Einmal Identität zum Mitnehmen, bitte

Von Florian Bogner
Patrick Ochs (l.) und Co. haben in dieser Saison sechs von neun Pflichtspielen verloren
© Getty

Der VfL Wolfsburg sucht unter Felix Magath weiter nach einer eigenen Identität und schlingert im Mittelmaß der Bundesliga umher. Der Trainer experimentiert viel und hält vor allem den Druck aufrecht. Dabei hätte er grobe spielerische Mängel zu beheben.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Felix Magath lässt aus seiner Sicht wohl nichts unversucht, den Schlingerkurs des VfL Wolfsburg in den Griff zu bekommen. Wer sich ein Training unter Magath als humorlose Abfolge von Medizinballübungen und Hetzjagden den "Hügel der Leiden" hinauf vorstellt, hat sich jedenfalls geschnitten.

Der gemeinhin als Schleifer bekannte 58-Jährige setzt in seinen Einheiten durchaus auf Abwechslung. So durfte sein Team vor kurzem mit Speerwurf-Weltmeister Matthias de Zordo trainieren, dazu schrieb der Coach ein visuelles Training mit einem Augenspezialisten auf den Trainingsplan.

Magath ließ sogar einen Laktat-Test zur besseren Einschätzung der Fitnesswerte absolvieren, obwohl er das einst als Zeitverschwendung abgetan hatte. Um den Zusammenhalt zu fördern, durfte Magaths Mannschaft auch auf einem Wolfsburger Oktoberfest schunkeln - dummerweise direkt am Tag nach der 1:3-Niederlage bei 1899 Hoffenheim.

Vor dem Spiel gegen Kaiserslautern (1:0) war indes Stille angesagt: Magath schickte sein Team zur Vorbereitung in ein Zisterzienser-Kloster.

"Können nur schwer kontinuierlich arbeiten"

Allein: Der Ertrag aller magath'schen Maßnahmen ist vergleichsweise ernüchternd. Der VfL findet sich mit nur neun Punkten nach acht Spielen auf Platz 13 der Tabelle und damit meilenweit vom erklärten Ziel, dem internationalen Geschäft, entfernt.

Während sich andere Trainer in einem solchen Fall vor die Mannschaft stellen, fährt Magath seit Saisonbeginn eine andere Schiene - die der Spielerschelte. "Auf Grund von Hinausstellungen, die wir zuletzt hatten, können wir nur schwerlich kontinuierlich arbeiten", zog Magath gegenüber der "Wolfsburger Allgemeinen Zeitung" am Dienstag ein doch sehr oberflächliches Zwischenfazit.

Magath selbst hat es nämlich nach neun Pflichtspielen noch nicht geschafft, der Mannschaft ein klares Gerüst oder eine Identität zu verpassen. Verletzungen und Sperren sind die eine Seite der Medaille, auf der anderen Seite spricht Magath jedoch auch kaum einem Spieler sein Vertrauen aus und suggeriert mit seinen Methoden und Äußerungen jedem einzelnen: Spielst Du schwach, fliegst Du raus.

Fünf verschiedene Innenverteidigerpärchen

Alleine in der Innenverteidigung bot Magath bereits vier verschiedene Pärchen auf, am 9. Spieltag wird gegen Nürnberg aufgrund der Sperren von Marco Russ (5. Gelbe) und Sotirios Kyrgiakos (Rot) ein fünftes hinzu kommen. Ähnlich sieht die Situation auf den offensiven Außen und im Sturm aus. Kontinuität? Fehlanzeige.

"Wir müssen fast immer variieren, deshalb sind wir noch nicht so stabil, dass wir gegen Mannschaften wie Leverkusen bestehen können", lautete Magaths Begründung für das 1:3 bei Bayer am vergangenen Wochenende, mit dem der VfL noch gut bedient war.

In den letzten Wochen lernte die Mannschaft öfter als ihr lieb war die dunkle Seite des Trainers kennen. Geldstrafen für taktische und läuferische Defizite (Helmes, Mandzukic), Strafversetzungen in die zweite Mannschaft (Friedrich, Kahlenberg) sowie mediale Abstrafungen (Benaglio, Kjaer) gehören dabei ebenso zu Magaths Repertoire wie das schlichte Ignorieren eines aus seiner Sicht schwach spielenden Spielers.

Schwache Offensive, schwaches Passspiel

Die Defizite der Wolfsburger lassen sich derweil leicht anhand von Statistiken ablesen. Neun Tore erzielte der VfL bislang erst - nur Augsburg (6) und Kaiserslautern (5) gelangen weniger. Die Wölfe schossen auch nur 85-mal aufs Tor, was lediglich von Köln (65) und Hamburg (82) unterboten wird.

Das Offensivspiel des VfL wirkt oft zu einfallslos, die Stürmer hängen in der Luft, das Mittelfeld rückt nicht konsequent genug nach. Meistens helfen dann nur harmlose Flanken aus dem Halbfeld.

