Tuchel und Mainz: Zurück zum Glück

Von Michael Stricz
Karneval ist vorbei: Thomas Tuchel will die schlechte Rückrunde mit Mainz 05 vergessen machen
© imago

Thomas Tuchel und Mainz 05 stehen vor einer schwierigen Saison. Der FSV lechzt nach einem Generationenwechsel in der Abwehr. Im Sturm ruhen die Hoffnungen auf einem Dauerverletzen und zwei Youngster könnten zu entscheidenden Puzzleteilen werden.

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Vor wenigen Tagen gaben die Mainzer einen echten Kracher auf ihrer Homepage bekannt: Am 20. Juli wird der englische Traditionsklub West Ham United im Rahmen seiner Deutschland-Tour in Mainz Halt machen.

Das Spiel wird interessanterweise nicht in der neuen Coface-Arena stattfinden, sondern im Stadion am Bruchweg - dort, wo die Mainzer Erfolgsstory einst ihren Lauf nahm. Es könnte ein Zeichen sein, dass man sich in der Karnevalshochburg wieder auf alte Tugenden besinnen will. Zurück zur abhanden gekommenen Leichtigkeit.

Torgarantie Szalai geht zu Schalke

Während sich die Mainzer also für die Vorbereitung einen (ehemaligen) Hochkaräter sichern konnten, gibt es an der Transferfront derzeit noch wenig Spektakuläres zu vermelden, zumindest was Neuzugänge angeht.

Spektakulär sind dafür die Abgänge, die Thomas Tuchels Mannschaft zu verkraften hat. Torjäger Adam Szalai wechselt zu Schalke 04, Andreas Ivanschitz sucht fortan sein Glück bei UD Levante und Jan Kirchhoff wurde diese Woche als neuer Innenverteidiger des FC Bayern vorgestellt.

Daneben packten im Sommer auch Fabian Schönheim (Union Berlin), Marco Caligiuri (Eintracht Braunschweig), Marcel Risse (1. FC Köln), Radoslav Zabavnik sowie der glücklose Ivan Klasnic (beide Ziel unbekannt) ihre Koffer. Der eine oder andere Abschied erschien manchem Außenstehenden etwas fragwürdig oder zumindest erstaunlich emotionslos.

Auf der Haben-Seite stehen bisher die bundesliga-erprobten Shinji Okazaki (VfB Stuttgart), Johannes Geis (SpVgg Greuther Fürth) und Christoph Moritz (FC Schalke 04). Der Dortmunder Julian Koch könnte ein Versprechen für die Zukunft sein. Dazu kehrt der ausgeliehene Malik Fatih (1860 München) nach Mainz zurück - der 29-Jährige wird jedoch aller Voraussicht nach keine große Rolle in Tuchels Planung spielen. Anthony Ujah wird sich wohl endgültig dem 1. FC Köln anschließen.

Risiko Choupo-Moting , Rookie Parker

Rein zahlenmäßig halten sich Zu- und Abgänge die Waage, qualitativ sieht es jedoch anders aus. Neu-Schalker Szalai zeichnete trotz Formkrise und Verletzungspech in der Rückrunde für 13 Mainzer-Treffer verantwortlich, weitere sieben Tore erzielte Ivanschitz, dazu kommen acht Torvorlagen der beiden. Bei mickrigen 42 Treffern (Platz 13) in der Saison 2012/13 ist das Duo damit an mehr als der Hälfte der Mainzer Tore beteiligt gewesen.

Mit dem Dauerverletzen Eric Maxim Choupo-Moting hat Mainz derzeit nur einen Stürmer von Bundesligaformat im Kader. Dessen Verletzungsanfälligkeit macht ihn jedoch als einzige Option zu einem latenten Risiko. Shawn Parker stand zwar in der Rückrunde sieben Mal in der Startaufstellung, konnte dauerhafte Torjägerqualitäten aber noch nicht nachweisen, ebenso wie Sebastian Polter, dem trotz ordentlicher Anlagen noch die Ruhe am Ball fehlt.

Geld für einen Hochkaräter im Sturm wäre vorhanden, der Verkauf von Szalai hat acht Millionen Euro in die Vereinskasse gespült. Dazu kommen kolportierte vier Millionen, die man aus dem Verkauf des Ex-Mainzers Andre Schürrle von Leverkusen an den FC Chelsea erhalten hat.

Heidel: Geld für Beine und Steine

Manager Christian Heidel kündigte bereits an, das Geld nicht ausschließlich in einen Ersatzmann für den Ungarn zu investieren: "Wenn man Millionen durch Beine einnimmt, darf man das Geld nicht ausschließlich in Beine investieren, sondern eben auch in Steine", so der Mainzer Erfolgsgarant.

