"Bayern ein grandioses Lebenswerk"

Haruka Gruber
01. November 201317:02
Rosen (2.v.l.) mit 1899-Geschäftsführer Rettig (l.) und Leverkusens Völler (2.v.r.) bei der Phantomtor-Verhandlunggetty
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Eine stetige Abfolge von Extremsituationen: Alexander Rosen scheiterte selbst als Profi - aber als jüngster Manager der Bundesliga bringt er Hoffenheim zurück in die Erfolgsspur. Der Direktor Profifußball vor dem Spiel gegen den FC Bayern (Sa., 15.30 Uhr im LIVE-TICKER) über die neue Zeitrechnung bei 1899.

SPOX: Die vergangenen sieben Monate verliefen mit der Beförderung aus dem Nachwuchsbereich zum Verantwortlichen der Bundesliga-Mannschaft höchst abwechslungsreich. Wie turbulent war es tatsächlich?

Alexander Rosen: Ich habe in den vergangenen sieben Monaten in der Tat in sehr kurzer Zeit eine Menge außergewöhnlicher Erfahrungen machen dürfen. Das Spiel gegen Leverkusen, der Einspruch gegen die Wertung und die anschließende Verhandlung beim DFB sind sicher ein treffendes Beispiel dafür. Es wird nicht langweilig bei uns, aber wir haben ein herausragendes Team und bekommen das bislang alles gut hin.

SPOX: Das Phantomtor haben Sie verdaut?

Rosen: Die Emotionen direkt nach dem Spiel und der Aufwand in den folgenden Tagen bei der Aufarbeitung der Geschehnisse waren natürlich gewaltig. Das Thema ist nun aber abgehakt. Es wurde alles dazu gesagt, das DFB-Sportgericht hat entschieden und wir müssen das so akzeptieren, auch wenn wir sehr enttäuscht waren.

SPOX: Sie standen plötzlich extrem im Fokus. Dabei hatten Sie sich zu Beginn Ihrer neuen Tätigkeit öffentlich auffällig im Hintergrund gehalten. Ist Ihnen die Arbeit mit den Medien womöglich zuwider?

Rosen: Nein, nein. Interviews sind mir nicht zuwider, es macht mir nichts aus. Im Gegenteil: Ich weiß, dass Medienarbeit zu meinem Job gehört und mache das grundsätzlich auch gerne. Meine Zurückhaltung damals lag in meinem Credo begründet, das ich mir auferlegt habe, als wir in einer äußerst schwierigen Situation Anfang April übernommen hatten: "Zuerst handeln, dann reden." Uns stand nur sehr wenig Zeit zur Verfügung und gleichzeitig sahen wir uns sehr vielen, anspruchsvollen Aufgaben gegenüber. Es gab permanent Gespräche zu führen und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Da war und blieb einfach etwas weniger Zeit für andere Bereiche.

SPOX: Wollten Sie trotz Ihrer rhetorischen Fähigkeiten bewusst kein Lautsprecher sein?

Rosen: Meine Selbstwahrnehmung sah folgendermaßen aus: Ich bin ein junger Manager und möchte zunächst einmal Schritt für Schritt mit den Themen wachsen, auch wenn in der Bundesliga oftmals viel Druck herrscht. Die Aufgaben waren herausfordernd und die Zeit extrem knapp. Diese Kombination veranlasste mich dazu, auf der Handlungsebene Vollgas zu geben. Daher wollte ich zunächst einmal mit Taten auf mich aufmerksam machen. Ich denke, wir haben mittlerweile eine gute Balance gefunden.

SPOX: Sie kennen das Innenleben des Klubs, wechselten bereits 2009 als Spieler zur zweiten Mannschaft von Hoffenheim und wurden 2010 zum Sportlichen Leiter des Nachwuchsleistungszentrums ernannt. Doch was genau überraschte Sie am meisten in Ihrem neuen Job?

Rosen: Es gab keine Aufgaben, die mir komplett neu waren. Meine vorherige Funktion als Leiter des Leistungszentrums hatte mich vorbereitet: Kaderplanung, Mitarbeit an der strategischen Ausrichtung, sportliche Philosophie, die vielen Gespräche mit Spielerberatern, die Netzwerke nach außen pflegen, die Teilnahme an DFB- und DFL-Tagungen. Die Besonderheit ist das Volumen auf allen Ebenen. In der Bundesliga ist alles zwei Nummern größer: das mediale Interesse, die zu hantierenden Beträge.