Geradezu alarmierend ist die schwache Passquote von 74 Prozent angekommener Bälle - nur Mainz (72 Prozent) passt ungenauer. Wenn man dabei noch berücksichtigt, dass Wolfsburg nach Augsburg am wenigsten Pässe pro Partie spielt, bekommt man einen Eindruck davon, woran das risikoreiche VfL-Spiel krankt.

Neben der fehlenden Kompaktheit bei Auswärtsspielen (13 Gegentore auswärts) sind vor allem die geringen Ballbesitzzeiten die Schwachstelle des VfL. Ohne Spielgestalter im Mittelfeld werden die Bälle zu oft direkt auf die Außen oder die Sturmspitzen gespielt, die Bälle kommen aber entweder nicht an, oder sind nach nur einem Kontakt schon wieder weg.

Träsch überfordert

Diesen Missstand prangerte Christian Träsch, als spielender Sechser in der Offensive gefragt, bereits vor der letzten Partie an. "Wir haben eine hohe Fehlpass-Quote, vielleicht trauen wir uns nicht genug zu", sagte der Nationalspieler und sandte einen Hilferuf aus.

"Es ist schwierig, in einer neuen Mannschaft gleich das Spiel an mich zu reißen", meinte der VfL-Kapitän und hoffte auf eine baldige Integration eines Spielmachers: "Wenn Hleb fit ist, dann ist einer da, dem man den Ball geben kann. Dann weiß jeder genau, was seine Aufgabe ist. Dann wird's leichter für uns."

Weil Aliaksandr Hleb aber am Dienstag nach seiner Meniskus-OP erneut einen Rückschlag erlitt und nun an einer Leistenverletzung laboriert, wird Träsch so bald wohl keine Hilfe bekommen. In den bisherigen Partien rannte der VfL dem Ball jedenfalls nach Fehlpässen meist hinterher, hatte in noch keinem Spiel ein Plus an Ballbesitz.

Magath kritisiert Laufleistung

Gegen Leverkusen wurde mit 47,8 Prozent der bisherige Höchstwert an Ballbesitz verbucht - dafür liefen die Spieler plötzlich weniger, fast 710 Meter pro Akteur. "Wir hatten schon oft Spieler, die über zwölf Kilometer gelaufen sind. Diesmal hatten wir keinen Spieler, der über elf Kilometer gekommen ist. Das kann ich mir nicht erklären und kann es auch nicht nachvollziehen", meinte Magath.

Die Spieler bekamen die Konsequenzen sofort wieder im Training zu spüren. Nach einem Aufwärmspielchen ließ Magath am Dienstagvormittag die Bälle verschwinden und holte dafür die Peitsche raus: der Rest der Einheit bestand aus Steigerungsläufen und Sprints.

Am Nachmittag wurde es auch nicht besser: Waldlauf. "Wir haben in Länderspielpausen immer einen Reiz im konditionellen Bereich gesetzt. Das machen wir jetzt auch", gab Magath als Erklärung an. Fraglich allerdings, ob damit die spielerischen Mängel bis zum nächsten Spiel in Nürnberg behoben werden können.

"Situation wird sich verbessern"

Grundsätzlich hätte sich Magath seine Rückkehr zum VfL wohl nicht so dissonant vorgestellt, wie sie sich nun darstellt. Kritik an seiner Einkaufspolitik und der Spielweise war in Wolfsburg jedenfalls nie lauter hörbar als jetzt - auch wenn "VW" Magath weiter den Rücken freihält.

Dem Trainer selbst bleibt nichts anderes übrig, als sich in Durchhalteparolen zu retten. "Die Situation im Kader wird sich verbessern", sagte er am Dienstag, fast schon um weitere Geduld bittend.

"Wir werden nach der Pause (gemeint ist die Länderspielpause, Anm. d. Red.) hoffentlich mit Chris, Hasan Salihamidzic und Thomas Hitzlsperger wieder mehr Spieler zur Verfügung haben. Das sollte die Qualität unseres Kaders anheben." Mit Betonung auf "sollte" - weil niemand die Tauglichkeit der drei genannten Spieler abschätzen kann.

Einen kleinen Trost gibt den VfL-Fans höchstens noch der Blick zurück: In der Meistersaison 2008/2009 hatte Wolfsburg nach acht Runden ebenfalls nur drei Siege vorzuweisen - allerdings auch nur eine Niederlage und damit vier Punkte mehr als aktuell.

Parallelen lassen sich so eher zu Magaths erster Saison beim VfL 2007/2008 ziehen. Damals hatte man nach acht Spieltagen genau wie jetzt neun Punkte auf dem Konto - am Ende sprang immerhin Rang fünf heraus.

Der Kader des VfL Wolfsburg 2011/12

Artikel und Videos zum Thema