Nabil Bentaleb von Schalke: "Die Enttäuschung zu verbergen, fällt mir immer noch nicht leicht"

Nabil Bentaleb spielt seit Sommer 2016 für den FC Schalke 04.
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Nabil Bentaleb spielt seit zwei Jahren beim FC Schalke 04, vor einem Jahr hat ihn S04 fest von Tottenham Hotspur verpflichtet. Im Interview spricht der Algerier über frühe Enttäuschungen zu Beginn seiner Karriere und eine schicksalhafte Begegnung mit einem Scout.

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Außerdem verrät der 23-Jährige, welche Lehren er aus der scharfen Kritik an ihm in der zurückliegenden Saison gezogen hat.

SPOX: Herr Bentaleb, Sie sind im Arbeiterviertel Wazemmes in Lille aufgewachsen und haben dort mit dem Fußballspielen angefangen. Woher kommt Ihre Leidenschaft für das runde Leder?

Nabil Bentaleb: Ganz am Anfang wollte ich eigentlich Karate machen, weil das mein sieben Jahre älterer Bruder auch tat. Irgendwann hat er aber aufgehört und ist zum Fußball übergegangen. Als ich ihn kicken sah, wollte ich ihm auch dort nacheifern. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt. Seitdem gibt es nichts anderes mehr in meinem Leben. Ich war sehr früh schon extrem ehrgeizig und habe immer geweint, wenn ich ein Spiel verlor. Ich wollte auch relativ schnell immer besser werden. Es war mein Ziel, deutlich stärker zu sein als mein Bruder.

SPOX: Wie lief es bei Ihnen in der Schule?

Bentaleb: Ich war ein ganz ordentlicher Schüler, aber ich war zu sehr vom Fußball abgelenkt, weil ich an nichts anderes gedacht habe. Ich saß oft im Unterricht und habe gegrübelt, wer am Nachmittag alles aus unserem Viertel Zeit haben könnte, um zusammen kicken zu gehen. Der Fußball hat mich mehr motiviert als die Schule. (lacht)

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Nabil Bentaleb im Schalker Trainingslager in Mittersill.
© spox
SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Nabil Bentaleb im Schalker Trainingslager in Mittersill.

SPOX: Mit zehn sind Sie in das Nachwuchsleistungszentrum des OSC Lille gewechselt. Wie lief es dort anfangs für Sie?

Bentaleb: Zu Beginn war es einfach für mich. Ich war den anderen gerade in technischer Hinsicht überlegen, weil ich auch viel Futsal in der Halle spielte. Mit der Zeit wurde es jedoch komplizierter, da meine Trainer nicht besonders an mich glaubten. Für sie waren meine technischen Fertigkeiten, meine Leidenschaft und die Lust aufs Gewinnen keine Fähigkeiten, die sie verfeinern wollten.

SPOX: Vier Jahre später wurde Ihnen daher gesagt, dass es beim LOSC nicht mehr weitergehen würde.

Bentaleb: In Lille war man damals bei jungen Spielern sehr auf den physischen und athletischen Aspekt fokussiert. Das waren die Hauptgründe, weshalb sie mich nicht mehr behalten wollten. Ich war ihnen zu klein und nicht muskulös genug. Das war sehr schwer zu verstehen, denn wir waren körperlich eigentlich alle auf demselben Niveau. Es gab ein paar Spieler, die schon größer waren und die sich körperlich schneller entwickelt hatten als die Mehrheit. Diese Spieler haben sie daher auch übernommen, mein Gesamtpaket hatte für sie nicht genug Qualität.

Nabil Bentaleb: "Da wurde ein sehr großer Traum zerstört"

SPOX: Wie nahe ging Ihnen diese Entscheidung?

Bentaleb: Sehr nahe, denn da wurde ein sehr großer Traum zerstört. Ich wollte unter allen Umständen bei den Profis in Lille spielen. Erst recht, da ich ja aus der Stadt komme und den Klub geliebt habe.

SPOX: Wie haben Sie in der Folge auf diesen ersten Rückschlag reagiert?

