Die Demut der Hahnenkämpfer

Von Haruka Gruber
Hoffenheim stieg 2008 in die Bundesliga auf. Vergangene Saison wurde das Team Tabellenelfter
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: 1899 Hoffenheim.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Fehlende Weitsicht lässt sich Hoffenheim nicht vorwerfen. Sami Khedira, Thomas Müller, Holger Badstuber, Serdar Tasci, Benedikt Höwedes, Neven Subotic und Belgiens Teenager-Sensation Romelu Lukaku sind nur eine kleine Auswahl derer, die 1899 kaufen wollte. Wohlgemerkt: bereits ein, zwei Jahre vor ihrem Durchbruch.

Das Gespür für Talente ist jedoch nur bedingt hilfreich, wenn sich die Verpflichtung der Superstars von morgen aus den unterschiedlichsten Gründen zerschlägt. Eine Erfahrung, die Hoffenheim auch diesen Sommer machen musste. Andre Schürrle bleibt in Mainz, Christoph Sauter ging nach Nürnberg, Nürnbergs Ilkay Gündogan ist unerschwinglich. Auch bei Stuttgarts Sebastian Rudy scheint eine Einigung nur schwer möglich.

"Wir sind auf dem besten Weg, unsere alte Identität wiederzufinden. Wir sind am besten gefahren, als wir auf junge Talente gesetzt haben und weniger auf vermeintliche Stars", sagt Trainer Ralf Rangnick. Nach der enttäuschenden Vorsaison zogen die Verantwortlichen den Schluss, dass Hoffenheims Neuzugänge zwei Kriterien erfüllen sollen: jung und deutsch (oder zumindest deutschsprachig).

Doch der hehre Vorsatz droht angesichts all der Absagen zur Makulatur zu werden - weswegen Hoffenheim das erst in der Sommerpolitik ausgegebene Transferdogma bereits wieder auflockerte. Ein Beweis dafür war das Werben um Herthas Adrian Ramos und Marseilles Hatem Ben Arfa. Beide sind zwar jung, aber nicht deutschsprachig.

Die Frage nach der Integration stellt sich jedoch nicht, denn: Ramos ist ähnlich wie Gündogan zu teuer und Ben Arfa hat sich wohl für Newcastle entschieden. Rangnick sagte bereits vor einigen Wochen, dass das Wort "Bescheidenheit" das neue Leitbild der Hoffenheimer Personalplanung sei. Es bleibt wohl auch nichts anderes übrig.

Das ist neu

Nach all den Abfuhren ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Kader fast identisch zusammengeblieben ist. Die einzig nennenswerten Neuzugänge sind damit der neue Stammkeeper Tom Starke und Sturmhoffnung Peniel Mlapa.

Starke galt in der Bundesliga bereits als gescheitert, rehabilitierte sich aber in Duisburg. Ex-1860-Angreifer Mlapa wiederum kommt ebenfalls aus der 2. Liga und erinnert von Statur und Spielstil an Manchester Citys Emmanuel Adebayor.

Die Nachwuchsspieler Denis Thomalla (18), Manuel Gulde (19), Andreas Ludwig (19), Robin Neupert (19) und Kevin Conrad (20) sollen schrittweise an den Profikader herangeführt werden. Ein Vorhaben jedoch, das letztes Jahr bei Marco Terrazzino bei Pascal Groß gescheitert ist.

Die Mannschaft bleibt weitgehend zusammen - völlig umgekrempelt wurde hingegen die sportlichen Führung sowie der Betreuerstab. Es gibt einen neuen Manager, einen neuen Psychologen, einen neuen Teamarzt, einen neuen Athletiktrainer, einen neuen Assistenzcoach und einen neuen Aufsichtsbeirat, der sich aus Gönner Dietmar Hopp, seinem Sohn Daniel, SAP-Vorstand Gerd Oswald, Präsident Peter Hofmann sowie Steuerberater Berthold Wipfler zusammensetzt. Zukünftig müssen alle wichtigen Transfers von diesem Beirat bewilligt werden.

Außerdem wurde beschlossen, dass Bernhard Peters, Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung, und Rangnick-Mentor Helmut Groß nicht mehr so nahe am Team sein sollen. Groß beispielsweise zeichnet nur noch für das Scouting verantwortlich.

"Hahnenkämpfe finden statt, wenn jemand für sich einen Raum beansprucht, der ihm eigentlich nicht zusteht. Oder wenn eine gewisse Unsicherheit herrscht", sagt Manager Ernst Tanner, der die Nachfolge des mit Rangnick zerstrittenen Jan Schindelmeiser antrat. "Diese Problematik haben wir in der vergangenen Saison zugelassen und sich langsam ausweiten lassen."

