"Ich habe mein Leben verflucht"

Von Interview: Haruka Gruber
Huub Stevens 1988 vor seinem Elternhaus in Sittard. Am Fenster sitzt seine Mutter
© Huub Stevens - die Biografie

Auf Schalke holte er den UEFA-Cup und wurde zum Jahrhundert-Trainer gewählt, Hamburg führte er zurück in die Spitze und für Jens Lehmann oder Berti Vogts war er "der beste Trainer der Liga". Aber wie wurde Huub Stevens (55) zu dem, was er ist?

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Der neue Chefcoach von Red Bull Salzburg über seine Biografie, seine jähzornige Ader und die Ähnlichkeit zu Hollywood-Superstar Jack Nicholson.

SPOX: Als Achtjähriger sind Sie in einen Fluss gefallen und waren kurz vorm Ertrinken. Wie fühlt sich eine Nahtod-Erfahrung an?

Huub Stevens: Was denken Sie denn?

SPOX: Vielleicht sieht man ein weißes Licht am Ende des Tunnels? Oder das bisherige Leben zieht an einem vorbei?

Stevens (lacht): Ganz falsch. Bei mir war es so, dass ich einfach keine Luft bekommen habe. Das war's.

SPOX: Sie können darüber lachen?

Stevens: Es bringt doch nichts, sich von Vergangenem herunterziehen zu lassen. Vielmehr erinnere ich mich lieber daran, was es für ein überwältigend glücklicher Augenblick war, als mich meine Nachbarin in letzter Sekunde aus dem Wasser gezogen hatte.

SPOX: Fällt es Ihnen auch so leicht, über den frühen Unfalltod Ihres Vaters zu sprechen?

Stevens: So etwas kann man nie überwinden. Eine Zeit lang habe ich mein Leben verflucht - aber ich habe schnell gelernt, mit Rückschlägen klarzukommen und auch die positiven Dinge im Leben zu erkennen. Diese Art und Weise, wie ich mit Enttäuschungen umgehe, hat mich als Teenager unterbewusst sehr geprägt, das weiß ich jetzt rückblickend.

SPOX: Was meinen Sie mit "unterbewusst sehr geprägt"?

Stevens: Meine Jugendjahre - so tragisch sie teilweise auch waren - sind die Basis dafür, dass ich mich im Profigeschäft durchgesetzt habe. Meine Familie war nicht wohlhabend, daher musste ich mich früh auf der Straße durchsetzen. Ich bin fast ertrunken, daher weiß ich, was wirklicher Stress bedeutet. Und nach dem Tod meines Vaters habe ich einen emotionalen Panzer um mich gebaut, der mich beschützt hat.

SPOX: Wirkt demnach die moderne Fußballer-Generation mit den Playstations und iPhones umso befremdlicher auf Sie?

Stevens: Überhaupt nicht. Ich habe einen guten Draht zu den jungen Spielern und ich weiß, dass sehr viel auf sie einstürzt. Anders als noch zu meiner Zeit verdienen sie unglaublich schnell unglaubliche Summen, müssen gleichzeitig aber mit den Medien und dem kommerziellen Druck fertig werden. Dabei dürfen sie aber nicht den Fokus auf das Wesentliche verlieren und die wenige Zeit als Profi vergeuden. Sie brauchen mehr Hilfe als wir damals.

SPOX: Sie hingegen haben sogar als gestandener Profi in Eindhoven noch halbtags in einem Autogeschäft gearbeitet.

Stevens: Ich hatte viel Zeit und ich wollte mich mit etwas anderem als mit Fußball beschäftigen. So habe ich im Geschäft alle Abteilungen durchlaufen, ob nun Rezeption, Verkauf oder Leasing. Für diese Jobs muss man bodenständig sein, und ich habe mir auf eine natürliche Weise diese Disziplin eingeimpft.

SPOX: Glückwunsch, Herr Stevens. Erst in Ihrer siebten Antwort fällt das Wort Disziplin.

Stevens: Dass ich ein Disziplinfanatiker bin, ist doch nur eine Legende, die sich seit Jahren hält.

SPOX: Aber Sie haben doch schon bei Ihrer ersten Trainerstation in Kerkrade den Spielern verboten, lange Haare oder Ohrringe zu tragen.

Stevens: Wissen Sie, wie gefährlich es ist, mit Ohrringen Fußball zu spielen? Oder wie sehr es beim Kopfball stört, wenn die langen Haare die Augen verdecken? Es hatte nichts mit Disziplin zu tun, es war vielmehr eine Vorsichtsmaßnahme. Ich bin kein Fanatiker, sondern überlege rational, was das Beste für meine Mannschaft ist.

SPOX: Ganz so rational sind Sie aber vor allem in den Anfangsjahren als Trainer nicht aufgetreten. Sie waren derart jähzornig, dass Sie mit Jack Nicholson verglichen wurden.

