eine absolute Top-Truppe auf dem Rasen, der wir mächtig Paroli geboten haben. Wir waren phasenweise sogar besser", sagt Ramelow.

Calmund lobt rückblickend: "Ich war froh, dass wir gegen Real Madrid mindestens gleichwertig waren, trotz des kleinen Kaders, der zur Verfügung stand." Mindestens gleichwertig könnte man sogar als untertrieben einordnen, ruft man sich vor allem die zweite Halbzeit ins Gedächtnis. Bayer schnürte die Blancos bisweilen ein, fuhr Angriff um Angriff. Als sich Cesar Lopez, Reals etatmäßige Nummer eins verletzte, wurde die Hoffnung auf ein Happy End weiter genährt. Ein Trugschluss.

Jens Nowotny: "Casillas hätte hinter sein Tor gehen können, wir hätten ihn trotzdem angeschossen"

"Wir hatten vermutlich ein Torschussverhältnis von 17 zu vier", mutmaßt Nowotny, der einen Tag vor seiner Kreuzband-Operation in Colorado am TV-Gerät mitfieberte. "Wir waren dermaßen überlegen und haben ein überragendes Spiel gemacht. Aber an diesem Abend ging der Stern des Iker Casillas auf", auch Ramelow hebt den damals erst 20 Jahre alten Keeper hervor: "Leider hat Iker Casillas einen super Tag erwischt. Er kam ins Spiel und hat alles gehalten, was es zu halten gab", erklärt der Blondschopf, während Nowotny sich in Zynismus übt: "Er hätte auch hinter sein Tor gehen können und wir hätten ihn trotzdem noch angeschossen."

Bayer drückte und drückte, Casillas parierte und parierte. "Wenn der Casillas nicht so überragend gehalten hätte, hätten wir das Spiel gewonnen", resümiert Calmund. Viele Konjunktive, die bekanntermaßen nicht eingetreten sind. Es blieb beim 2:1 aus Sicht der Spanier. Mit leeren Blicken und achtlos um den Hals geworfenen Silbermedaillen begleiteten die Bayer-Protagonisten im Anschluss die Zeremonie, an deren Ende der Gegner den prestigeträchtigen Henkelpott entgegennahm. Anders als nach der Pleite in Unterhaching, die eine landesweite Häme nach sich gezogen hatte, diente die Niederlage in Glasgow durchaus als Werbung in eigener Sache.

"Wir haben uns weltweit Sympathien erspielt. Das lag aber nicht nur an der Leistung, sondern auch an den Personen, die diese Leistung erbracht haben", weiß Nowotny. "Wir hatten keine Spinner, keine arroganten Hunde oder gehässige Typen in der Mannschaft. Das waren allesamt bodenständige Persönlichkeiten, die sich gesucht und gefunden haben. Ich denke, dass insbesondere Klaus Toppmöller einen großen Anteil daran hatte, dass wir unsere Normalität gewahrt haben."

Bayer Leverkusen traf im Champions-League-Finale auf Real Madrid.
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Bayer Leverkusen traf im Champions-League-Finale auf Real Madrid.

Carsten Ramelow: "Etwas Größeres gibt es nicht"

Calmund habe im Spanien-Urlaub sowohl von Real- als auch Barcelona-Fans Schulterklopfer und Lobeshymnen erhalten, weil Leverkusen derart zu begeistern wusste. "Letztlich muss man sagen: Je mehr sich das Jahr 2002 entfernt, desto besser realisiert man, was man erreicht hat", sagt Ramelow. "Dass wir in der Königsklasse sogar eine gewisse Rolle gespielt haben, war etwas ganz Besonderes. Wir standen im Champions-League-Finale - dessen muss man sich bewusst sein. Etwas Größeres gibt es nicht."

Er persönlich sei rückblickend nicht traurig, dass auch sein Name stets mit Platz zwei in Verbindung gebracht wird. "Heute würde mich eine Goldmedaille auch nicht weiterbringen als eine Silbermedaille. Für mich macht es keinen großen Unterschied, ob ich achtmal Zweiter geworden bin oder achtmal Erster."

Apropos Zweiter: Für einige Leverkusen-Akteure stand nach dem Champions-League-Finale die Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan an. Ramelow, Ballack, Schneider und Oliver Neuville trugen ihren Teil dazu bei, dass Deutschland ins Endspiel gegen Brasilien einzog. Die Selecao gewann mit 2:0 dank eines Ronaldo-Doppelpacks.

"Ich war damals in Yokohama beim Finale", erzählt Calmund. "Ich habe zu Wolfgang Niersbach gesagt: 'Ich gehe nicht auf den Rasen. Nach dem DFB-Pokal-Finale haben sie mir blau-weißes Schalke-Konfetti auf den Kopf geschossen, in Glasgow strahlend weißes, ich brauche mir nicht zum dritten Mal die Farben des Gegners auf die Rübe rieseln zu lassen. Ich bin also auf der Tribüne sitzen geblieben - und plötzlich kam ein Schwall an grün-blau-gelbem Konfetti vom Stadiondach runter." Sinnbildlich.

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