Wechsel fix! Abschied mit Beigeschmack

Benedikt Höwedes hat den FC Schalke 04 nach 16 Jahren verlassen
© getty

16 Jahre lang war Benedikt Höwedes Teil der Schalke-Familie. Nach seiner Degradierung durch Neu-Trainer Domenico Tedesco ist der Wechsel zu Juventus Turin nun perfekt. Was bedeutet der Wechsel und dessen Hintergründe für die Beteiligten?

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"Grundsätzlich sollte man Reisende nicht aufhalten." Mit diesem Statement unterstrich Tedesco vor dem Spiel gegen Hannover 96, dass keiner seiner Schützlinge unter ihm eine Stammplatz-Garantie erhält. Auch kein Benedikt Höwedes. Der Coach hatte die größte Identifikationsfigur des Vereins zuvor als Kapitän abbestellt und auf die Bank gesetzt.

Die Reaktionen in Schalker Fan-Kreisen auf diese Maßnahme: Wütend. "Eine absolute Frechheit, Höwedes das Amt wegzunehmen! Er ist DIE Identifikationsfigur! Hoffentlich geht er nach England, hätte Todesco verdient."

Tedesco relativierte seine Aussage immerhin noch etwas, betonte die Wichtigkeit Höwedes' für das Team und sagte: "Wir möchten, dass Benedikt die Konkurrenzsituation annimmt, weil es nun einmal das Geschäft belebt." Dennoch passten die Worte in den schleichenden Prozess der Degradierung.

Dei Desavouierung des Benedikt Höwedes

Was anfangs noch durch Tedescos Konkurrenzkampf-Ideologie und Höwedes' Leisten-OP im Sommer zu erklären war, entwickelte sich zu einer Desavouierung des langjährigen Kapitäns. Keine Sekunde stand der 29-Jährige in der aktuellen Spielzeit für Schalke auf dem Rasen. Dabei war Höwedes wenige Monate zuvor noch die einzige Konstante in Schalkes Hintermannschaft.

In der vergangenen Saison absolvierte er 46 Spiele über die volle Distanz. Mal als Rechtsverteidiger in der Viererkette, mal als zentrale Stütze in der Dreierkette. Höwedes bestach dabei vor allem durch seine Passsicherheit und Zweikampfstärke. Und nun, ganz plötzlich, wurde ihm Youngster Thilo Kehrer vorgezogen.

Tedesco: Mit drastischen Maßnahmen zur Instanz?

Tedesco moderierte diese Maßnahme zwar unglücklich unsensibel, schloss eine Rückkehr des Ex-Kapitäns in die Startelf jedoch nie kategorisch aus. Er verwies lediglich auf den Konkurrenzkampf und den Fitnesszustand des von der OP zurückgekehrten Höwedes.

Tedesco setzt seine Prinzipien durch, wenngleich ein Manöver wie dieses, mit dem er den Groll der Fans schon ohne sportlichen Misserfolg auf sich zieht, riskant ist. Nach der 0:1-Pleite gegen Hannover wurde etwa nur ein Spieler von den Fans gefeiert: Höwedes.

Viel zu verlieren hat Tedesco mit Blick auf die Verweildauern der vergangenen Schalke-Trainer aber ohnehin nicht. Mirko Slomka war bis dato der letzte Coach, der länger als zwei Jahre in Gelsenkirchen angestellt war. Der wurde im April 2008 des Amtes entledigt. Tedesco kann durch drastische Maßnahmen zu einer Instanz auf der Knappen-Bank heranwachsen. Stellt sich mittelfristig nicht der erwünschte sportliche Erfolg ein, sollte sich Tedesco ohnehin darauf einstellen, schnell selbst zum Reisenden zu werden.

Höwedes nahm den Konkurrenzkampf nicht an

Höwedes muss sich derweil vorwerfen lassen, den Konkurrenzkampf nicht angenommen zu haben. Sein Abschied wirkt wie eine Flucht. Immer wieder wurde in der Vergangenheit zwar über Höwedes' Wunsch, mal im Ausland zu spielen, spekuliert - doch der schien zuletzt nicht mehr aktuell zu sein.

Am 10. Februar diesen Jahres verkündete das Schalker Urgestein noch via Instagram seine Vertragsverlängerung bis 2020 - mit dem Hashtag "#kohlegehtkumpelbleiben". Im vergangenen Sommer sagte Höwedes dem kicker: "Es gibt mehr als Titel. In dieser Hinsicht bin ich ein bisschen Fußballromantiker. Für mich zählt auch die Leidenschaft, einem bestimmten Team- und Vereinsgefüge anzugehören." Diese Leidenschaft schwand wohl parallel mit dem Verlust der Wertschätzung des Trainers.

Khedira: "Er kann für uns wichtig werden"

Und nun Juventus. Die Chancen auf Titel (bei Schalke in zehn Profi-Jahren nur der Pokalsieg 2011) stehen in Turin besser, sportlich ist der Transfer für Höwedes also auf jeden Fall ein Aufstieg.

Bei den Bianconeri wird der Weltmeister von 2014 den zum AC Milan abgewanderten Leonardo Bonucci ersetzen. An die spielerische Klasse des Italieners kommt Höwedes nicht heran. Doch sein Kämpferherz und seine solide Spieleröffnung könnten die Lücke, die Bonucci in Juves Bollwerk gerissen hat, halbwegs füllen. "Ich habe mit Benny und Juve gesprochen. Höwedes ist ein Leader, gibt immer alles. Er kann für uns wichtig werden", sagte Nationalmannschaftskollege Sami Khedira der Bild.

Mit Daniele Rugani drängt aber auch noch ein 23-jähriges Talent in die Stammformation. Der Italiener überzeugte gegen Cagliari und den FC Genua neben Giorgio Chiellini. Zudem stehen Massimiliano Allegri mit Andrea Barzagli und Medhi Benatia weitere zuverlässige Alternativen zur Verfügung.

So könnte Juventus mit Höwedes spielen:

Juventus wird mit Höwedes jedenfalls eine Option mehr für die vakante Besetzung in der Innenverteidigung bekommen, Schalke nach den Abschieden von unter anderem Julian Draxler, Leroy Sane und Sead Kolasinac ein weiteres Eigengewächs verlieren, jedoch die Chance auf eine neue Hierarchie in der Mannschaft gewinnen.

Und Höwedes? Er macht mit 29 Jahren erste Auslands-Erfahrungen und holt womöglich den einen oder anderen Titel. Einen faden Beigeschmack hat sein Abschied aber allemal.

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