SPOX: Hatten Sie Befürchtungen, wie Sie von den Großkopferten der Manager-Zunft aufgenommen werden?

Rosen: Natürlich macht man sich darüber am Anfang Gedanken. Vor allem vor der ersten Manager-Tagung, als alle 18 Manager zusammenkamen. Den einen oder anderen kannte ich schon: so spielte ich zum Beispiel mit Horst Heldt während meiner Zeit bei Eintracht Frankfurt zusammen. Am Ende des Tages wurde ich aber absolut respektvoll und ohne Ressentiments im Kreis der bereits Etablierten aufgenommen.

SPOX: Anders als Sammer, Völler oder Heldt blieb Ihnen eine große Spielerkarriere verwehrt, dabei hätten Sie nach Meinung vieler die Begabung für eine zumindest respektable Bundesliga-Karriere mitgebracht. Sie selbst sagten einmal: "Als Spieler war ich mental nicht widerstandsfähig und robust genug." Wie eigneten Sie sich diese Qualität an, um es als Manager zu schaffen?

Rosen: Für mich als Spieler kann man den Satz so stehen lassen, denn ich war gerade zu Beginn meiner Laufbahn ungeduldig und nicht hartnäckig genug. Eine generelle Stressresistenz und Robustheit ist bei mir aber durchaus vorhanden, anders hätten wir die zahlreichen Extremsituationen als Team auch gar nicht bewältigen können.

SPOX: Bereuen Sie es, freiwillig Frankfurt verlassen zu haben?

Rosen: Ich bereue meine Entscheidungen heute nicht mehr, obwohl ich zum damaligen Zeitpunkt sicher auch einmal vermeintlich falsch gelegen bin. Heute weiß ich, dass das ganz wichtige Erfahrungen für meinen weiteren Werdegang waren. Ich habe Fehler gemacht, aber daraus gelernt. Das verschafft mir eine gewisse Authentizität, wenn ich heute mit den Jungs rede. Sie nehmen es wahr und verstehen vielleicht, welche Fehler sie selbst vermeiden sollten.

Hier geht's zu Teil II: Rosen über Vorbild Hoeneß und den neuen, alten Weg

SPOX: Sie waren zweieinhalb Jahre für das Nachwuchsleistungszentrum zuständig. Parallel ist seit 2006 Bernhard Peters als Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung in Hoffenheim tätig. Wie sah Ihre Arbeitsteilung aus?

Rosen: Meine Kernthemen im Nachwuchsbereich waren die konkrete Kaderplanung aller Jahrgänge, inklusive des Scoutings der regionalnahen Vereine und der Toptalente in ganz Deutschland. Mit der U 16, U 17, U 19 und U 23 unterstanden mir vier Mannschaften und insgesamt acht Jahrgänge, über die ich den Überblick behalten musste. Ein breites Feld, zu welchem der Eltern- und Berater-Kontakt, die Führung des Nachwuchsleitungszentrums und die Führung der Jugendtrainer gehören. In dem Bereich hatte ich viele Schnittstellen zu Bernhard Peters, wobei er vor allem in strategischen und perspektivischen Themen und im Ausbildungsbereich tätig ist.

SPOX: Ernst Tanner, der wie Sie vom Nachwuchs- zum Profi-Verantwortlichen ernannt wurde, sagte einst: "Hoffenheim hat mit die beste Nachwuchsarbeit der Welt." Können Sie das bestätigen? SPOX

Rosen: Ich kenne zwar das eine oder andere Nachwuchsleistungszentrum, allerdings fehlen mir global leider die Vergleichsmöglichkeiten. Dennoch bin ich voll überzeugt, dass wir eine Top-Nachwuchsarbeit betreiben. Die infrastrukturellen Voraussetzungen und unsere technische, taktische und schulische Ausbildung sind hervorragend.

SPOX: Mit der Rückbesinnung auf eigene Talente erinnert das Hoffenheim von 2013 wieder an das Hoffenheim von 2009.

