Über jeden Zweifel erhaben

Von Jonas Rütten
Kevin-Prince Boateng soll in Frankfurt als Führungsfigur sagen, wo es lang geht
© getty

Kevin-Prince Boateng ist der elfte und schillerndste Neuzugang, den Eintracht Frankfurt in diesem Sommer präsentierte. Er, der einstige Bad Boy, der Sündenbock "soll die Mannschaft führen" - einen zusammengewürfelten Haufen aus neuen und jungen Spielern. Trainer Niko Kovac ist überzeugt von Boatengs Qualitäten, und dennoch sind Zweifel nicht unberechtigt.

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"Zurzeit habe ich die Tür zugemacht für Deutschland. Das kann sich ändern, aber es ist nicht der Zeitpunkt, um in Deutschland zu spielen", sagte Kevin-Prince Boateng im Frühjahr 2016 gelassen in eine Kamera. Sein Rauswurf beim FC Schalke lag zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr zurück und nun stand auch seine Zukunft beim AC Milan auf der Kippe. Seither hat sich in der Tat einiges geändert.

In diesem Sommer machte Boateng die Tür zur Bundesliga wieder auf, sah er doch den Zeitpunkt für eine Rückkehr gekommen, als er aus persönlichen Gründen um die Auflösung seines Arbeitspapiers beim spanischen Erstligisten UD Las Palmas gebeten hatte und die Eintracht an seine Tür klopfte. Ein paar Tage später saß ein gut gelaunter Boateng bei seiner ersten Pressekonferenz in Frankfurt und sei "froh, dass alles so ganz schnell geklappt hat".

Einen Dreijahresvertrag hat die SGE Boateng zur Unterschrift gegeben. Durchaus ein Wagnis, das Eintracht-Trainer Niko Kovac aber gerne bereit ist einzugehen und über jeden Zweifel an seinem neuen Schützling erhaben zu sein scheint: "Prince wird dieser Mannschaft unheimlich viel geben. Er bringt überragende fußballerische Qualitäten mit."

Boateng, der "Galaktische von Las Palmas"

Mit Blick auf Boatengs Leistungen in der Primera Division kann man Kovac kaum widersprechen. KPB fand bei UD Las Palmas zu alter oder gar neuer Stärke zurück, erlebte er doch in der abgelaufenen Spielzeit eine Renaissance seiner Karriere, die viele nach den Querelen auf Schalke und seinem Aus bei den Rossoneri schon für beendet hielten.

Mit zehn Toren und fünf Assists hatte Boateng maßgeblichen Anteil am Klassenerhalt des Liga-Exoten von den kanarischen Inseln. Dort im Estadio de Gran Canaria habe Boateng "die Liebe zum Fußball wiederentdeckt". Vielleicht auch gerade weil der bodenständige Verein aus dem Urlaubsparadies für einen wie Boateng den roten Teppich ausrollte, denn einen prominenteren Neuzugang gab es selten in Las Palmas.

So wurde Boateng von Klubpräsident Miguel Angel Ramirez als "Galaktischer von Las Palmas" vorgestellt. Der Prince zahlte die in ihn gesetzten Hoffnungen zurück. Seine Mitspieler sprachen in den höchsten Tönen vom selbsternannten Chamäleon. Sie alle hofften auf einen Verbleib von KPB auf Gran Canaria, doch das erfüllte sich nicht.

Boateng als Leader und Team-Builder

Boateng hatte Sehnsucht nach der in Mailand lebenden Familie. Für ihn von Frankfurt aus nur "ein Katzensprung". Er dürfte in Las Palmas nicht nur aufgrund seiner Qualitäten auf dem Platz vermisst werden.

Ähnlich wie Eintracht Frankfurt in dieser Saison war auch das Team von UD Las Palmas eine Mannschaft im Umbruch. Mehr ein zusammengewürfeltes Kollektiv als eine gemeinsam gewachsene Mannschaft. Vor der Saison kamen mit Boateng noch sieben weitere Neue, darunter Leihspieler wie der Ex-Hamburger Alen Halilovic oder der einst extrem begehrte Ex-Madrilene Jese. 13 Spieler verließen den kanarischen Klub im Gegenzug.

