Lucien Favre und das verflixte zweite Jahr

Von Benjamin Wahlen
Lucien Favre (M.) und seine ehemaligen Schützlinge Voronin, Pantelic, Dante und Reus (v.l.)
© getty

Bei seinen Stationen in Berlin und Gladbach hat Lucien Favre unter Beweis gestellt, dass er eine Mannschaft aus dem Mittelfeld der Bundesliga innerhalb kurzer Zeit in die oberen Tabellenregionen führen kann. Seine Begabung, Spieler zu verbessern, hat aber auch für ihn persönlich eine bittere Kehrseite. Nachdem er bereits in Berlin den schwerwiegenden Verlust von drei Schlüsselspielern zu beklagen hatte, musste er in Gladbach den Abgang von Reus, Dante und Neustädter verarbeiten.

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Borussia Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre besitzt eine Fähigkeit, die ihm im Laufe seiner Karriere schon mehrfach zum Verhängnis wurde. Wann immer er eine Mannschaft übernimmt, analysiert und studiert er akribisch jeden einzelnen Spieler, angefangen bei dessen Schusshaltung, den Laufwegen, bis hin zur Fußstellung bei der Annahme des Balls.

Seine Devise, wenn auch nicht in gleichem Maße beworben wie das Motto des damaligen Bayern-Trainers Jürgen Klinsmann: Die Spieler besser machen. "Viele wissen gar nicht, was noch alles in ihnen steckt", sagte Favre, nachdem er Mike Hanke erstmals in dessen Karriere hinter den Spitzen aufstellte.

So schiebt Favre neben den regulären Einheiten der Taktik- und Systemschulung täglich Sonderschichten, in denen er in stundenlanger Kleinstarbeit das Videomaterial eines einzelnen Spielers aufschlüsselt und Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet. Da so viel Fleiß gepaart mit Wissen nicht früchtelos bleibt, entwickeln sich die Spieler unter Favre oftmals rasant, geraten immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und wecken so Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen.

Bundesliga: Ein altbekanntes Schicksal

Nach mittlerweile fünf Jahren als Bundesligatrainer ist diese Problematik auch in Deutschland ein altbekanntes Schicksal für den 55-jährigen Schweizer. Bereits zum zweiten Mal musste er sich nach einer erfolgreichen Saison von absoluten Leistungsträgern trennen.

Als er Hertha BSC im Juni 2007 von Interimstrainer Karsten Heine übernahm, formte er innerhalb kürzester Zeit eine schlagkräftige Truppe, die schon ein Jahr später völlig überraschend mit Bayern und Wolfsburg um die Meisterschaft kämpfte.

Dass Berlin diesen Erfolg im Folgejahr nicht wiederholen konnte und stattdessen gegen den Abstieg kämpfen musste, ist auch auf den Verlust von drei Schlüsselspielern zurückzuführen. Zunächst schnappten ihm Vereine aus dem Ausland seine beiden Topscorer Andrej Voronin und Marko Pantelic weg, ehe die aufstrebende TSG aus Hoffenheim auch Abwehrchef Josip Simunic aus der Hauptstadt lockte.

Da die Transfererlöse aber nur teilweise in neue Spieler gesteckt wurden, standen Favre mit Adrian Ramos, Arthur Wichniarek und Christoph Janker nicht ansatzweise vergleichbare Nachfolger zur Verfügung. "In der neuen Saison müssen wir kleinere Brötchen backen", sagte Manager Dieter Hoeneß damals. Sechs Niederlagen später gingen Trainer und Verein getrennte Wege, die Hertha stieg am Ende der Saison sogar in die zweite Liga ab.

Das Dilemma am Niederrhein

Favres zweiter Anlauf in der Bundesliga begann im Februar 2011, als er bei Borussia Mönchengladbach Nachfolger von Michael Frontzeck wurde. Die Fohlen hatten zu dem Zeitpunkt sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz und galten als sicherer Absteiger.

