Fortuna Düsseldorfs Sportvorstand Lutz Pfannenstiel im Interview: "Ich bin nicht geholt worden, um zu träumen"

Wurde Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf als Tabellenletzter und feierte am Ende den souveränen Klassenerhalt: Lutz Pfannenstiel.
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Durch den niedrigen Etat der Fortuna wird dabei Ihr Einfallsreichtum und auch Ihre Scouting-Erfahrung elementar gefragt sein. Inwiefern helfen Ihnen dabei Ihre 20 Jahre Erfahrung als Fußballreisender in Ihrer aktiven Laufbahn?

Pfannenstiel: Das hat mir in Hoffenheim schon unheimlich genützt und das tut es jetzt auch bei der Fortuna.

Was genau?

Pfannenstiel: Viel unterwegs zu sein auf der ganzen Welt, alle Fußballkulturen aufgesaugt zu haben, sich immer das Positive und das Negative gemerkt und verarbeitet zu haben. Das ist sowohl Erfahrungsvielfalt als auch Informationsreichtum. Das hilft mir bei meinem Job in Düsseldorf sehr.

Mit Informationsreichtum meinen Sie sicherlich auch die Kontakte, die Sie in den Jahren geknüpft haben.

Pfannenstiel: Genau. Für das Scouting oder die Spielerakquise brauchst du nicht nur goldene Augen. Hauptsächlich ist es Netzwerk und Timing, die den Ausschlag geben. Mit den richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu sprechen. Das dickste Telefonbuch mit den meisten Kontakten zu haben, ist elementar. In der Bundesliga gibt es viele sehr gute Netzwerker wie Fredi Bobic, Alexander Rosen oder Michael Reschke.

Das hat man gerade bei Bobic und dem Fall Luka Jovic gesehen. Vor zwei Jahren spielte der noch bei Benfica in der zweiten Mannschaft, in diesem Sommer ist er für 60 Millionen Euro zu Real Madrid gewechselt.

Pfannenstiel: Das sind dann die Kontakte, die nur wenige haben und bei denen etwas passiert, was niemand auf dem Schirm hat.

Wechselte nach einer herausragenden Saison bei Eintracht Frankfurt zu Real Madrid: Luka Jovic.
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Wechselte nach einer herausragenden Saison bei Eintracht Frankfurt zu Real Madrid: Luka Jovic.

Anders als Bobic oder Reschke waren Sie als Profi bei 25 Klubs auf der ganzen Welt und sind bis heute der einzige Fußballer, der bei Vereinen auf allen sechs Kontinenten unter Vertrag stand. Warum macht man sowas?

Pfannenstiel: Das war bei mir überhaupt nicht geplant, sondern der Situation geschuldet. (lacht) Ich bin kein geduldiger Mensch. Als Torhüter spielt nur einer regelmäßig und die Bank war für mich nie eine Alternative. Das hätte ich nicht ausgehalten. Für mich war klar, dass ich kicken will. Dafür habe ich lieber auf Geld oder Luxus verzichtet und jedes Wochenende gespielt. Das war für mich das Schönste. Dass das solche Ausmaße angenommen hat, lag aber auch an vielen anderen Umständen.

Die da wären?

Pfannenstiel: Von Trainerentlassungen bis zum finanziellen Ruin von Klubs war eigentlich alles dabei. Ich habe außerdem in vielen Ligen gespielt, die nur sechs Monate Nettospielzeit hatten. In Neuseeland, Australien oder in den USA beispielsweise. Das passte aber nicht zu mir als Spieler. Ich war niemand, der sechs Monate nur trainiert und herumsitzt und noch ein paar Freundschaftsspiele macht, sondern lieber im aktiven Ligaspielbetrieb war. Deshalb habe ich mich oft ausleihen lassen. So kam es dann auch mal vor, dass ich vier Jahre hintereinander 48 Monate ohne Urlaub durchgespielt habe.

Ist man dann nicht irgendwann platt?

Pfannenstiel: Als Torwart kannst du das sicherlich besser kompensieren als ein Feldspieler. Aber natürlich war ich auch mal platt. In einem Jahr, in dem ich erst in Neuseeland und dann in den USA gespielt habe, stand ich mit beiden Teams in den Playoffs. Da habe ich dann insgesamt fast 70 Spiele gemacht.