Die Taktik

Bei der taktischen Grundformation bleibt vieles beim Alten. Das ideale System ist das 4-3-3 mit einem Sechser und zwei offensiver postierten Mittelfeldspielern auf den Halbpositionen. Das Problem: Im Sturm fehlen die Alternativen. Entweder sind die Angreifer angeschlagen (Ba), verletzt (Obasi), noch zu unerfahren (Mlapa) oder es bestehen sportliche Zweifel (Tagoe).

Von daher ist optional auch ein 4-4-2 entweder flach oder in der Raute denkbar. Die Vorzüge: Es benötigt neben dem formstarken Vedad Ibisevic nur einen weiteren Stürmer und im Mittelfeld könnten Carlos Eduardo, Sejad Salihovic, Tobias Weis und Luiz Gustavo gleichzeitig beginnen.

Der Spieler im Fokus

Carlos Eduardo. Mit 23 Jahren sollte der Brasilianer die fußballerische Adoleszenz abgeschlossen haben - aber ist er tatsächlich erwachsen genug, um eine Saison konstant und allürenfrei durchzuspielen? Sicher ist: Vom Talent her gehört er zu den besten fünf Fußballern der Bundesliga, nicht umsonst wurde er im August vom neuen brasilianischen Cheftrainer Mano Menezes nominiert.

Dass sich Eduardo trotz großen Trainingsrückstands und entgegen des Hoffenheimer Wunschs jedoch einsatzbereit meldete und zum Freundschaftsspiel ins 7000 Kilometer entfernte New York flog, mag verständlich sein - einen Beweis seiner Reife muss er jedoch weiterhin erbringen.

Das Interview

SPOX: In Hoffenheim wollen Sie den 22-jährigen Luiz Gustavo zum Sechser von internationalem Format formen - doch wie ein Leader wirkt er nicht. Wie passt das zusammen?

Rangnick: Er braucht noch etwas Zeit. Allein schon wegen seines Alters und der Sprach- und Mentalitätsprobleme kann er noch  nicht das Charisma und die Autorität eines Deschamps ausstrahlen. Aber er bringt sich mittlerweile mehr ein und fordert die anderen auf, beim Pressing mitzumachen. Fußballerisch verkörpert er bereits jetzt viele Eigenschaften eines sogenannten "bleibenden Sechsers": Lauf - und Zweikampfstärke sowie ein gutes Gefühl dafür, wann er draufgehen oder wegbleiben soll.

Das ganze Interview mit Ralf Rangnick zum Nachlesen

Die Prognose

Bescheidenheit ist nicht nur in der Einkaufspolitik das dominierende Motiv. "Wenn wir alle an einem Strang ziehen, haben wir mit dem Abstiegskampf nichts zu tun", sagt Tanner. Vom Europapokal wagt keiner zu sprechen, selbst der sonst so ambitionierte Rangnick spricht lediglich von einem Platz im grauen Mittelfeld.

Understatement regiert - dabei spricht von der dünnen Kaderdecke und den wie in den ersten beiden Bundesliga-Jahren auffällig häufig auftretenden Verletzungen einiges für ein zumindest ordentliches Abschneiden der TSG.

Der zeitweise ausgebrannte Rangnick hat seine Leidenschaft wiedergefunden (Tanner: "In ihm brennt ein Feuer, das heißer ist als alles, das ich erlebt habe"), zudem gilt der neue Co-Trainer Marco Pezzaiuoli als ein Spezialist für das Spiel mit dem Ball - dem Hauptproblem in der vergangenen Saison.

Bleibt die Frage nach dem zwischenmenschlichen Miteinander. Alle Beteiligten loben auffällig häufig die neue Harmonie, doch alleine die Installierung des neuen Aufsichts-Beirats birgt Konfliktpotenzial.

Nur ein Beispiel: Nachdem die Gründung des Beirats beschlossen wurde, sprach Rangnick davon, dass "nicht alle vier Wochen Gespräche stattfinden, die nicht den sportlichen Bereich betreffen. Es geht ihm darum, alle zwei, drei Monate einen Austausch zu haben."

Hopp jedoch erklärte kurz zuvor: "Wir möchten einmal im Monat von Trainer, Spielerrat und Manager wissen, wo es Probleme gibt, um rechtzeitig gegensteuern zu können." Außerdem wird der Beirat "spektakuläre Transfers mit Trainer und Manager diskutieren und er entscheidet letztlich darüber, ob sie finanzierbar sind. Es ist eine gute Hürde." Ob Rangnick der gleichen Meinung ist?

1899 Hoffenheim  Der Kader im Überblick