Trotzdem war die Mannschaft erfolgreich und das soll dem Vernehmen nach auch mit Boateng als Leader und Team-Builder zu tun gehabt haben. So berichteten Medien über Boatengs Einladungen zum Mannschaftsessen oder einer spontanen Buchung eines Privatjets, um der Mannschaft nach einem Auswärtsspiel die achtstündige Rückreise zu erleichtern.

Kovac und der Wohlfühl-Faktor

So etwas erwartet Niko Kovac in Frankfurt sicherlich nicht von Boateng, doch sein Appell an den 30 Jahre alten Offensiv-Allrounder ist klar und deutlich: "Ich glaube, dass gerade unsere jungen Spieler von ihm als Typ und Mensch sehr viel profitieren können, und ich erwarte, dass er ein Teil der Führungsriege ist."

Boateng hat in Las Palmas zumindest für ein Jahr gezeigt, dass er das kann, wenn er sich denn rundum wohlfühlt - und wenn er fit ist. An die Stelle des Urlaubsambientes der kanarischen Küste tritt nun das Betongrau der Frankfurter Innenstadt und auch als "Galaktischen" haben sie ihn am Main noch nicht betitelt. Dennoch empfing ihn die SGE mit ähnlich offenen Armen.

Zudem weiß Boateng um die guten Voraussetzungen in der hessischen Metropole für seine Rückkehr auf die große Bundesliga-Bühne: "Niko ist da, Robert ist da, Fredi ist da. Das sind alles Leute, die ich kenne, mit denen ich auch aufgewachsen bin. Da kam kein Nein in Frage."

Kein zweites Schalke-Drama

Dass Boateng mit Niko Kovac durchaus ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, zeigt auch ein loses Versprechen an Kovac, als dieser gerade seine erste Trainer-Station in Salzburg angetreten war: "Ich hab ihm gesagt, ich will irgendwann mal unter dir spielen."

Vieles spricht daher dagegen, dass sich in Frankfurt ähnliches abspielen wird, wie vor zwei Jahren auf Schalke, als Boateng als Sündenbock für die katastrophale Rückrunde der Königsblauen herhalten musste.

Ein Bauernopfer von Manager Horst Heldt, das unter den Kovac-Brüdern kaum vorstellbar ist. Zumal Boateng nicht als Königstransfer oder Weltstar vom AC Mailand zur Eintracht kommt, sondern ablösefrei von einem spanischen Underdog.

Der Erfolg hängt am linken Knie

Bei Las Palmas funktionierte das Experiment Boateng und die Voraussetzungen in Frankfurt unterscheiden sich bezüglich Kadermischung und potentiellen Wohlfühlfaktoren nicht gravierend. Zwar war die Erwartungshaltung an die Mannschaft von den kanarischen Inseln nicht größer als die Hoffnung auf den Klassenerhalt, allerdings musste Boateng auch hier mit Vorschusslorbeeren und dem einhergehenden Erfolgsdruck zurechtkommen.

Das wird auch bei der Eintracht nicht anders sein, zumal die Konkurrenz mit Jonathan de Guzman und Marco Fabian im Mittelfeld wesentlich größer ist. Allerdings setzt Kovac auf Boatengs Vielseitigkeit und will den 30-Jährigen auf mehreren Positionen einsetzen. Gewisse Restzweifel an Boatengs Erfolg in Frankfurt sind dennoch erlaubt und das hat auch mit den Erfahrungen aus der Schalke-Zeit zu tun.

Dort sah man in Boateng ebenfalls eine Führungsfigur, die die Richtung vorgibt und Spieler mitreißen sollte. Als Boatengs mehrfach operiertes Knie ihn im Stich ließ, waren die Grundvoraussetzungen dafür aber nicht mehr gegeben.

Boatengs Spielzeiten in der Primera Division geben Grund zur Annahme, dass das Knie hält und auch er sagt von sich selbst, dass er "voll im Saft" stehe. Im Laufe der Saison wird diese Aussage noch auf eine harte Probe gestellt werden.

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