Jenseits des Rasters

Von Sebastian Hahn
Jonas Hector stand an den ersten beiden Bundesliga-Spieltagen in der Startelf des 1. FC Köln
© getty

Bis er 20 Jahre alt war, nahm kaum jemand Notiz von Jonas Hector. Dann kam ein Probetraining beim FC Bayern München und das Interesse zahlreicher weiterer Bundesligisten. Nach zwei Spieltagen stellt er jetzt mit dem 1. FC Köln die beste Defensive der Liga - und könnte schon bald ein Thema für Joachim Löw werden.

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Durch das Raster fallen - beim DFB soll das eigentlich nicht mehr vorkommen, so zumindest das Wunschdenken der Verantwortlichen. Nach der verkorksten EM 2000 wurde das eigene Nachwuchssystem komplett generalüberholt, selbst in der tiefsten Provinz wollte man kein Talent mehr übersehen.

Dennoch beweisen die letzten knapp 15 Jahre, dass es immer wieder Spielern gelingt, durch die Fangnetze des DFB zu schlüpfen. Miroslav Klose und Andre Hahn sind die prominentesten Beispiele der vergangenen Jahre. Beide spielten nie in einer Junioren-Auswahl des DFB, wurden aber dennoch ins Nationalteam berufen. Klose darf sich mittlerweile sogar Weltmeister und WM-Rekordtorschütze nennen.

In Auersmacher, einem 2.500-Seelenort nahe der französischen Grenze, hofft man auf den nächsten Coup eines scheinbar Unbekannten. Jonas Hector wechselte erst mit 20 Jahren aus der saarländischen Provinz zum 1. FC Köln - und könnte schon bald in einer Reihe mit Klose und Hahn stehen.

Probetraining beim FCB

Dass der Name Hector in Verbindung mit der Nationalmannschaft fallen könnte, war vor fünf Jahren noch undenkbar. "Wenn mir damals einer gesagt hätte, dass ich mal als Stammspieler im Profifußball landen würde, hätte ich ihn für bekloppt erklärt", erklärt Hector gegenüber der "Kölnischen Rundschau". Kein Wunder, denn als damals 18-Jähriger war er gerade mit dem SV Auersmacher in die Oberliga Südwest aufgestiegen.

Der jetzige Kölner spielte damals noch auf der Sechs vor der Abwehr und war schon in jungen Jahren sowohl Leistungsträger bei den Senioren als auch in der Jugend, wo er mit den A-Junioren ebenfalls den Aufstieg in die Regionalliga schaffte. Mittlerweile kamen auch die ersten Anfragen aus dem näheren Umkreis, der 1. FC Kaiserslautern klopfte vorsichtig bei Hector an, der lehnte aber dankend ab.

"Ich wollte damals einfach nicht weg. Ich spielte seit der F-Jugend in Auersmacher und wollte zumindest eine Oberligasaison spielen", ergänzt er. Angeführt von ihrem jungen Strategen, der aufgrund eines Wachstumsschubs und seiner Schnelligkeit zunehmend auch als Linksverteidiger eingesetzt wurde, erreichten die Auersmacher überraschend den fünften Platz. Hector glänzte mit neun Toren und 13 Assists.

Damit war der Wechsel ins Profilager dann endgültig besiegelt, bereits im Winter absolvierte er mit seinem älteren Bruder Lukas zwei Trainingstage bei der U23 des FC Bayern. Zum Saisonende wurden dann auch der SC Freiburg und 1899 Hoffenheim vorstellig. Am Ende machten aber schließlich die Kölner das Rennen - wohl auch, weil Hector nicht allzu weit von seinem Heimatdorf wegziehen musste.

Kölner Kulturschock

Der Wechsel von der Provinz in die Millionenstadt war zunächst ein Schock für den damals 20-Jährigen. "Auf einmal war ich in Köln und stand auf eigenen Beinen. Da musste ich erst einmal mit klarkommen", erklärt er gegenüber "rheinfußball.de". Unter Frank Schaefer musste er sich allerdings erstmal zwei Jahre in der Regionalliga beweisen. Auch diese Aufgabe löste der unaufgeregte Youngster mit Bravour.

In zwei Saisons, nach denen am Ende fünf Treffer und 17 Vorlagen zu Buche standen, berief ihn Holger Stanislawski erstmals in den Profi-Kader. Gegen Unterhaching folgte dann das Debüt im DFB-Pokal - und Hector überzeugte den damaligen FC-Coach. Ab dem dritten Spieltag stand er regelmäßig im Kader, zum Saisonende avancierte er zum Stammspieler.

