"Ich wünsche mir das Bayern-Gen für Schalke"

Von Interview: Haruka Gruber
Horst Heldt wechselte im Sommer 2010 von Stuttgart nach Schalke
© getty

Die Bayern als Vorbild an Entschlossenheit und Harmonie: Horst Heldt über die Saison der Extreme, Mentalitätsprobleme im Kader und das Transfer-Gebaren des BVB. Im Rahmen von "Sport und Talk aus dem Hangar 7" traf sich SPOX mit dem Schalke-Vorstand. Ein offen und selbstkritisches Interview vor dem Freitagsspiel bei Borussia Mönchengladbach (Fr., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER).

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SPOX: Ist 2012/13 die anstrengendste Saison, seit Sie als Manager tätig sind?

Horst Heldt: Es geht in die Richtung. Alleine schon wegen der Reisestrapazen, weil wir dieses Jahr extrem viel unterwegs waren. Es ist ein Jahr der sportlichen Höhen und Tiefen. Es ist sicherlich eine schwierige Saison.

SPOX: Fällt es Ihnen schwer, die Saison zu evaluieren?

Heldt: Zu diesem Zeitpunkt ist es ohnehin schwierig für ein Fazit. Aber dieses Jahr ist selbst ein Zwischenfazit nur schwer möglich, weil der Verlauf nicht greifbar ist. Es gab wunderschöne Spiele wie die beiden Siege gegen Dortmund, das waren zwei berauschende Tage. Ebenso wie das Weiterkommen in der Champions-League-Gruppenphase. Zugleich setzte es unnötige Niederlagen. Daher macht eine Evaluation dieser Saison erst am Ende Sinn. Wir haben alle Möglichkeiten, uns als Vierter für die Champions League zu qualifizieren.

SPOX: Die Bayern zogen bereits eine Lehre und zeigen sich vom Mentalitätswechsel durch die Verpflichtung des neuen Sportdirektors Matthias Sammer durchweg zufrieden. Sie selbst wünschen sich für Schalke ebenfalls ein neues "Bewusstsein". Fehlt Ihnen ein zweiter Mann an der Seite, der mit Sammer die Erfolgsbesessenheit teilt?

Heldt: Natürlich blickt man als Verantwortlicher auf die anderen Vereine und zieht Parallelen: Was machen die Konkurrenten gut? Was machen sie nicht so gut? In der Analyse wird klar erkennbar, dass der FC Bayern vieles gut macht. Dieses Bayern-Gen wurde offensichtlich wieder implantiert. Und diese Selbstverständlichkeit des Siegens wünscht man sich selbst für den eigenen Verein. Dass man selbstverständlich nach Frankfurt fährt und gewinnt. Dass man selbstverständlich nach Nürnberg fährt und gewinnt. Ohne den Gegnern respektlos gegenüberzutreten, würde ich mir noch mehr diese Grundüberzeugung von uns wünschen.

SPOX: Sie sind begeistert von den Bayern?

Heldt: Wie sie dieses Jahr auftreten, erinnert an den AC Milan Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Es ist durchweg überragend, was sie abliefern, nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Maßstab. Was mich beeindruckt ist nicht, dass sie so gut besetzt sind. Vielmehr ist es die Harmonie von vorne bis hinten. Es beteiligen sich Spieler an der Arbeit nach hinten, die so etwas noch nie gemacht haben. Jeder ist gierig, den Ball zu erobern und nicht nur offensiv zu glänzen. Hervorragend!

SPOX: Durch die Stärke der Bayern und des BVB wird vor einem drohenden Duopol in der Bundesliga gewarnt. Ist Schalke in der Pflicht als designierte dritte Kraft?

Heldt: Um die Duopol-Diskussion herrscht tatsächlich zu viel Hype. Wir würden gut daran tun, etwas von der Aufgeregtheit herauszunehmen. Bayern war, ist und wird immer dominant bleiben. Alle anderen Kandidaten dahinter sehe ich auf Augenhöhe. Natürlich hat Dortmund in den letzten beiden Jahren mit der Meisterschaft einiges aufgeholt und vieles richtig gemacht, wobei der Abstand zu uns und den anderen Vereinen nicht so groß ist, als dass wir das nicht aufholen könnten.

