Heiland aus Heppenheim

Begehrt: Sebastian Vettel ist der neue Hoffnungsträger der Scuderia Ferrari
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Die Formel 1 steht vor einem neuen Zeitalter: Sebastian Vettel startet beim Australien-GP (alle Sessions im LIVE-TICKER) erstmals für Ferrari, der Vierfachweltmeister aus dem Red-Bull-Imperium fährt für die erfolgreichste Marke der Motorsport-Königsklasse. Doch holt der 27-Jährige wirklich den Titel, der Fernando Alonso verwehrt blieb? Die Motivationsprobleme der Vorsaison sind Geschichte, Teamchef Maurizio Arrivabene sieht in ihm schon eine Kopie von Michael Schumacher.

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Kurz hüpft der blonde Junge aufgeregt am Zaun auf und ab, als der Motor aufheult. Ungeduldig wartet er. Fast eine Minute dauert es, dann wird es wieder laut. Noch ein Sprung. Nur ein kurzer Blick auf das Idol, das auf der Ferrari-Hausstrecke in Fiorano seine Runden dreht. Vater Norbert wartet schon, schließlich steht das nächste Kartrennen an.

"Ich erinnere mich, dass ich vor langer, langer Zeit als kleines Kind hier war und versucht habe rüberzugucken", berichtete Sebastian Vettel, als er Ende 2014 erstmals ein Formel-1-Auto von Ferrari um den firmeneigenen Kurs in Fiorano bewegen durfte. Dass der Wagen zwei Jahre alt und die Strecke nass war, störte niemanden. Euphorie und Optimismus stellten sich ein.

Vettel: "Das Ganze hat etwas Magisches"

"Jetzt ganz offiziell ein Teil des Teams zu sein ist einfach fantastisch", jubelte der Heppenheimer, der während seiner Fahrten seinen Nachfolgern am Streckenrand zuwinkte: "Ich habe die Tifosi rundherum stehen sehen. Das ist nicht nur ein Märchen, es ist eine wahre Legende und es ist ganz speziell zu sehen, wie die Leute an den Mauern hochklettern, um das Auto zu sehen. Das Ganze hat etwas Magisches und ich werde das, was in den letzten Tagen passiert ist, nie vergessen."

Für Vettel war der kurze Ausflug nach Maranello eine Therapie. Nach vier Jahren mit je zwei Weltmeistertiteln bei Red Bull war die Luft raus. Die Motivation verpuffte, nachdem der RB10 durch die Schwächen der neuen Renault-Powerunit zum Hinterherfahren verdammt war. "Sebastian hatte von den ersten Kilometern an eine Aversion gegen das neue Reglement und gegen sein neues Auto", berichtete Motorsportberater Helmut Marko später.

Vettel meckerte über den neuen Hybridantrieb, über dessen Klang, die fehlende Lautstärke, das Fahrverhalten - nur über sein eigenes Fahren verlor er zunächst kein Wort. "Man muss es - Entschuldigung - auch einmal sagen, dass mit dieser Gurke auf der Geraden nichts zu holen ist", regte sich Vettel etwa in Kanada auf. Das Problem: Teamkollege Daniel Ricciardo hatte soeben das Rennen gewonnen.

Australien-GP: Mercedes dominiert Freies Training

Marko erklärt Vettels Motivationsprobleme

"Das Auto war ihm zu komplex, das Pilotenpotenzial zu gering geworden", sagte Marko. Sein früherer Schützling sprach erst nach seinem Abschied vom österreichischen Konzern, der ihn schon mit 13 Jahren in sein Förderprogramm aufgenommen hatte. "Es kam in diesem Jahr zu einem Punkt, dass ich mir selbst aufgeschrieben habe, was da alles kaputtgegangen ist. Auch um meine eigene Leistung nüchtern beurteilen zu können", sagte er Auto Motor und Sport.

Das Angebot von Ferrari kam wie gerufen. Vettel begeistert sich für die Tradition des Motorsports, beschäftigt sich von Kindesbeinen an mit der Geschichte der Formel 1. Doch nüchtern betrachtet war die Scueria die schlechteste Wahl, die der Heppenheimer treffen konnte. Sie lag am Boden.

Im Vorjahr schaffte das Team erstmals seit der Saison 1993 keinen einzigen Sieg. Nur elf Grands Prix gewann die Scuderia mit Fernando Alonso in fünf Jahren. Drei Vize-Titel in der Fahrer-WM und einer bei den Konstrukteuren waren die magere Ausbeute der Zusammenarbeit mit dem Spanier. In Maranello sei "der Wunsch nach Erlösung unglaublich groß", betonte der neue Teamchef Maurizio Arrivabene und warnte: "Wir dürfen nicht vergessen, auf welcher Basis wir beginnen."

Ferrari-Führung ausgewechselt

Die Führungsriege wechselte die Scuderia kurzerhand komplett aus: Nicht nur Stefano Domenicalis Nachfolger Marco Mattiacci machte nach nur acht Monaten im Amt für Arrivabene Platz, Chefingenieur Pat Fry räumte seinen Schreibtisch für Jock Clear, Motorenchef Luca Marmorini ging zu Gunsten von Mattia Binotto und Chefdesigner Nikolas Tombazis sowie Reifenspezialist Hirohide Hamashima durften sich ebenfalls neue Arbeitsplätze suchen. Allein der erst zur Saison 2014 von Lotus verpflichtete Technikdirektor James Allison macht weiter.

Der Umbau ist allerdings auch ein Rückbau. Selbst Personal der Schumacher-Ära ist wieder im Boot: Der 71-jährige Rory Byrne fungiert als Mentor des neuen Chefdesigners Simone Resta. Sie sollen ein Auto entwickeln, das Mercedes Konkurrenz macht: Ein stimmiges Gesamtpaket soll die Probleme der ersten echten Hybrid-Saison vergessen machen, als die Antriebseinheit zugunsten einer besseren Aerodynamik viel zu wenig Leistung erzeugte.

Die Bestzeiten bei den Wintertests waren trotzdem unbedeutend. Mercedes versteckte sich noch, Ferrari wird wohl weiter knapp eine Sekunde pro Runde fehlen. Doch darum geht es den Italienern noch nicht. Die Aerodynamik funktioniert schon wesentlich besser, was anhand der regelmäßigeren FlowViz-Farbe erkennbar war. Auch in den Kurven lag der SF15-T besser als sein Vorgänger.

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