Stevens: Mir wurde schon häufig gesagt, dass ich ihm nicht nur äußerlich ähnele. Es stimmt, dass ich früher wie ein Vulkan ausgebrochen bin, aber ich habe über die Jahre gelernt, mit den Emotionen besser umzugehen.

SPOX: Vor allem im Umgang mit den Medien?

Stevens: Sicherlich. Früher stimmte sogar das Klischee vom "Knurrer aus Kerkrade", aber das hat sich gebessert. Wer den Einfluss der Medien unterschätzt, ist naiv. Aber ich mag es bis heute nicht, wenn sich ein Journalist keine Mühe gibt und mich unvorbereitet interviewt. Wenn ein Journalist Respekt von mir erwartet, erwarte ich es auch von ihm. Sonst sage ich demjenigen sehr ehrlich meine Meinung.

SPOX: Sie bezeichnen Ehrlichkeit als Ihre größte Stärke. Ist es in einem Geschäft wie dem Fußball aber nicht die größte Schwäche?

Stevens: So kann man es uminterpretieren. Egal, ob zu den Medien, den Fans oder den Spielern: Im Fußball sprechen einige lieber hinten herum, ich bevorzuge die direkte Art, obwohl dies verletzend und grob rüberkommen kann.

SPOX: Aber auch Sie kommen nicht ohne Lügen aus, oder?

Stevens: Ehrlichkeit währt am längsten. Doch manchmal muss man mitspielen und sich auf die Zunge beißen oder Dinge erzählen, die die Leute hören wollen. Das kommt zugegeben öfter vor, aber es geht nicht anders. Ich habe mich aber nie verbogen.

SPOX: Kein einziges Mal?

Stevens: Bei meiner letzten Station bei PSV Eindhoven habe ich mich zum Job breitschlagen lassen, obwohl ich ein ungutes Gefühl hatte. Ein Spielerberater...

SPOX: ... der in Eindhoven sehr mächtige Vlado Lemic...

Stevens: ... hat Einfluss auf die Mannschaft genommen und einzelne Spieler gegeneinander ausgespielt oder dazu geraten, sich beim Präsidium negativ über mich zu äußern. Ich konnte damit nicht umgehen und habe einen Schlussstrich gezogen. Spielchen im Hintergrund sind nicht meine Sache.

SPOX: In Ihrer Biografie greifen Sie überraschend offensiv den renommierten deutschen Spielerberater Jörg Neubauer an, der unter anderem Christoph Metzelder und Arne Friedrich unter Vertrag hat.

Stevens: Das ist lange her.

SPOX: Sie bezichtigten Neubauer, in Ihrer Zeit als Hertha-Coach die Kabine infiltriert zu haben.

Stevens: Wenn ein Berater zu viele Spieler in einer Mannschaft hat, wird das gefährlich. Da muss man im Verein eine gemeinsame Linie fahren, um den Berater draußen zu halten. Wenn diese aber nicht von jedem mitgetragen wird, kann man als Trainer nur verlieren. Deswegen lege ich großen Wert auf Ehrlichkeit.

SPOX: Was dazu führte, dass Sie sich mit einigen Spielern überworfen haben. Sie bezeichnen zum Beispiel Fredi Bobic, Marcelinho und Mohamed Zidan als Egoisten.

Stevens: Ich habe immer Probleme mit Spielern, die nicht an den Verein oder die Mannschaft denken, sondern nur an sich. Ein Beispiel: Als ich in Hamburg gearbeitet habe, kam Zidan eines Tages aus Afrika zurück. In der Kabine öffnete er eine Armani-Tasche, in der vielleicht 200.000 Euro in bar lagen. Seine Prämie für den Titelgewinn beim Afrika-Cup.

SPOX: Konnten Sie es nicht als Protzerei abtun?

Stevens: Nein! Denn wer so leichtfertig mit Geld umgeht und nur darüber spricht, welche Autos oder Häuser er kaufen will, wird sich nie bedingungslos für die Mannschaft einsetzen. Prinzipiell habe ich ja nichts gegen Momo, aber mir waren die Hände gebunden. Es ist schade, aber trotz aller Qualitäten wollte er nicht einsehen, dass man als Fußballprofi auch etwas investieren muss. Gegenseitiger Respekt ist unerlässlich, um gemeinsam etwas zu erreichen.

SPOX: Ihr neuer Verein heißt aber ausgerechnet Red Bull Salzburg, ein Klub mit notorisch nervösem Umfeld und hoher Trainer-Fluktuation. Bekommt ein Coach dort genug Respekt?

Stevens: Das ist für mich zu kurz gedacht, denn Veränderungen - auch auf dem Trainerposten - können auch sehr fruchtbar sein. Für mich ist es wichtig, welche Perspektive ein Klub besitzt, und schon das erste Gespräch mit Red-Bull-Chef Dieter Mateschitz war viel versprechend. Es ist unglaublich, was für ein Unternehmen Mateschitz aufgebaut hat, und genau das wollen wir auch im Fußball schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass es mit Red Bull gelingt. Ganz ehrlich.

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