Und später einen Weltrekord geknackt.

Pfannenstiel: Das war tatsächlich das Einzige, was wirklich halbwegs geplant war. Es war ein Traum von mir, einmal in Südamerika zu spielen. Da wusste ich aber noch gar nicht, dass ich als Profi schon auf fünf Kontinenten war und ich mit dem Wechsel nach Brasilien einen Weltrekord aufstellen würde. Damals war ich auch schon in Vancouver sesshaft geworden und hatte einen langfristigen Vertrag in der MLS. Mein Kind ging dort auch schon zur Schule. Der Wechsel war dann mehr eine Grundsatzentscheidung.

Was sagt die Familie eigentlich zu solchen Grundsatzentscheidungen?

Pfannenstiel: Die waren das von mir gewohnt. Wenn ich mal die Füße stillgehalten habe, haben sie sich schon gewundert, ob alles in Ordnung ist. (lacht) Die Familie hat mich immer unterstützt. In guten wie in schlechten Zeiten, wie es so schön heißt - und die gab es bei mir ja auch. Ich hatte einige sehr furchtbare Erlebnisse, da war es wichtig, dass die Familie einen immer unterstützt hat. Für sie gibt es keine Überraschungen mehr.

Lutz Pfannenstiel
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Zwei dunkle Kapitel in Ihrem Leben untermauern das. Das eine ereignete sich in Singapur bei Geylang United, das andere in England bei Bradford.

Pfannenstiel: In Singapur gab es diesen seltsamen Gerichtsfall. Mir wurde vorgeworfen, dass ich zu gut gehalten hätte. Das war Wahnsinn.

Sie wurden 2000 wegen angeblicher Spielmanipulation verurteilt und mussten ins Gefängnis.

Pfannenstiel: Ich wurde zwar später freigesprochen, aber trotzdem hat mich das ein volles Jahr meines Lebens gekostet. Vielleicht sogar mehr.

Wie geht man mit sowas um?

Pfannenstiel: Ich habe versucht, aus dem ganz Negativen irgendetwas Positives rauszuziehen.

Was kann daran positiv sein?

Pfannenstiel: Du denkst, dass dich nichts mehr umhauen kann und dass man Extremsituationen immer irgendwie überwinden kann. Man lernt, dass Sachen im Job bei der Fortuna, die auch unangenehm sein können, im Vergleich dazu ein Kinderspiel sind. Die Bedeutung des Wortes "Freiheit" können die meisten Leute gar nicht einschätzen.

Sie hingegen schon. Und sicher auch das Wort "Leben", nach dem, was Sie in Bradford am Boxing Day 2002 erlebt haben.

Pfannenstiel: Wenn du denkst, schlimmer kann es nicht mehr werden, erschlagen sie dich kurz mal auf dem Fußballplatz.

Sie mussten auf dem Platz dreimal wiederbelebt werden.

Pfannenstiel: Das war einfach ein Unfall. Ein gegnerischer Stürmer hat versucht, über mich drüber zu springen und ich habe das Knie in den Solarplexus bekommen. Ein verrückter Unfall, das war einfach unglücklich. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort.

Hat Sie die Geschichte in Singapur charakterlich mehr verändert als das Nahtoderlebnis in England?

Pfannenstiel: Auf alle Fälle. Sie hat mich glaube ich zu einem besseren Menschen gemacht und meine Einstellung zum Leben verändert.

Welche Einstellung hatten Sie davor?

Pfannenstiel: Eine Fußballer-Einstellung.

Was ist eine Fußballer-Einstellung zum Leben?

Pfannenstiel: Schöne Schuhe, schöne Autos. Diese Einstellung hat sich danach relativ schnell und klar verändert. Für mich ist die Familie das Allerwichtigste. Außerdem habe ich die Charity Global United FC gegründet, die es vielen Kindern ermöglicht, Zugang zu Bildung und Nahrung zu erhalten. Umweltschutz ist eines unserer Hauptthemen. Auf die Charity und das, was wir hier bewegen können, bin ich schon ein wenig Stolz.

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