Erik Stoffelshaus ist einer der heißesten Namen auf dem Sportdirektoren-Markt, sogar ManUnited soll die Fühler ausgestreckt haben. Auch für Schalke 04 wäre Stoffelshaus nach dem Aus für Christian Heidel mehr als interessant. Aber wer ist der 48-Jährige eigentlich? Ruhrpott-Junge, Boxer, Lehrer an einer Brennpunktschule, Abenteuer in Kanada und Russland - Stoffelshaus erzählt im großen Interview mit SPOX und Goal von seinem spannenden Lebensweg.
Außerdem erklärt Stoffelshaus, warum der deutsche Fußball gut beraten ist, über den Tellerrand hinauszublicken und warum Kanada in der Nachwuchsförderung vieles besser macht.
Herr Stoffelshaus, bevor wir zum Fußball kommen, müssen wir über eine andere Leidenschaft von Ihnen sprechen: das Boxen. Sie waren ein erfolgreicher Amateurboxer in der Jugend.
Erik Stoffelshaus: Das stimmt. Als Kind des Ruhrgebiets bin ich zwar mit Fußball aufgewachsen, aber in meiner Heimatstadt Mülheim waren zwei andere Sportarten noch größer: Hockey und Boxen. Unser Boxverein ist deutscher Mannschaftsmeister geworden und hat die Massen in die Halle gelockt. Das war eine Attraktion damals. Ich habe mit neun Jahren angefangen und bin mit kleinen Unterbrechungen bis zum 18. Lebensjahr dabei geblieben. Ich bin in der Jugend auch deutscher Vizemeister geworden und hatte fünf Einsätze für die Nationalmannschaft. Beim Länderkampf in Polen habe ich einmal als einer von wenigen meinen Kampf gewonnen. Es war eine schöne und sehr lehrreiche Zeit.
Was haben Sie durchs Boxen gelernt?
Stoffelshaus: Disziplin. Jeder, der in einer Kampfsportart zuhause ist, wird bestätigen können, dass es nur mit eiserner Disziplin geht. Die Trainingsumfänge sind unglaublich hoch und das Abkochen vor Kämpfen ist wirklich brutal hart.
Gab es keine Gedanken an eine Profi-Karriere?
Stoffelshaus: Nein. Wir müssen bedenken, dass der Profiboxsport damals gar nicht so groß war. Er galt aufgrund des Klientels auch als etwas anrüchig. Graciano Rocchigiani war mit seinem ersten WM-Titel 1988 dann der Erste, der groß raus kam. So richtig gesellschaftsfähig wurde es erst durch Henry Maske und Axel Schulz.
Schauen Sie heute noch die Mega-Fights?
Stoffelshaus: Auf jeden Fall. Wenn ich an den Kampf von Canelo Alvarez und Gennady Golovkin denke, geht mir das Herz auf. Das ist großer Boxsport. Gerade Canelo ist überragend zum Zuschauen. Ich verfolge es intensiv, ich schaue mir aber auch immer noch Amateurboxen an, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Stoffelshaus: "Manu hat nicht mal gezuckt"
Wenn wir uns Ihren Werdegang anschauen, fällt auf, dass Sie zunächst mal Wert auf eine akademische Ausbildung gelegt haben.
Stoffelshaus: Nach dem Abitur habe ich eine ganz solide Ausbildung zum Industriekaufmann bei einem der größten Stahlkonzerne gemacht. Ich wollte mir ein Fundament schaffen und Schritt für Schritt eine Karriere aufbauen. Ich war wirklich super seriös unterwegs. (lacht) Ich habe aber auch damals schon gesehen, dass die Trainerschiene etwas für mich sein könnte. Ich entschloss mich, an der Ruhr-Uni Bochum Sport auf Diplom zu studieren. Parallel habe ich meine Trainerlizenzen im Fußball gemacht, ehe ich mich 1998 nach einem Tipp eines Kommilitonen bei Schalke als Jugendtrainer beworben habe. Und tatsächlich habe ich die Chance bekommen, die U11 zu trainieren und den Trainerjob von der Pike auf zu erlernen. Das war etwas Besonderes, weil du schon in der Altersgruppe mit großartigen Talenten konfrontiert wirst.
Was lernt man speziell im Kinderfußball?
