"Ich bin ein Überzeugungskünstler"

Von Interview: Jochen Tittmar
Bruno Hübner stand mit dem MSV Duisburg 2011 im DFB-Pokalfinale (0:5 gegen Schalke)
© Getty

Der Abstieg von Eintracht Frankfurt spülte Bruno Hübner im letzten Jahr auf den Posten des Sportdirektors bei den Hessen. Seitdem ist der 51-Jährige beinahe pausenlos damit beschäftigt, sich auf dem Transfermarkt umzusehen und nach neuen Spielern zu fahnden. Im Interview gibt Hübner zu, deshalb nicht immer das aktuelle Datum im Kopf zu haben. Zudem spricht er über seinen ehemaligen Job als Industriekaufmann, das Flughafenmanöver im Fall Vadim Demidov und erklärt, warum der Eintracht ein Vorgriff auf zukünftige TV-Gelder gut tun würde.

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SPOX: Herr Hübner, nicht nur in der aktuellen Transferphase steht Ihr Handy kaum still. Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass der Akku zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt den Geist aufgegeben hat?

Bruno Hübner: Sie können mir glauben, dass ich genau davor auch Angst habe (lacht). Es ist mir aber Gott sei Dank noch nie passiert. Ich schaue natürlich auch penibel darauf, dass mein Akku nie leer geht und hänge das Handy regelmäßig ans Ladegerät.

SPOX: Wie viel Stress bereitet Ihnen Ihre Rolle als Sportdirektor derzeit?

Hübner: Richtig viel, purer Stress im Grunde genommen. In der jetzigen Phase ist es eben so, dass man allem gerecht werden muss. Ein wichtiger Faktor ist natürlich das Einhalten des Budgetrahmens. Man muss dazu die Spieler, die man im Kopf hat, bei Laune halten und auch immer wieder mit dem Trainer sprechen und ihn beruhigen, dass schon alles wie gewünscht hinhauen wird. Das ist nicht immer einfach.

SPOX: Inwiefern lassen sich denn Spieler, die Interesse an einem Wechsel haben, über Wochen hinhalten?

Hübner: Da sind wir wieder beim Handy: Man telefoniert, bringt die Spieler auf den neuesten Stand und sagt ihnen, dass sie ruhig bleiben und sich keine Sorgen machen sollen. Es ist wichtig, sie davon zu überzeugen, dass es alles am Ende wie gewünscht funktionieren wird.

SPOX: Wie viele Stunden hängen Sie täglich am Handy?

Hübner: Fünf bis sechs Stunden sind es schon.

SPOX: Macht man sich da auch mal Gedanken um die eigene Gesundheit, gerade wenn man mit Martin Amedick einen Spieler in der Mannschaft hat, der aktuell mit Burnout-Syndrom ausfällt?

Hübner: Die Sache mit den Funkwellen bringt einen schon hin und wieder ins Grübeln, das muss ich ehrlich zugeben. Man hat natürlich auch ab und zu einen Durchhänger, wenn Dinge nicht so laufen, wie man sich das wünscht, aber davon lasse ich mich nicht für längere Zeit beeinflussen. Ich schaffe es, dann recht schnell wieder zum Tagesgeschäft über zu gehen.

SPOX: Abschalten ist aber etwas anderes.

Hübner: Ich gehe manchmal in die Sauna, da muss man das Handy ja auf lautlos stellen oder ausschalten. So kann ich ein wenig regenerieren. Aber es stimmt, von Abschalten kann keine Rede sein. Das ist in der jetzigen Phase einfach nicht möglich.

SPOX: Wie viele richtig freie Tage hatten Sie denn seit Ihrem Amtsantritt in Frankfurt?

Hübner: Auswendig weiß ich das nicht. Wenn ich zehn bis vierzehn Tage sage, dann untertreibe ich damit aber ganz sicher nicht (lacht).

