Angst vor dem Stillstand der ewigen Uhr

Von Adrian Bohrdt
Dem Hamburger SV droht möglicherweise der erste Bundesliga-Abstieg
© Getty

Während dem Hamburger SV ein Abstiegsfinale in Augsburg droht, versucht sich der 1. FC Köln vor dem Derby gegen Borussia Mönchengladbach wieder zu ordnen. Die Hertha plagen Abwehrsorgen und in Kaiserslautern resigniert man zunehmend. SPOX nimmt die fünf Krisenklubs der Bundesliga unter die Lupe.

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Hamburger SV (Platz 14, 31 Punkte, 33:55 Tore)

Brennpunkt: Ein Sieg aus den letzten neun Spielen (1:0 beim abgeschlagenen Schlusslicht Kaiserslautern) bei insgesamt 7:21 Toren - die jüngste HSV-Bilanz liest sich wie die eines Absteigers. Lange Zeit lobten Trainer Thorsten Fink und Sportchef Frank Arnesen auch nach Niederlagen die Leistungen ihrer Mannschaft, womit sie in der Öffentlichkeit oft auf Unverständnis stießen.

Nach dem 0:4 in Hoffenheim fanden beide härtere Worte, sprachen davon, "überhaupt nicht dagegen gehalten" zu haben (Fink) oder dass man "einfach schlecht" gewesen sei (Arnesen). Die schwachen Leistungen, die den HSV in den Abstiegskampf gebracht haben, sind also auch für die Verantwortlichen nicht mehr zu leugnen.

Fink, der im Schnitt nur 1,14 Punkte pro Spiel holte, sitzt dabei fest im Sattel. Er muss jetzt aber die mentale Blockade seiner Mannschaft lösen, die zuletzt nach Rückständen häufig komplett auseinander fiel.

Stimmen: Nach der desaströsen 0:4- Niederlage in Hoffenheim war die Stimmung in der Mannschaft entsprechend gedrückt: "Das war eine Katastrophe. In unserer Situation geht das gar nicht", analysierte Kapitän Heiko Westermann. Thorsten Fink fand dazu ungewohnt deutliche Worte: "Heute hätte es zur Sache gehen müssen. Aber einige Leute haben das nicht kapiert. Eigentlich haben das alle nicht kapiert."

Arnesen versuchte, möglichst schnell den Blick wieder nach vorne zu richten: "Am besten wir vergessen das ganz schnell." Schließlich stehe ja gegen Hannover bereits das "nächste Endspiel" vor der Tür. Doch von außen hagelt derweil Kritik. So zweifelt etwa Horst Hrubesch an seinem Ex-Verein: "So hoch, wie oft behauptet wird, kann die Qualität des Kaders nicht sein."

Unabhängig von der Qualität der Mannschaft hat Fink eine ganz andere Prognose zum Abstiegskampf: "Die Teams mit den besten Nerven werden sich retten."

Darauf liegt der Fokus im Endspurt: Die Heimspiele gewinnen. Lediglich zwei Heimsiege konnte der HSV in der laufenden Saison feiern - Minusrekord in der Liga! Der letzte Heimsieg datiert vom 4. Dezember 2011, ein 2:0 gegen Nürnberg.

In den letzten vier Spielen wird es daher für die Hamburger essentiell sein, die beiden Heimspiele gegen Hannover und Mainz (Platz 14 und 13 in der Auswärtstabelle) zu gewinnen. Sonst droht spätestens am letzten Spieltag bei den erstarkten Augsburgern ein echtes Endspiel.

Restprogramm: Hannover (H), Nürnberg (A), Mainz (H), Augsburg (A)

FC Augsburg (Platz 15, 30 Punkte, 32:47 Tore)

Brennpunkt: Zuletzt gab es zwei Rückschläge (1:2 in München, 1:3 gegen Stuttgart), davor präsentierte sich Augsburg aber überraschend stabil und fuhr wichtige Punkte ein (12 Punkte in den sechs Spielen zuvor). Dazu gab es beachtliche Unentschieden gegen Dortmund (0:0) und in Hannover (2:2).

Von den jüngsten Niederlagen lässt man sich in Augsburg jedoch nicht verrückt machen. Die Mannschaft wirkt mental und kämpferisch stark und hat sich läuferisch zuletzt verbessert: Während man in den ersten 22 Saisonspielen nur fünf Mal mehr Kilometer lief als der Gegner, standen bei der zwischenzeitlichen Serie vor der Partie in München in vier von sechs Spielen mehr absolvierte Kilometer zu Buche. Auch die Sprintanzahl pro Spiel in diesem Zeitraum (153,7) war deutlich höher als in den 22 Spielen zuvor (143,5).

In Wolfsburg treffen die auswärtsschwachen Augsburger (nur 9 Punkte auf fremdem Platz, Letzter in der Auswärtstabelle) auf die heimstarken Wölfe, die noch um die Europa-League-Plätze kämpfen. Verzichten müssen die Augsburger dabei weiterhin auf Stürmer Torsten Oehrl, der mit Oberschenkelproblemen ausfällt.