Stoffelshaus: Es geht in diesem Alter natürlich um ganz andere Probleme und Aufgaben als im Senioren-Bereich. Da bist du auch der, der die Schuhe zubindet, das ist ganz normal. Du musst versuchen, eine altersgemäße Ansprache zu finden. Wenn wir auf Turnieren waren, kam es vor, dass ein Kind Heimweh bekommen hat. Dann ist das dein Thema. Es sind zwar sehr talentierte Jungs, aber in erster Linie sind es immer noch Kinder. Es war eine wunderschöne Herausforderung, aber eines Tages hat mich Bodo Menze, der Manager der Nachwuchsabteilung, aus dem Nichts gefragt, ob ich nicht auf die Geschäftsstelle wechseln und ihn unterstützen will. Auch wenn ich wusste, dass mir die Arbeit auf dem Trainingsplatz fehlen würde, habe ich es gemacht, weil mich der Blick auf das große Ganze interessiert hat. Außerdem war der Zeitpunkt perfekt. Es war die Zeit, als im deutschen Fußball der Umbruch eingeleitet wurde, durch das Talentförderprogramm, das Gerhard Mayer-Vorfelder noch initiiert hatte. Ich hatte die Chance, mit vielen Leuten innerhalb des DFB und aus anderen Leistungszentren zu sprechen und habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt. Ich bin Schalke heute noch dankbar, dass ich diesen Weg gehen durfte.
Sie haben in dieser Zeit viele Jungs erlebt, die später eine große Karriere machen sollten. Unter anderem Manuel Neuer. Wissen Sie noch, als Sie ihn das erste Mal gesehen haben?
Stoffelshaus: Ja, das weiß ich noch ganz genau. Das war beim Hallenturnier, es ging um die Stadtmeisterschaft. Manu war mit der D-Jugend dabei. Ich erinnere mich an einen Moment beim Warmmachen. Der damalige Coach hat Manu einen unfassbar strammen Dropkick auf Kopfhöhe gespielt und Manu hat nicht mal gezuckt. Er hat die Hände hochgerissen, den Ball abgefangen und ist abgerollt. Mit einer Coolness, die ich in diesem Altersbereich bis dato noch nicht gesehen hatte. Ich habe einen Kollegen mit fragendem Blick angeschaut und gesagt: Das gibt's doch gar nicht?! Das war sehr außergewöhnlich.
Stoffelshaus: "Rakitic hatte keine altersgemäße Persönlichkeit"
Sie haben dann auch in unterschiedlichen Funktionen den 19. Mai 2001 und die Saison 2006/07 miterlebt, als Schalke beide Male am Ende nicht Meister wurde.
Stoffelshaus: 2001 war ich von den Profis zwar zweit weg, aber ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn Sie mich darauf ansprechen. So eine Energie, wie sie damals im Stadion zu spüren war, hatte ich noch nie erlebt. Und dann wurde es zur größten sportlichen Tragödie, die ich je auf einem Fußballplatz gesehen habe. Das wünsche ich niemandem. In der Saison 2006/07 war es eine ganz andere Situation, weil wir es uns da selbst zuzuschreiben hatten. Die Niederlage in Bochum war der Knackpunkt. Da hatten wir eigentlich alles unter Kontrolle, aber warum auch immer haben wir das Spiel aus der Hand gegeben und plötzlich sind wir uns bewusst geworden, dass wir hier gerade die Meisterschaft verspielen. Die Lähmungserscheinungen waren greifbar. Das Derby haben wir dann auch verloren, uns ist auf der Zielgeraden der Saison der Sprit ausgegangen. Aber wir waren selbst schuld.
Sie waren zu dieser Zeit im Management tätig und zum ersten Mal an größeren Transfers beteiligt. Ein Name, der vielleicht heraussticht, ist Ivan Rakitic. Was können Sie über ihn erzählen?