So schmerzhaft der Abgang von Szalai für die Mainzer ist, siegte am Ende die wirtschaftliche Vernunft: "Wenn Mainz 05 einmal bei einer Summe von acht Millionen Euro für Adam Szalai nein sagen kann, dann hätten wir es in die Bundesligaspitze geschafft", sagte Heidel der "FAZ".

Der neue Stürmer muss also bezahlbar sein. Große Sprünge wird man im stets solide wirtschaftenden Mainzer Umfeld auch weiterhin nicht unternehmen und ist damit den Freiburgern, die sich vor der neuen Saison personell in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht unähnlich. Deren Neuzugang Mike Hanke hätte wohl auch gut in das Mainzer Anforderungsprofil gepasst.

Lasogga und Mölders als Idealtypus

Weitere gehandelte Sturmkandidaten sind der Augsburger Sascha Mölders, sowie der Berliner Pierre-Michel Lasogga. Beide sind bullige Stürmer, Lasogga hat dazu mit 21 Jahren noch ein enormes Entwicklungspotential.

Gerade Mölders könnte jedoch eine weitere Dimension in das Angriffsspiel der Mainzer bringen. In Augsburg zeigte sich vergangene Saison, dass er teilweise Bälle exzellent halten und weiterverteilen kann. Die Kombination mit dem schnellen Parker oder auch Niki Zimling wäre möglicherweise ein vielversprechender Ansatz für Tuchels Offensive. Auch seine Defensivdisziplin macht ihn zu einem logischen Zielobjekt der Mainzer Transferbemühungen. Mölders denkt jedoch derzeit nicht an einen Wechsel: "Augsburg ist meine Mannschaft, wir sind eine gute Truppe."

Aber nicht nur in der Offensive besteht Handlungsbedarf: Gerade in der Defensive muss Tuchel in den nächsten ein bis zwei Jahren einen Generationenwechsel schaffen. Die Stamm-Viererkette bildeten vergangene Saison Zabavnik (32), Bo Svensson (33), Nikolce Noveski (34) und Zdenek Pospech (34), die gemeinsam zwar jede Menge Routine besitzen, aber in ihrem Alter auch nicht mehr die Schnellsten sind.

Kirchhoff-Abgang schmerzt Tuchel

Da ist es umso bitterer, dass mit Kirchhoff eines von Deutschlands hoffnungsvollsten Abwehr-Talenten jetzt die Herausforderung in München sucht. Die Enttäuschung über dessen Abgang war Tuchel anzumerken.

Im defensiven Mittelfeld hat Tuchel künftig die Qual der Wahl. Mit Geis, Moritz und Koch sitzen gleich drei Neuzugänge den etablierten Julian Baumgartlinger und Elkin Soto im Nacken. Dem polyvalenten Zimling und Offensiv-Dauerbrenner Nicolai Müller könnte eine entscheidende Rolle zukommen. Beide können in Tuchels bevorzugtem 4-2-3-1 oder im 4-1-2-1-2, das er in der Vergangenheit meist auswärts spielen ließ, verschiedene Positionen spielen.

Quo vadis Mainz? Quo vadis Tuchel?

Choupo-Moting kämpft derzeit nach zwei Knieoperationen wieder einmal um sein Comeback. Bis zum Hinrundenstart wird die Zeit jedoch nicht reichen: "Ich bin froh, wieder bei den Jungs dabei zu sein", so der Kameruner. "Ich bin auf einem guten Weg, werde mich aber selbst nicht unter Druck setzen." Auch Tuchel zeigt sich erfreut von den Fortschritten Choupo-Motings und versichert: "Er kriegt seine Zeit."

Solange Tuchels Stürmer Nummer eins im Kraftraum und im Einzeltraining für sein Comeback schuftet, streiten sich vermutlich Parker und Polter um den Platz als einzige Spitze, respektive als Partner von Müller im Doppelsturm.

Insgesamt ist schwer einzuschätzen, welche Rolle Mainz 05 in der kommenden Bundesligasaison spielen wird. Viel wird davon abhängen, wie schnell sich Tuchels Neuzugänge auf die hohen taktischen Anforderungen des Trainers einstellen und diese verinnerlichen.

Die schwache Rückrunde (16 Punkte, Platz 15) spiegelte sicherlich nicht das wahre Leistungsvermögen der Mainzer wider und war zu großen Teilen dem extremen Verletzungspech geschuldet. Für einen einstelligen Tabellenplatz muss aber personell noch nachgerüstet werden. Eines steht fest: Der Weg zurück ins Glück wird steinig.

Der Kader von Mainz 05