Rosen: Natürlich entstammen Markus Gisdol und ich der Klub-Philosophie, die den Verein groß gemacht hat. Man muss bedenken, dass Markus mein Trainer in der U 23 war und wir ähnlich dachten wie Ralf Rangnick und Helmut Groß. Daher ist es nicht zufällig, dass Parallelen gezogen werden. Nur: Es geht nicht darum, etwas Vergangenes wieder aufwärmen zu wollen. Wir gehen unseren eigenen Weg und das Spiel an sich entwickelt sich immer weiter. Im Bereich Scouting haben wir strukturell und personell einiges verändert. Wir haben bereits gegen Ende der letzten Saison viele Spieler aus dem Nachwuchsbereich fest bei den Profis eingebaut. Wenn es uns auf Dauer gelingt, zumindest ein bis zwei Spieler pro Jahr im Seniorenbereich zu installieren, können wir sehr zufrieden sein.

SPOX: Eine weitere Parallele zu früher: Mit Anthony Modeste oder Tarik Elyounoussi verpflichteten Sie unbekannte Spieler aus dem Ausland, die sich sofort als Verstärkungen erwiesen.

Rosen: Wenn auf dem internationalen Markt jemand zu haben ist, von dem wir nach ausgiebigem Scouting überzeugt sind und dessen Ablöse nicht übertrieben hoch ist, schlagen wir zu. Unrealistische Summen mit "Hoffenheim-Aufschlag" wird es aber unter unser Führung nicht mehr geben.

SPOX: Welche Bedeutung kommt dabei Lutz Pfannenstiel, verantwortlich für internationales Scouting und internationale Beziehungen, zu?

Rosen: Lutz ist ein Teil unseres Scouting-Systems und spielt eine wichtige Rolle in der generellen internationalen Ausrichtung. Er kümmert sich einerseits um die Marktbeobachtung, war zuletzt für uns bei der U-17-WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Andererseits ist sein Profil viel weitreichender. Mit seinem unglaublichen Netzwerk arbeitet er daran, uns international zu positionieren und Beziehungen zu pflegen. Er ist ein hervorragender Botschafter unseres Klubs und setzt auch im Charity-Bereich tolle Dinge um. SPOX

SPOX: Die Neuausrichtung des Kaders führte dazu, dass zu viele Spieler unter Vertrag standen, weswegen Sie die berüchtigte Trainingsgruppe II für die Aussortierten einführten. Wegen der Degradierung war in den Medien gar von der Verletzung der Menschenwürde die Rede. Wie weh tat Ihnen die Berichterstattung?

Rosen: Wir konnten nicht damit rechnen, dass alle Hurra schreien, wenn sie unser Modell bewerten - aber vieles war auch rein populistisch. Unser Vorgehen war angesichts von mehr als 40 Vertragsspielern alternativlos. Wir haben für diese Spieler einen hohen Aufwand betrieben: Wir stellten das entsprechende Personal mit Fußball-Lehrer, Torwart-Trainer, Teammanager, Physiotherapeuten, das komplette Paket. Dieses Konstrukt entstand aus dem Gefühl der Verantwortung heraus.

SPOX: Sie bezeichnen Uli Hoeneß als Ihr Vorbild. Unter anderem, weil Sie bei aller Verbindlichkeit wissen, dass man gelegentlich als Arschloch auftreten muss?

Rosen: Ein richtiges Vorbild als Manager besitze ich nicht, aber wenn ich einen Namen nennen müsste, so wäre es Uli Hoeneß. Er hat es mit gutem und verantwortlichem Management geschafft, den FC Bayern zu einem der besten Klubs der Welt zu machen. Ein grandioses Lebenswerk.

SPOX: Welche Ziele verfolgt Hoffenheim mittelfristig? Sind die Zeiten vorbei, als man mit einer Anspielung auf die Europa League am Mannschaftsbus das Autokennzeichen "HD-EL 1899" anbrachte?

Rosen: EL kann auch für Erste Liga stehen. (lacht) Wir wollen uns einfach weiter über unseren Weg positionieren und damit auch wieder unsere Glaubwürdigkeit zurückerlangen. Drei Säulen bilden dabei die Grundlage. Erstens: Der Klub soll sich wieder über die Art und Weise, wie Fußball gespielt wird, definieren. Zweitens: Es sollen junge Spieler aus der eigenen Akademie eingebaut werden. Und eine gewisse Bescheidenheit im Auftreten ist die dritte Säule. Unser Eindruck ist, dass dieser Weg angenommen wird und die Leute ihn gerne mitgehen.

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