Stoffelshaus: Der Transfer von Ivan war für mich tatsächlich speziell. Du weißt nie, wie sich ein junger Spieler entwickelt. Das kannst du nicht genau vorhersehen, da ist auch immer ein Stück Hoffnung dabei, wenn du ihn holst. Als ich Ivan damals aber vom Flughafen abgeholt habe, wusste ich sehr schnell, dass wir uns einen besonderen Jungen geangelt hatten. Ich habe noch nie so einen erwachsenen 18-Jährigen erlebt wie Ivan Rakitic. Ivan wusste genau, wohin er wollte. Er hatte einen klaren Plan. Er hatte einfach keine altersgemäße Persönlichkeit, er war enorm reif. Ich ziehe den Hut vor der Karriere, die er in der Folge gemacht hat.
2009 war Ihre Zeit auf Schalke vorbei und Sie haben erst mal auch keine andere Aufgabe im Profifußball übernommen. Warum nicht?
Stoffelshaus: Als Felix Magath nach Schalke kam, mussten viele Leute im Verein gehen, einer davon war auch ich. Für mich war es eine schwierige Situation, weil ich elf Jahre lang bei Schalke war und so viel Herzblut reingesteckt hatte, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, für einen anderen Verein zu arbeiten. Ich musste erst einmal eine Pause machen. Ergebnis meiner Gedanken war, dass ich zurück an die Uni gegangen bin, um meine Diplomarbeit zu schreiben. Diese Aufgabe war noch offen und ich hatte auch immer brav meine Studiengebühren bezahlt, war also nicht exmatrikuliert. (lacht) Ich habe meine Bücher wieder herausgekramt und meine Diplomarbeit angefangen. Thema: Die Nachwuchsförderung des FC Schalke 04 in Zusammenhang mit den Anforderungskritierien der DFL. Das war ja im Prinzip genau mein Thema. Das heißt nicht, dass ich es in einer Woche runterschreiben konnte, aber es hat total Spaß gemacht, die Akademie auf Schalke mit anderen Akademien zu vergleichen und herauszufinden, wo die Unterschiede liegen.
Sie haben nicht nur Ihre Diplomarbeit geschrieben, sondern auch ein paar Jahre als Sportlehrer gearbeitet. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Stoffelshaus: Ich habe Sport und Schwimmen unterrichtet und muss wirklich sagen, dass vor allem die letzte Zeit an einer Brennpunktschule in Oberhausen überragend war. Ich habe gesehen, wie Integration geht. Wir hatten Kinder mit unterschiedlichster Herkunft, aber das war nie ein Thema. Ich habe noch nie erlebt, dass beim Wählen von Mannschaften bei Kindern nach Nation gegangen wird. Es spielt überhaupt keine Geige, wo du herkommst, du musst kicken können. (lacht) Den Kids Spaß an der Bewegung zu vermitteln, hat mir unglaublichen Spaß gemacht. Jeden Tag sind sie auf dem Schulhof angerannt gekommen und haben gefragt, was wir heute machen. Es war wunderbar zu sehen, wie die Kinder miteinander umgehen. Ich möchte die Zeit auf gar keinen Fall missen.
Irgendwann kam der Moment, als Sie entschieden haben, wieder eine neue Aufgabe zu suchen und zwar möglichst weit weg. Warum wollten Sie unbedingt in die weite Welt hinaus?
Stoffelshaus: Es gibt ein schönes Zitat von Thomas Broich: "Hauptsache maximal weit weg." Genau so war es bei mir auch. (lacht) Mir ist bewusst geworden, dass ich Anfang 40 war, aber mein ganzes Leben lang nie aus dem Kosmos Ruhrgebiet herausgekommen bin. Alles hat sich innerhalb von einem Radius von 40 Kilometern abgespielt. Meine jetzige Frau und ich sind beide abenteuerlustig, so habe ich angefangen, online nach offenen Stellen zu schauen und Initiativbewerbungen loszuschicken. Neuseeland, Australien, USA, Kanada - es war alles dabei. Der neuseeländische Verband hat abgewunken, weil sie dachten, dass sie mich ohnehin nicht bezahlen können, dabei ging es mir gar nicht um Geld, mir ging es um die Aufgabe. Am Ende ist es Kanada geworden. Im November 2013 fing ich als Technischer Direktor des West Ottawa Soccer Clubs an. Plötzlich war ich in einer ganz neuen Fußballwelt.
2015 ging es schon weiter zum Fußballverband der Region York in Toronto. Wie kann man sich Ihre Arbeit dort vorstellen?