SPOX: Sie haben ja auch schon mal zugegeben, im Arbeitseifer Ihren Hochzeitstag vergessen zu haben. Gesund klingt das nicht.

Hübner: Das ist einmal und nie wieder vorgekommen (lacht). Es kann eben im Übereifer passieren, dass ich das aktuelle Datum nicht immer im Kopf habe. Meine Frau verzeiht das aber, sie ist es nach all den Jahren auch gewöhnt und weiß trotzdem, was sie an mir hat.

SPOX: Mal scherzhaft gefragt: Wie schwer hat es denn Ihre Ehefrau, schließlich sind Sie und die drei Söhne allesamt eng mit dem Fußball verbunden?

Hübner: Sie hat es deshalb schon schwer mit uns vier Männern. Wir sind aber schon seit der Zeit zusammen, als ich selbst noch Profi war. Sie kennt es auf gewisse Art und Weise also auch nicht anders und kann mit Fußball auch relativ viel anfangen. Aber klar, wenn wir alle zusammen zu Hause sind, dann wird praktisch rund um die Uhr über Fußball geredet. Meine Frau begleitet dies aber sehr positiv und beteiligt sich ausführlich an unseren Diskussionen.

SPOX: Sie sprechen Ihre Spielerkarriere an. Nachdem diese beendet war, arbeiteten Sie 18 Jahre bei "Brita", einer Firma für Trinkwasserfilter und Hauptsponsors Ihres Heimatvereins SV Wehen-Wiesbaden. Ohne Fußball ging's aber auch da nicht.

Hübner: Ich war Spieler, Trainer, Manager und später ehrenamtlicher Vize-Präsident. 2004 hat mich Heinz Hankammer, der Mäzen des Vereins, angesprochen und wollte mit mir als Manager in die 2. Liga aufsteigen. Daraufhin bin ich bei "Brita" ausgeschieden. Drei Jahre später waren wir dann in Liga zwei.

SPOX: Wie sah Ihre Arbeit in der Firma denn genau aus?

Hübner: Damals war das Unternehmen noch in den Anfängen, heute ist es ein Weltunternehmen. Ich habe erst eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert und mich danach ständig weitergebildet. Nach meiner Ausbildung hat man eine neue Abteilung gegründet, die ich hauptverantwortlich mit aufgebaut und geleitet habe. Am Anfang nur deutschlandweit, später dann in Mitteleuropa. Das war für mich eine tolle Zeit, an die ich bis heute gerne zurückdenke.

SPOX: Hat sie Sie auch gewisser Maßen menschlich geprägt?

Hübner: Sehr sogar. Ich war mit vielfältigen Menschen aus vielfältigen Berufssparten zusammen. Da lernt man automatisch dazu und schaut sich hier und da Dinge ab, von denen man hofft, dass sie einen weiterbringen. Letztlich ging es ja dort um ein Produkt, wie es der Fußball auch ist. Man hat eine hohe Kundenbindung, ist ständig mit anderen Firmen der Branche im Austausch und baut sich ein Vertrauensverhältnis auf.

SPOX: Vermissen Sie in der ständigen Hektik des Profifußballs diesen Job manchmal ein wenig?

Hübner: Das kann ich nicht behaupten. Natürlich war es sehr hilfreich, die Erfahrungswerte aus der freien Marktwirtschaft im Fußball einbringen zu können. Doch der Job lief ja parallel zum Fußball, der, seit ich fünf bin, ein fester Bestandteil meines Lebens ist.

SPOX: Sie sind in der Folge Manager beziehungsweise Sportdirektor geblieben und waren auch beim MSV Duisburg. Was ist nun bei der Eintracht anders?

Hübner: Frankfurt ist schon eine ganz andere Hausnummer, hier ist alles größer und auch intensiver. Die Verantwortung für Erfolge, Menschenführung und Budget ist größer. Man muss hier zusätzlich alle Gremien mit auf den Weg nehmen und einige Vorträge im Aufsichts- oder Verwaltungsrat halten.