Bentaleb: Rückblickend denke ich, ich habe damals einen ersten kleinen Beweis erbracht, dass ich mental stark sein kann. Ich habe mir gesagt, dass ich jetzt einfach dranbleiben muss, um eines Tages mit dem Fußball mein Geld verdienen zu können. Ich wollte ihnen zeigen, dass sie falsch lagen und ich es auch außerhalb von Lille schaffen kann.

Nabil Bentaleb: Seine Pflichtspielbilanz für den FC Schalke 04

WettbewerbSpieleToreVorlagen
Bundesliga4897
DFB-Pokal601
Europa League920
Gesamt63118

SPOX: Sie sind daraufhin zu Royal Excelsior Mouscron nach Belgien gewechselt, doch nur ein Jahr später ging der Klub pleite. Von dort ging es weiter zur U17 von USL Dunkerque. Das ist nicht unbedingt der Parade-Weg, um wenig später einmal in der Premier League zu landen.

Bentaleb: Das stimmt, aber ich habe darüber nicht nachgedacht und ehrlich gesagt auch nicht daran geglaubt, dass es so kommen könnte. Mir ging es darum, nicht nachzulassen, um mir eines Tages nichts vorwerfen zu müssen. Ich dachte: Wenn es klappt, klappt es und wenn nicht, dann eben nicht. Mouscron ist zwar um die Ecke von Lille, aber ich war in einem anderen Land, sah meine Freunde sehr selten und stand jeden Tag um fünf Uhr auf, um Schule und Training unter einen Hut zu bekommen. Das war nicht leicht, aber meine Gedanken bestanden damals nur aus dem Antrieb, unbedingt Profifußballer zu werden.

Bentaleb: "Mein Vater hatte bis zu drei Jobs"

SPOX: Haben Sie zwischenzeitlich einmal die Hoffnung verloren?

Bentaleb: Nein. Ich hatte damals ohnehin die Wahrnehmung, ich sei alleine und alle seien gegen mich, so sah es damals in meinem Kopf aus. Ich hatte in meiner Zeit als Jugendspieler das ständige Gefühl, immer doppelt so gut sein und doppelt so viel machen zu müssen wie die anderen, um überhaupt Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

SPOX: Kam Ihnen nie der Gedanke, dass Sie das vielleicht nur so sehen, es aber möglicherweise gar nicht der Wahrheit entspricht?

Bentaleb: Nein, für mich waren diese Gedanken damals vollkommen normal. Meine Eltern sind Einwandererkinder. Sie mussten sehr, sehr hart arbeiten, um durchzukommen und uns ein halbwegs angenehmes Leben zu ermöglichen. Auch sie mussten doppelt so viel tun als andere, für sie war es ebenfalls alles andere als leicht. Mein Vater hatte bis zu drei Jobs. Daher war es in mir fest verankert, dass man doppelt so viel arbeiten muss, um im Leben zu bestehen. Es kommt letztlich immer darauf an, wie man auf bittere Momente reagiert. Ich kenne zum Beispiel mehrere Spieler meines Jahrgangs, die in Lille ebenfalls aussortiert wurden. Sie haben anschließend aufgegeben und sind nicht Profifußballer geworden.

SPOX: Frederic Basire, Ihr Trainer in Dunkerque, hat einmal gesagt, dass ihn viele Leute vor Ihnen gewarnt hätten.

Bentaleb: Er war der erste Trainer, der wirklich an mich und meine Fähigkeiten glaubte. Er fand es lohnend, mich als Spieler und Person zu entwickeln und mich nicht sofort fallen zu lassen, wie es manche andere Trainer zuvor getan haben. Wir haben uns häufig in die Haare bekommen, ohne aber den Respekt voreinander zu verlieren. Er sagte, dass wir den technischen Bereich nun einmal vernachlässigen und steckte mich in die Abwehr. Das habe ich zunächst überhaupt nicht kapiert, denn das war ja ganz und gar nicht meine Stärke. Ich war ein Mittelfeldspieler, der entscheidende Pässe in die Offensive spielen konnte. Doch er wollte mir helfen, noch kompletter zu werden und er sah etwas in mir.