Dass Favre die Borussia retten konnte und im darauffolgenden Jahr in die Qualifikation der Champions League führte, ist ebenso bekannt wie der erneute Verlust von drei Schlüsselspielern an die direkte Liga-Konkurrenz.

Dante, dem er beibrachte, ohne Ballbesitz fast auf den Zehen zu stehen, um im Bedarfsfall schneller antreten zu können, wechselte zum Rekordmeister Bayern München.

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Marco Reus beorderte Favre in den Sturm und brachte ihm bei, wie man an der Fußstellung des Gegners erkennt, an welcher Seite ihn man umspielen kann. Reus wurde Fußballer des Jahres und ging zum amtierenden Meister nach Dortmund.

Bei Roman Neustädter missfiel Favre die Armhaltung beim Sprint und die zu zaghaften Vorstöße in die Hälfte des Gegners. Der ehemalige Mainzer entschied sich für einen Wechsel zu Schalke und ist inzwischen Nationalspieler.

Favre fordert Verstärkungen

Favre sah sich erneut um die Früchte seiner Arbeit gebracht, prangerte zeitweise sogar öffentlich die Vereinsführung an und legte sämtliche Gespräche bezüglich einer Vertragsverlängerung auf Eis. "Aktuell sehe ich keinen Grund, meinen Vertrag frühzeitig zu verlängern. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit benötigt immer eine dementsprechende Persperktive", sagte Favre.

Anders als in Berlin hatte man in Gladbach aber keine Scheu, viel Geld bei der Nachfolgersuche in die Hand zu nehmen. Transfererlöse und zu erwartende Europapokal-Einnahmen wurden dem Trainer in voller Höhe zur Verfügung gestellt: Fast 40 Millionen Euro für seine Shopping-Tour besänftigten Favre und ließen ihn seinen Vertrag wenig später verlängern.

Favre machte keinen Hehl daraus, dass er den Verlust seiner drei Leistungsträger auch mit einer Summe dieser Höhe nicht eins zu eins ersetzen könne. "Wir werden unsere Mannschaft verstärken, nicht einen neuen Reus, Dante oder Neustädter verpflichten. Diese Spieler kann man nicht ersetzten", so Favre damals.

In der Folge präsentierte die Borussia insgesamt fünf Neuzugänge. Für die Offensive wurden Luuk de Jong, Peniel Mlapa und Branimir Hrgota verpflichtet, für die Position des linken Innenverteidigers holte man den jungen Alvaro Dominguez aus Spanien. Dazu kam Basel-Star Granit Xhaka, der, genau wie die zurückkehrenden Lukas Rupp und Elias Kachunga, das Mittelfeld verstärken sollte.

Holpriger Start und Champions-League-Rückschlag

Dem knappen Aus in der Champions-League-Qualifikation folgte ein durchwachsener Start in der Bundesliga und die ersten Auftritte in der Europa League. Schnell wurde auch im euphorischen Umfeld der Borussia klar, dass vor allem die drei millionenschweren Neuzugänge de Jong, Xhaka und Dominguez nicht auf Anhieb die erhofften Verstärkungen darstellten.

Verteidiger Alvaro Dominguez kam dabei noch am besten weg, weil er sich nach einigen Unsicherheiten in den ersten Spielen schnell stabilisierte und fortan ein solider Rückhalt seines Teams war.

Luuk de Jong konnte sich zu Beginn der Saison zwar in die Torschützenliste eintragen, sein Spiel wirkte aber behäbig und langsam. Zudem verletzte er sich am achten Spieltag schwer und fiel für Monate aus.

Noch holpriger verlief der Start für Granit Xhaka. Der Schweizer mit albanischen Wurzeln fand sich nach durchwachsenen Leistungen in der Anfangsphase der Saison auf der Bank wieder und verlor seinen Platz neben Havard Nordtveit an Thorben Marx.