SPOX: Nicht anders war dagegen der Aufschrei von Trainer Armin Veh, der wie im Vorjahr Neuzugänge für Defensive und Sturm forderte. Kam das für Sie unvorbereitet?

Hübner: Nein. Ich stehe ja in tagtäglichem Austausch mit dem Trainer. Es ist normal, dass wir nach dem Aufstieg nun andere Ansprüche an die Qualität der Spieler haben. Da gibt es welche, die an ihre Grenzen stoßen. Es ist unsere Aufgabe, ihnen das anhand von Leistungsdaten zu erklären und gleichzeitig zu versuchen, dass wir alle Positionen doppelt besetzen.

SPOX: Mit einem Vorgriff aufs TV-Geld der kommenden Jahre, wie Sie kurz nach dem Aufstieg vorgeschlagen haben?

Hübner: Grundsätzlich sind wir hier in Frankfurt schon gut aufgestellt. Ich bin ein Freund davon, dass man sich vorzeitig auf ein Budget festlegt. So weiß man frühzeitig, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Wenn man nach und nach aufstockt, reagiert man nur nach Bedarf. Das Budget wurde ja letztlich auch sinnvoll korrigiert, so dass alle damit leben konnten.

SPOX: Wieso der Vorschlag eines riskanten Vorgriffs?

Hübner: Ich habe das zu diesem Zeitpunkt deshalb geäußert, weil wir gerade aufgestiegen sind, einen erneuten Umbruch vornehmen mussten und es im ersten Jahr sehr wichtig ist, eine bestmögliche Mannschaft zusammen zu stellen, damit das Ziel Klassenerhalt auch sicher erreicht wird. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, zukünftig an höhere TV-Gelder zu kommen, und man kann anstreben, wieder ein fester Bestandteil der Bundesliga zu werden.

SPOX: Den Verein hat Ihr Vorschlag aber nicht von der ersten Sekunde an überzeugt.

Hübner: Das kann ich ja auch verstehen. Zumal der Verein in der Zeit vor der Ära von Heribert Bruchhagen beinahe pleite war. Dass man dann ein wenig vorsichtiger agiert und die Finanzen genauso im Auge behält wie den sportlichen Erfolg, ist vollkommen richtig.

SPOX: Dennoch: Einen solchen Vorschlag überhaupt zu äußern, hätte es in der Zeit, als Heribert Bruchhagen alleinverantwortlich regierte, wohl nicht gegeben.

Hübner: Die neue sportliche Leitung mit Armin Veh und mir hat natürlich schon eine bestimmte Akzeptanz innerhalb des Vereins, daher nimmt man unsere Wünsche und Vorschläge auch ernst. Es gab deshalb keinen Streit und es war auch niemand beleidigt, sondern man diskutiert sinnvoll miteinander und verschließt sich auch nicht vor Veränderungen. Grundsätzlich gilt: Wenn etwas machbar ist und man davon überzeugt ist, dann strebt man auch die Umsetzung an.

SPOX: Andererseits: Vereine wie Hertha BSC oder der 1. Köln sind in der Vergangenheit ebenfalls offensiv in der Finanzpolitik gefahren, dabei aber sportlich abgestürzt. Welche Rolle spielten diese Beispiele in Ihren Überlegungen?

Hübner: Keine. Bei diesen Vereinen ist man zu stark ins Risiko gegangen. Wir aber haben nie ernsthaft darüber nachgedacht, ein Darlehen aufzunehmen. Wir haben das Budget mit Hilfe unseres Eigenkapitals ein wenig nach oben korrigiert. Das ist ein absolut überschaubares Risiko, zumal alle Beteiligten auch den Bedarf gesehen haben, noch einmal zusätzlich zu investieren.

SPOX: Letztlich haben Sie es bislang immer geschafft, die Wünsche des Trainers zu erfüllen und dabei auch das Budget einzuhalten.