Stoffelshaus: Zunächst mal muss man wissen, dass Ontario dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik. Ich war sozusagen der Verbandssportlehrer der Region York und habe versucht, meine Ausbildung als Fußballtrainer, als Sportlehrer und auch als Kaufmann zu verbinden. Ich habe Programme für Kinder entwickelt, sowohl im Grassroots- als auch im High-Performance-Bereich. Wir haben es zum Beispiel geschafft, dass wir in meinem District fast das ganze Jahr durchspielen konnten, was ja in Kanada klimatisch nicht ganz einfach ist. Wir konnten das durch viele Soccer Domes aber zum Glück lösen. Was interessant ist: In Kanada gilt "pay to play". Das heißt: Auf die Eltern kommen hohe Kosten zu. Wir sprechen von 500 oder 600 Dollar für einen Zeitraum von Mai bis September - und das ist noch günstig. Und sowas wie Trikots sind da noch gar nicht dabei. Für ein Jahr im High-Performance-Bereich sind wir bei 4400 Dollar plus Fahrtkosten.
Stoffelshaus über den kanadischen Ansatz in der Nachwuchsförderung
Und die Eltern zahlen das?
Stoffelshaus: Ja. Die Eltern in Kanada sind bereit, das zu bezahlen. Sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen, von guten Trainern. Sie investieren in ihre Kinder, sie sind es ihnen wert. Ich weiß, dass es viel Geld ist, aber ich finde das keine schlechte Einstellung. Vielleicht sollte da bei uns in Deutschland ein Umdenken einsetzen. Was dabei aber wichtig wäre: Dass Kinder aus Familien mit weniger finanziellen Mitteln unterstützt und gefördert werden. Auf jeden Fall können wir es den vielen Ehrenamtlichen im deutschen Fußball gar nicht hoch genug anrechnen, wenn wir uns die Situation in Kanada vor Augen führen. In Kanada hatten wir bei den Mädchen eine U-8-Liga mit 20 Teams. Versuchen sie das in Deutschland mal zu finden? Jeder, der den nordamerikanischen Fußball belächelt, weiß nicht, wovon er spricht.
In Kanada gibt es ja generell auch einen etwas anderen Ansatz in der Ausbildung. Erklären Sie.
Stoffelshaus: In Kanada steht nicht im Vordergrund, Kinder zu Profisportlern zu machen. Erst einmal geht es um den Spaß an der Bewegung und hoffentlich gesund fürs Leben zu sein. Das ist wichtig. Die kanadischen Kinder machen nie nur einen Sport, sie werden alle zu Multisport-Athleten entwickelt, die lernen, Fähigkeiten von der einen auf die andere Sportart zu transferieren. Das merkt man total. Sie sind schnell, pfiffig, dribbelstark - sie haben ein ganz anderes Portfolio als viele Kinder in Deutschland, die nur Fußball spielen die ganze Zeit. Jeder Sportwissenschaftler sagt, dass eine frühe Spezialisierung nicht gut ist, trotzdem wird in den Leistungszentren die ganze Woche Fußball trainiert. Jeder weiß es, aber geändert wird nichts. Wir haben in Deutschland immer noch super Talente, aber wir sollten unbedingt über den Tellerrand hinausblicken und schauen, wie es woanders auf der Welt gemacht wird. Das Lustige ist, dass die Kanadier ausgerechnet in ihrem Nationalsport Eishockey einen ähnlichen Fehler gemacht haben und einsehen mussten, dass die Skandinavier sie überholt haben. Dort hat jetzt auch wieder ein Wandel stattgefunden.
Wie geht Kanada in der Nachwuchsförderung mit dem Thema Persönlichkeitsentwicklung um?