Anders als in der Vorsaison, als Favre fast konstant auf die gleiche Anfangsformation setzen konnte, musste der Trainer nun immer wieder an der Aufstellung basteln. Er zog Herrmann von der rechten Seite in den Sturm und testete Rupp, Cigerci und Hrgota auf den Außenpositionen. In der Spitze kamen außer Herrmann de Jong, de Camargo, Mlapa, Hanke, Younes und am Ende der Saison Hrgota zum Einsatz.

Favres Wechselspiele und Gladbachs Inkonstanz

Die vielen Wechselspiele waren aber keinesfalls andauerndem Verletzungspech geschuldet, sondern vielmehr den inkonstanten Leistungen der Mannschaft. Gladbach hat es in der gesamten Saison nicht geschafft, zwei Spiele in Folge zu gewinnen.

Immerhin gab es bei allen Neuverpflichtungen echte Lichtblicke, die auf die kommende Saison hoffen lassen. Luuk de Jong harmonierte nach der Winterpause gut mit Patrick Herrmann in der Sturmspitze und konnte in dieser Zeit vier seiner sechs Tore erzielen. "Ich habe das Gefühl, dass ich dem Team immer näherkomme und dass das Team sich immer mehr an meine Art zu spielen gewöhnt", sagte der Stürmer.

Verteidiger Alvaro Dominguez spielte zwar selten überragend, blieb aber auf einem konstant guten Niveau. Sogar der vielgescholtene Granit Xhaka profitierte von Ausfällen im Mittelfeld und machte mit guten Leistungen Ende der Rückrunde auf sich aufmerksam. Youngster Branimir Hrgota erzielte gegen Mainz gar einen Dreierpack und macht sich berechtigte Hoffnungen, im nächsten Jahr einen der Stammplätze im Sturm ergattern zu können. "Ich muss jetzt hart arbeiten, um es in der nächsten Saison noch besser zu machen. Auf mich wartet noch jede Menge Arbeit", erkannte Hrgota, der zu den Players to watch für die WM 2014 gehört.

Jahr eins und zwei nach Reus, Dante und Neustädter

Da sich zuletzt auch Xhaka öffentlich zu Borussia Mönchengladbach bekannte, wird Lucien Favre mindestens eine weitere Saison Zeit haben, um de Jong, Xhaka und Co. weiter zu verbessern.

Für die kommende Spielzeit wurde mit Max Kruse bereits ein Hochkaräter verpflichtet, der Gladbach neue Varianten und Spielsysteme ermöglicht. Mit dem derzeit an Schalke verliehenen Raffael ist man sich ebenfalls einig. Er soll die Lücke zwischen Sturm und Mittelfeld schließen.

Wundertüten sind dagegen Armin Younes, Branimir Hrgota und vor allem Granit Xhaka. Bestätigt Xhaka seine Leistungen der letzten Spiele, wird er im Mittelfeld gesetzt sein. Younes und Hrgota hatten ebenfalls vielversprechende Ansätze, ließen allerdings die Konstanz vermissen. Beide sind potenzielle Kandidaten für den Platz hinter den Spitzen, um den sich wohl de Jong, Mlapa und ein noch ausstehender Neuzugang streiten werden. Da Kruse offensiv nahezu jede Position bekleiden kann, sind auch die Außenpositionen um Herrmann und Arango umkämpft.

Borussia Mönchengladbach hat das Jahr nach Dante, Reus und Neustädter auf dem achten Tabellenplatz beendet, konnte bis zuletzt sogar auf die internationalen Plätze schielen. Der Verein und vor allem Max Eberl haben in den vergangen Jahren ein Fundament geschaffen, das auch den Verlust von Leistungsträgern nicht unmittelbar in einem Horror-Szenario enden lässt. Ein Horror-Szenario, das Favre zuletzt in Berlin erlebte.

Borussia Mönchengladbach im Überblick