Bentaleb über eine schicksalhafte Begegnung mit einem Scout

SPOX: Eines Tages soll Ihnen ein Berater ein Probetraining bei Birmingham City vermittelt haben. Wie kam es dazu?

Bentaleb: Diese Geschichte hatte schon früh ihren Ursprung. Mein Bruder ist mit seinen Jungs immer Futsal spielen gegangen. Ich ging über Wochen jedes Mal mit, aber man erlaubte mir nicht mitzuspielen, da ich deutlich zu klein war. Ich bin aber so lange mitgegangen, bis mal ein Spieler fehlte und sie nicht mehr anders konnten, als mich mitspielen zu lassen. Später, als ich zwölf, 13 Jahre alt war, kickte ich dann regelmäßig mit, immer sonntags. Ein paar Jahre später war ein Scout einer Berater-Agentur in der Halle. Nach dem Spiel ging er zu meinem Bruder und wollte seine Nummer haben, weil er etwas in mir gesehen hatte. Er hat gar nicht direkt mit mir gesprochen. Es dauerte schließlich acht Monate, bis wir wieder von ihm gehört haben. Er rief meinen Bruder an einem Samstag an und meinte: Sag deinem Bruder, dass er am Montag nach Birmingham fliegt. (lacht)

SPOX: Was haben Sie daraufhin gedacht?

Bentaleb: Eigentlich nur: Alles klar, ich bin bereit, es kann losgehen. Der Anruf kam zum richtigen Zeitpunkt, denn die Saison in Dunkerque endete gerade und es war nicht ganz klar, wie es für mich weitergehen würde. Ich flog also rüber und das Probetraining lief auch wirklich gut. Der Klub hatte jedoch Probleme, die Ausbildungsentschädigung an Lille zu zahlen. So verlief sich das dann und ich musste etwas warten.

SPOX: Wie ging es dann weiter?

Bentaleb: Der Scout sprach mit mir und meinen Eltern. Er sagte, dass er mir ein Probetraining bei Manchester United, Arsenal, ManCity und Newcastle vermitteln könne, doch das würde jeweils noch etwas dauern. Nur bei Tottenham ginge es sofort. Ich habe geantwortet: Dann nichts wie hin!

SPOX: Was ist dann bei den Spurs auf Sie zugekommen?

Bentaleb: Am ersten Tag habe ich mit der U17 trainiert, tags darauf durfte ich schon bei der zweiten Mannschaft von Trainer Tim Sherwood dabei sein. Dort bin ich auf deutlich größere und ältere Spieler getroffen. Nach einer Woche im Training sagten sie mir, dass das passen würde. Ich solle nach Hause fahren, mein Zeug packen, zurückkommen und meinen Vertrag unterschreiben.

SPOX: Und plötzlich waren Sie erstmals richtig weit weg von zu Hause und in einem fremden Land.

Bentaleb: Das war nicht einfach. Es gab Phasen, in denen ich meine Familie sechs, sieben Monate lang nicht gesehen habe. Ich habe mich gezwungen, nicht viel darüber nachzudenken, auch wenn sie mir oft wirklich gefehlt hat. Mir war aber klar, dass ich solche Opfer bringen muss. Ich wusste immer, warum ich das tue.

SPOX: Warum hat Ihnen letztlich Tottenham die Chance gegeben, die Ihnen in Frankreich und Belgien verwehrt wurde?

Bentaleb: Weil in England schlichtweg eine andere Mentalität herrscht. Als ich in Mouscron und Dunkerque spielte, war es vorgeschrieben, nebenher regelmäßig in der Schule anwesend zu sein. Für mich zählte aber nur, jeden Tag Fußball zu spielen, um besser zu werden. Ich wollte an nichts anderes denken. Bei Tottenham kam ich an und sie meinten zu mir: Du hast vier Stunden Englisch-Unterricht pro Woche, der Rest besteht nur aus Fußball. Ich war begeistert und habe jeden Tag trainiert wie ein Verrückter. Auch die Unterstützung der Verantwortlichen war unglaublich. Ich könnte Ihnen jetzt locker zehn meiner damaligen Mitspieler nennen, die nun ihr Geld als Profi verdienen.

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