Stoffelshaus: Zum einen gibt es offene Kader. Das heißt, dass es keine erste, zweite und dritte Mannschaft gibt. Die Besseren müssen Teamfähigkeit lernen und akzeptieren, auch mit Jungs in der Mannschaft zu spielen, die nicht auf ihrem Niveau sind, und ihnen zu helfen dahin zu kommen. Durch diese Steuerung werden Kinder auch nicht zu früh als zu schlecht abgestempelt und haben die Chance, auch später noch den Sprung zu schaffen. Außerdem wurde ich mit der Idee "No scores, no standings" konfrontiert. Wie bitte? Wie soll das denn gehen? Ich war natürlich erstmal sehr skeptisch, aber ich musste erkennen: Keine Ergebnisse, keine Tabellen - das funktioniert! Plötzlich hast du keine Eltern mehr am Rand stehen, die die ganze Zeit reinschreien und die Kinder verrückt machen. Es ist doch am Anfang völlig egal, ob man eine Meisterschaft gewinnt oder absteigt. Es geht darum, dass die Kinder Spaß haben und sich natürlich entwickeln. Und eines ist auch klar: Die Kids wissen auf dem Feld, wie es steht, und wollen gewinnen. Erst in der U13 kommt der Punkt, an dem auch über Ergebnisse geredet wird. Oder eine andere Geschichte: Wir haben in der U9 die Kinder Fünf gegen Fünf ohne Schiedsrichter spielen lassen. Sie mussten es selbst regeln und sie haben es selbst geregelt, so wie auf dem Schulhof auch jeder weiß, wenn es ein Foul war. Es gab einige Punkte in Kanada, die definitiv meinen Horizont erweitert haben.
Sie hatten in Kanada also ein perfektes Leben.
Stoffelshaus: Wir haben in Downtown Toronto gelebt, mit Blick auf den Lake Ontario. Es war wirklich wie im Bilderbuch.
Warum sind Sie dann doch dem Ruf von Lok Moskau erlegen?
Stoffelshaus: Ich konnte mir das am Anfang, als die Anfrage von Präsident Ilya Gerkus kam, auch gar nicht vorstellen. Schon wieder maximal weit weg? (lacht) Ich war ja total zufrieden in Kanada und fühlte mich pudelwohl. Auch als ich mich entschloss, mir es wenigstens mal anzuschauen, war mein erster Eindruck ein Spiel gegen Achmat Grosny, vor 3500 Zuschauern und bei klirrender Kälte. Oh mein Gott! Aber als ich mir die Bedingungen genauer angeschaut habe, erkannte ich, welch großartige Voraussetzungen dieser Verein hatte, gerade in puncto Infrastruktur mit einer eigener Akademie oder auch einer eigenen Klinik. Aber trotzdem war der Verein nur Zehnter. Es hat mich gereizt, das umzudrehen, also habe ich nach langen Diskussionen der Geschichte eine Chance gegeben und Ja gesagt.
Der Plan ging auf. Sie haben unter anderem Jungs wie Jefferson Farfan ausgegraben und sind mit Lok Meister geworden. Und die Situation fühlte sich nach Schalke an, richtig?
Stoffelshaus: Richtig. Wir hätten fast genau den Vorsprung noch verspielt wie Schalke damals. Ich war ja ein gebranntes Kind und habe die ganze Zeit versucht, die Zügel noch mehr anzuziehen, damit wir das Ding nicht noch aus der Hand geben. Als wir den Titel nach Hause gebracht haben, war das für mich Erleichterung und Freude pur. Das war schon sehr speziell. Leider ist es aber jetzt in der Champions League total enttäuschend für uns gelaufen. Ich habe mich zwar sehr darüber gefreut, mit Schalke in eine Gruppe zu kommen, der Kreis hat sich für mich 20 Jahre später irgendwie geschlossen, aber auf der anderen Seite wusste ich, dass wir in dieser Gruppe weiterkommen können. Deshalb war es am Ende wirklich enttäuschend, wir sind in einigen Spielen völlig unter unseren Möglichkeiten geblieben und auch nicht so aufgetreten, dass ich damit gut leben konnte.
Das Kapitel Moskau haben Sie nun frühzeitig beendet. Was hat den Ausschlag gegeben?
Stoffelshaus: Grundsätzlich hat jede Entscheidung auch eine familiäre Komponente. Ich kann nicht ständig quer durch die Welt springen, die Familie muss das ja schon auch gut finden und mitmachen. Bei Lok war es so, dass ich nach der Meisterschaft und dem Pokalsieg schon das Gefühl hatte, dass ich nur noch ein Jahr machen möchte. Ich habe mich nach den großen Erfolgen in kurzer Zeit schwergetan, die nächste Herausforderung zu sehen. Auch wenn wir uns in Moskau sehr wohlgefühlt haben und es eine tolle Zeit war, ist die Entscheidung immer mehr gereift, dass wir uns ein neues Ziel suchen wollen. Als ich jetzt im Klub Tendenzen und Entwicklungen gesehen habe, hinter denen ich nicht mehr zu hundert Prozent stehen konnte, war für mich der richtige Zeitpunkt, um einer neuen Ausrichtung nicht im Wege zu stehen und zu gehen. Da muss man dann auch mal klare Kante zeigen.