SPOX: Sie haben noch nicht entschieden, ob Jens Keller als Trainer weitermachen darf. Wären internationale Toptrainer eine Alternative? Durch den Aufschwung der Bundesliga dürfte Schalke eine interessante Option sein.

Heldt: Ganz grundsätzlich ist Deutschland eine sehr attraktive Liga für Topspieler wie Top-Trainer aus dem Ausland. Die Verpflichtung von Pep Guardiola war vor Jahren unvorstellbar. Viele spannende Trainer haben Interesse, in die Bundesliga zu kommen. Trotz alledem gelten für uns auf Schalke gewisse Kriterien: Wir sind zum Beispiel überzeugt, dass ein Trainer eines deutschen Fußballvereins die deutsche Sprache beherrschen muss. Sei es nur, um die Witze in der Kabine zu verstehen oder sich mit den Journalisten auszutauschen.

SPOX: Wie sehr veränderte Schalkes Verpflichtung von Raul die Wahrnehmung der Bundesliga? Ist Schalke ein Vorreiter?

Heldt: Raul ist eingeschlagen wie eine Bombe und hat europaweit für Furore gesorgt. Wir hatten mit ihm zwei tolle Jahre, um die uns einige andere beneiden. Aber das Wort "Vorreiter" ist etwas zu bedeutungsschwer. Wir haben eher eine Tür aufgemacht.

SPOX: Ein Vorreiter ist Schalke bei der Transferpolitik in dieser Saison. Um nicht wie Stuttgart oder Bremen in die Champions-League-Falle zu treten, verzichteten Sie auf überteuerte Transfers und verpflichteten mit Michel Bastos, Raffael und Ibrahim Afellay drei bekannte Namen auf Leihbasis. Ist das der Weg für deutsche Topklubs?

Heldt: Auf jeden Fall ist es ein Weg der Risikominimierung. Dieser Weg war nur möglich, weil Deutschland mittlerweile eine kleine Oase ist, in der es den Klubs wirtschaftlich gut geht. Wenn ich in Europa unterwegs bin und mit ausländischen Vereinen rede, merke ich schnell, dass es vielen finanziell nicht gut geht. Sie nehmen dann dankend ein Ausleih-Modell an, weil sie so zumindest eine Gebühr bekommen und Gehälter einsparen für Spieler, für die sie womöglich keine Verwendung hätten. Die Möglichkeiten für deutsche Klubs sind mittlerweile größer, das Risiko zu streuen.


SPOX: Was passiert jedoch, wenn ein potenter Rivale wie der BVB einen Spieler lockt? Haben Sie nach der Bekanntgabe des Götze-Transfers von Dortmund zu den Bayern um Julian Draxlers Verbleib gezittert?

Heldt: Nein, nie.

SPOX: Ehrlich?

Heldt: Ganz ehrlich. Julian ist Ur-Schalker und wir tauschen uns intensiv über die weitere Zukunft aus. Daher wusste ich, dass ein Wechsel nach Dortmund nie ein Thema werden würde.

SPOX: Sie wissen, dass Dortmunds Nachwuchskoordinator Lars Ricken bereits in der Jugend heftig um Draxler gebuhlt hat?

Heldt: Ich weiß, dass die Dortmunder seit geraumer Zeit sehr intensiv versuchen, Julian zu überzeugen. Obwohl sie wissen müssten, dass er von klein auf Schalker ist und die ganze Familie sich Blau und Weiß verschrieben hat. Ich kann nicht ausschließen, dass Julian irgendwann Schalke verlässt. Aber was ich sagen kann, ohne unverschämt zu sein: Julian wird nie 40 Kilometer östlich spielen.

Seite 2: Heldt über Max Meyer, den Nachwuchs und sich selbst