Stimmen: In Augsburg weiß man die derzeitige Lage einzuschätzen:"Die Situation ist brenzlig. Aber wir haben es uns erarbeitet, dass wir noch um den Klassenerhalt kämpfen", sieht Torhüter Simon Jentzsch seinen FCA derzeit durchaus noch im Soll. Sein Trainer Jos Luhukay wagt sogar den optimistischen Blick in die Zukunft: "Wir möchten den direkten Klassenerhalt erreichen. Ich glaube, dass das auch eintreten wird."

Derweil hatte Manager Andreas Rettig eine ganz pragmatische Sicht auf die Niederlage gegen Stuttgart unter der Woche: "Unsere Ausgangsposition hat sich verbessert nach dem Spiel, trotz der Niederlage, weil wir den Abstand auf Hertha und Köln gehalten haben und es ein Spiel weniger wird."

Darauf liegt der Fokus im Endspurt: Die Niederlage gegen Stuttgart war die erste Heimpleite seit dem 6. November 2011 (1:2 gegen Bayern). Mit Wolfsburg und Gladbach stehen schwere Auswärtsaufgaben an, gewinnt Augsburg aber seine Heimspiele gegen Schalke und den Mitkonkurrenten aus Hamburg, winkt der Klassenerhalt.

Eine tragende Rolle dürfte dabei dem aus Wolfsburg ausgeliehenen Ja Cheol Koo zukommen. Dem Südkoreaner gelangen in den letzten neun Spielen sechs Scorerpunkte (vier Tore, zwei Assists), mit ihm in der Startelf hat Augsburg jetzt schon so viele Siege eingefahren wie in der kompletten Hinrunde.

Restprogramm: Wolfsburg (A), Schalke (H), Gladbach (A), Hamburg (H)

1. FC Köln (Platz 16, 29 Punkte, 36:63 Tore)

Brennpunkt: Nach dem 0:4 in Mainz, der siebten Niederlage in den letzten zehn Spielen, war es dann doch soweit: Trainer Stale Solbakken musste seinen Hut nehmen. Ein teurer Spaß für den FC, denn wie der "Express" berichtet, steht dem Norweger bei einem Rauswurf vor dem 30. Juni 2012 das komplette Gehalt für die Saison 2012/2013 zu.

Jetzt ist Frank Schaefer, der gemeinsam mit Dirk Lottner übernimmt, der große Hoffnungsträger, der die Kölner trotz des schweren Restprogramms noch retten soll. Solbakken, der im Schnitt 0,97 Punkte pro Spiel holte, rechnete in norwegischen Medien bereits mit seinem Ex-Verein ab: "Es gab einen Tag, da wollte ich nicht mehr aufstehen." Demnach war "alles tausendmal schlimmer, als man es über die Medien mitbekam."

Neben den chaotischen Zuständen im Verein spielt Köln sportlich eine schwache Saison. 63 Gegentore bedeuten den Höchstwert der Liga, aus den letzten fünf Spielen holte man nur einen Punkt bei 4:17 Toren. Ausgerechnet jetzt kommt die Reise zum Derby nach Gladbach, in dem der Erzrivale Köln noch tiefer in den Abstiegskampf schießen könnte.

Stimmen: Die Entlassung von Stale Solbakken war das große Thema am Geißbockheim unter der Woche: "Unser Team braucht jetzt erkennbar neue Impulse für den Abstiegskampf", rechtfertigte der Verwaltungsratsvorsitzender Dr. Werner Wolf die Entlassung des Norwegers.

Lukas Podolski richtet derweil seinen Blick aufs Sportliche und bleibt optimistisch: "Wir als Mannschaft sind stark genug, um da unten rauszukommen. Es geht jetzt darum, in der Liga zu bleiben. Es ist viel passiert, aber es geht um viel mehr: Der FC muss erstklassig bleiben."

Weniger zuversichtlich waren seine Mitspieler nach dem 0:4 in Mainz: "Wir sind die Schießbude der Liga. Das ist wirklich deprimierend", klagte etwa Torwart Michael Rensing nach den Gegentoren 60 bis 63. Sascha Riether sieht ein Kopfproblem: "Wir sind unten drin und haben einen richtigen Negativlauf. Ich glaube aber nicht, dass das eine Frage der Qualität ist. Es ist eher ein mentales Problem."

Darauf liegt der Fokus im Endspurt: Zunächst mal muss in Köln wieder Ruhe einkehren. Schaefer, der die Mannschaft größtenteils noch aus der Vorsaison kennt, muss es schnellstmöglich schaffen, die Spieler auf die kommenden Aufgaben zu fokussieren.

Taktisch wird das Hauptaugenmerk auf der Defensive liegen müssen - derzeit kassiert der FC pro Spiel 2,1 Gegentore. Vorbild könnte hierzu ausgerechnet Mönchengladbach sein: Die Borussia kassierte, als Lucien Favre sie letztes Jahr übernahm, zuvor sogar 2,5 Tore pro Spiel. Unter dem Schweizer waren es gerade einmal 0,75.

Das Kölner Restprogramm ist das schwerste der Abstiegskandidaten. Mit einer sichereren Abwehr sollte aber zumindest der Relegationsplatz drin sein, eventuell könnte sogar der HSV oder Augsburg noch überholt und somit der Klassenerhalt gesichert werden.

Restprogramm: Gladbach (A), Stuttgart (H), Freiburg (A), Bayern (H)

Seite 2: Hertha BSC und der 1. FC Kaiserslautern

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