Stoffelshaus über seinen nächsten Job
Seitdem gab es einige Gerüchte um Ihre Person, so soll sich ManUnited mit Ihnen beschäftigt haben. Was muss der nächste Job denn haben, damit er für Sie interessant ist?
Stoffelshaus: Das ist eine gute Frage. Es ist nicht zwingend der Name des Klubs. Ich war ja im ersten Moment auch nicht Feuer und Flamme für Lok Moskau, weil ich gar keine Beziehung dahin hatte. Es geht darum, ein Projekt zu finden, das ich mit Leben füllen kann. Die Philosophie des Vereins muss entweder mit meiner übereinstimmen, oder der Verein muss noch auf der Suche nach einer Vision sein, die ich entwickeln kann. Und dann muss unbedingt ein Vertrauensverhältnis gegeben sein, wie ich es jetzt auch in Moskau mit dem Präsidenten hatte. Ich bin kein großer Freund von den Bewertungen von Transfermarkt, aber letztens hat mir der Präsident dargelegt, dass wir den Mannschaftswert in den zwei Jahren von 63 Millionen auf 111 Millionen gesteigert haben. Wir haben aber gleichzeitig auch die Marketing-Maschinerie angeschmissen, den Fans u.a. Live-Musik angeboten und so am Ende den Zuschauerschnitt fast verdoppelt. All das hat Moskau für mich spannend gemacht, so etwas suche ich. Einen Verein, bei dem das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist, vielleicht auch einen Verein, der nicht da steht, wo er eigentlich der Wahrnehmung nach hingehört.
Sie haben neben Ihrer Tätigkeit in Moskau sogar noch den Master of Business Administration im Management an der UniversidadEuropea de Madrid gemacht. Wie kann man so verrückt sein?
Stoffelshaus: (lacht) Das geht wieder auf Kanada zurück, wo die Mentalität herrscht, ein Leben lang zu lernen. Davon habe ich mich anstecken lassen. Ich weiß noch, wie ich in Kanada am Wochenende selbst Fortbildungen angeboten habe und felsenfest davon überzeugt war, dass eh keiner kommen würde. Aber Pustekuchen, da waren ganz schnell 35, 40 Anmeldungen auf dem Tisch. Das Fernstudium war für mich das fehlende Puzzleteil. Solche Ideen entstehen, wenn du in Russland diese ewigen Flugreisen hast und kurz vor Chabarowsk froh bist, dich mit etwas anderem beschäftigen zu können. Ich habe auch da wieder viel gelernt. Ich denke außerdem auch, dass der Sportdirektor-Job der Zukunft weit darüber hinaus geht, Spieler zu kaufen und zu verkaufen. Das ist das Kerngeschäft, aber ein Sportdirektor muss beispielsweise auch eine Bilanz lesen können und die Gesamtzusammenhänge im Verein verstehen. Die erste Mannschaft ist immer der Leuchtturm, aber jeder Schritt, den ich dort gehe, hat direkte Auswirkungen auf alle anderen Bereiche. Diese Kettenreaktion gilt es immer zu bedenken. Für diesen Job reicht es nicht aus, dass du mal ein guter Fußballer warst.
Letzte Frage, welchen privaten Traum wollen Sie sich noch erfüllen auf der Weltkarte?
Stoffelshaus: Da gibt es viele Ziele. Es gibt so viel, was ich noch nicht gesehen habe, dass ich bei dem Gedanken immer etwas wehmütig werde. Neuseeland und Australien stehen weit oben auf meiner Liste, Afrika ist auch interessant und Nordamerika ist so groß, dass ich da immer noch weit davon entfernt bin, überall einen Haken setzen zu können. Ich war letztens zum ersten Mal im Bolschoi-Theater beim Ballett, das war auch sensationell. Manchmal liegen wunderbare Dinge auch direkt vor der Nase.
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