Auch den Wechsel von Stanislawski zu Peter Stöger überstand der mit 1,85 Metern für einen Außenverteidiger recht große Hector gut. Im Aufstiegsjahr verpasste er nur ein Spiel verletzungsbedingt, in den restlichen 33 Spielen stand er immer in der Startelf und wurde nur ein Mal ausgewechselt.

Vertrauen in den FC

Mit dem Aufstieg feierten beide Seiten nicht nur den ersten großen Erfolg, man konnte sich auch auf eine Vertragsverlängerung bis 2018 einigen. "Jonas Hector hat sein großes Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Er lernt sehr schnell und ist im Training und in den Spielen immer voll konzentriert. Ich freue mich sehr, weiter mit ihm arbeiten zu können", zeigte sich Peter Stöger begeistert.

Dementsprechend stand der 24-Jährige in den ersten beiden Bundesliga-Partien der neuen Saison auch auf dem Platz - und zeichnete sich mitverantwortlich dafür, dass die Geißböcke als einziger Verein noch ohne Gegentor sind. Dank seiner Schnelligkeit traut sich Hector immer wieder über die linke Außenbahn nach vorne und schlägt gefährliche Flanken. Seine Stärken liegen aber, wohl auch aufgrund seiner Sechser-Vergangenheit, in der Defensive.

68 Prozent seiner Zweikämpfe konnte der Youngster bisher für sich entscheiden. Ein weiterer großer Vorteil: Hector kommt zu großen Teilen ohne Foul aus. Nur zwei Gelbe Karten kassierte er in der abgelaufenen Zweitliga-Spielzeit und stoppte den Gegner nur 24 Mal mit unfairen Mitteln. Bei der Flut an offensiv ausgerichteten Außenverteidigern, die zuweilen sogar als verkappte Flügelstürmer agieren, ist Hector eine willkommene Abwechslung.

Einer für Löw?

Der 24-Jährige spielt sich mit seinen konstant guten Leistungen auch beinahe unfreiwillig in den Fokus von Joachim Löw. Die Linksverteidiger-Position war in den letzten Jahren zumeist die Schwachstelle der Nationalmannschaft, bei der WM agierte hier mit Benedikt Höwedes meist ein gelernter Innenverteidiger. Alternativ stehen hier nur Erik Durm, der momentan verletzte Marcel Schmelzer und Allzweckwaffe Kevin Großkreutz bereit.

"Man ist defensiv und offensiv beansprucht und muss abwägen, wann man sich in den Angriff einschaltet und wann nicht. Dementsprechend ist die Position schwer zu spielen", hat Hector seine ganz eigene Erklärung für die Flaute auf seiner Position parat.

Genauere Gedanken an ein mögliches Debüt im DFB-Dress hat er aber noch nicht verschwendet: "Diesen Traum hat jedes Kind, das Fußball spielt. Es ist das Höchste der Gefühle. Aber ein konkretes Ziel ist das nicht. Ich möchte mit Köln in der Bundesliga spielen. Dann schauen wir einfach mal, was kommt", ergänzt er.

Damit sich der Bundestrainer in Zukunft auch ernsthaft mit dem Kölner befasst, muss Hector weiterhin konstant seine Leistung abrufen und zu einer sicheren Säule im Kampf um den Klassenerhalt werden.

Hometown-Boy

Bis dahin dürften noch einige Wochen ins Land gehen - und auch einige Besuche im Heimatort. Dort schaut der 24-Jährige nämlich weiterhin so oft es geht vorbei. Meist geht es dann zum Auersmacher Ascheplatz, um die alten Kollegen bei ihren Spielen zu unterstützen.

"Ich bin froh, wenn ich die Zeit finde, an freien Wochenenden nach Hause zu kommen und mich mit meinen Freunden zu treffen. Das fehlt mir in Köln schon etwas", erklärt er gegenüber der "Saarbrücker Zeitung". Meist wird dann im Anschluss an die Spiele noch eine Runde FIFA auf der Playstation gezockt.

Dort dirigiert er dann die virtuellen DFB-Helden um Podolski, Schweinsteiger und Co. Und wer weiß, vielleicht sieht man zukünftig auch Hector an der Seite der Weltmeister - obwohl er durch das Raster gefallen ist.

Jonas Hector im Steckbrief

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