Hübner: Ich bin eben ein Überzeugungskünstler (lacht). Ich bin ja ein Stück weit vom Vertrieb geprägt, da muss man die Leute auch vom Produkt überzeugen. Ich denke, dass ich es ganz ordentlich hinkriege, das Produkt Eintracht Frankfurt bei den Spielern gut zu verkaufen und eine individuelle Perspektive aufzuzeigen. Wenn ich etwas mache, dann stehe ich voll dahinter und kann die Leute auch begeistern.

SPOX: Wie hinderlich ist es dennoch in Verhandlungen oder Sondierungsgesprächen, dass am Ende für Sie immer die Nullrechnung aufgehen muss?

Hübner: Das liegt bei uns derzeit am zweimaligen Umbruch, der nach einem Ab- und Aufstieg eben auch stattfinden muss. Wir haben es meiner Ansicht nach hinbekommen, eine junge Mannschaft mit Perspektive zusammen zu stellen. Daher glaube ich, dass wir in Zukunft nur punktuell verstärken müssen. Dann lassen sich die Gelder auch gezielt in drei, vier Positionen investieren und nicht wie zuletzt in neun oder zehn. Ferner wollen wir verstärkt unsere eigenen Talente fördern.

SPOX: Den Überzeugungskünstler haben Sie auch beim neuen Verteidiger Vadim Demidov ausgepackt, den Sie am Frankfurter Flughafen vom Wechsel zur Eintracht überzeugt haben. Erklären Sie doch bitte einmal, wie dieser Transfer zustande kam?

Hübner: Demidov stand auf unserer Prioritätenliste, die die sportliche Leitung zusammen mit der Scoutingabteilung und unseren Analysten ausgearbeitet hat. Als wir anfangs über ihn nachgedacht haben, war die Ablöseforderung von Real Sociedad aber noch zu hoch. Ich habe mit seinem Berater vereinbart, dass wir in Kontakt bleiben und er mich informiert, wenn es Veränderungen geben sollte. Das ist dann geschehen und es hieß, dass Real Sociedad von seinen hohen Vorstellungen herunter gekommen ist, es sich nun um die Summe X handelt und der Spieler nach England wechseln wird.

SPOX: Bis Sie sich dann ins Auto gesetzt haben und zum Flughafen gedüst sind.

Hübner: Genau. Ich habe mich mit dem Berater getroffen und ihn davon überzeugen können, dass er sich am nächsten Tag zusammen mit dem Spieler unser Stadion und das Umfeld anschaut. Im Zuge dessen hat er gesagt, dass der Spieler zwar doch noch nach England fliegen wird, aber nur, um dort abzusagen.

SPOX: Demidov stand kurz vor einem Wechsel zu den Wolverhampton Wanderers. Hat sich nach seiner Absage jemand von den Wolves bei Ihnen gemeldet und beschwert?

Hübner: Nein, er hat dort ja mit Anstand abgesagt und genau erklärt, dass ihn die sportliche Perspektive in der Bundesliga mehr reizt. Klar, sie waren mit ihm schon relativ weit, aber für Wolverhampton waren seine Argumente auch nachvollziehbar.

SPOX: Apropos England: Als Sie im Winter das Leihgeschäft mit Mohammed Abu klar machten, wurde Ihnen von Manchester City eine längerfristige Kooperation in Aussicht gestellt. Was ist denn daraus geworden?

Hübner: Wir stehen immer noch im Austausch und werden jetzt durch den Aufstieg auch besser von ihnen wahrgenommen. In der 2. Liga kamen ja wenn überhaupt nur Citys Perspektivspieler für uns in Frage. Die waren zwar gut, haben uns unter dem Druck des sofortigen Wiederaufstiegs im ersten Moment aber nicht weiter helfen können. Ich denke jedoch, dass da in der Zukunft noch das eine oder andere Geschäft folgen könnte. Durch den Aufstieg sind auch andere Möglichkeiten gegeben.

Bruno Hübner im Steckbrief

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